: Bang! I was adult!
■ Lindy Annis performt wieder
Die Insidern von ihren nächtlichen Auftritten im Fisch-Labor und anderen Szenekneipen bekannte amerikanische Performerin Lindy Annis gestaltet einen Abend des Begleitprogramms der Ausstellung »Mädchen in Sicht« vom Kunstamt Neukölln. In dem sterilen, fast aseptischen Raum des Saalbaus Neukölln stellen sich die Zuschauer die bange Frage, ob es Lindy Annis überhaupt gelingen kann, ihn mit Atmosphäre und Leben zu füllen.
Ein bißchen schlacksig mit schweren Schuhen kommt sie dann durch eine kleine Tür auf die Bühne und beginnt mit »growin' up«, einem Schnelldurchlauf ihres Lebens von eins bis dreiunddreißig. Von rechts nach links und wieder zurück rennt sie quer durch den Raum, zählt die Jahre, unterbricht ab und zu und schildert Erlebnisse und Erfahrungen. Mit sechs, zehn und zwölf Jahren sind die Erwartungen noch groß, was wird später sein, welchen Beruf wird sie ausüben! Der Drang, endlich erwachsen zu werden, bestimmt alles.
Die Erwachsenen schlagen der Sechszehnjährigen die Klischees um die Ohren: »Rome wasn't built in one day, there's no profit without investation, slowly, step by step...«. Mit achtzehn darf sie endlich abends in Kneipen und Bars, und irgendwann macht es bang! und sie ist erwachsen, wie vom LKW gestreift, bemerkt es kaum, denn es verändert sich doch nicht so viel. Die Pointe kommt mit dreiunddreißig: »Now I'm 33 an I still don't know what I want to be.«
Die assoziativ zusammengefügten Situationen lassen den Zuschauern genügend Raum, sie mit eigenen Erfahrungen zu füllen, und die einfache, klare Sprache ist auch denjenigen verständlich, die von ihren eigenen Englischkenntnissen nicht vollkommen überzeugt sind. Zusätzlich ermöglicht sie einen distanzierenden Blick; auf deutsch gäbe es vielleicht eine Sperre, einzelne Szenen schienen zu banal.
Im zweiten Teil, »I'm Lindy an this is my Pillow« , werden sich die meisten ertappt fühlen. Es ist acht Uhr morgens, der Wecker klingelt, der Tag ist vollgestopft mit Terminen, aber der Drang weiterzuschlafen wird übermächtig. So geht es weiter bis sechs Uhr abends, dann können die vielen Dinge nicht mehr erledigt werden: »We have a lot of fun together, my pillow and I, but it will get a problem«. Es folgt im dritten Teil eine intelligente Verknüpfung der Spiele der Kinder, Versteck- und Geschicklichkeitsspiele, mit denen der Erwachsenen, dem Roulette und der Börsenspekulation.
Strukturierendes Moment sind kindliche Abzählreime und der ständig wiederholte Satz: »Red is my colour an red is my system and that's how I'm going to win«. Lindy Annis zählt bei jedem gespielten Einsatz am Roulettetisch tatsächlich die Chips, das Geld dem Publikum vor und macht den Vorgang in Raum und Zeit sinnlich wahrnehmbar. Die Spiele der Erwachsenen funktionieren nach einer anderen Logik, dort ist es möglich, alles zu verlieren. Im letzten Stück, »First comes Love«, setzt sie diese Behauptung immer wieder ironisch beschwörend gegen die Erzählung einer als zwangsläufig dargestellten Entwicklung von Liebe, Heirat, Baby, bis in Chaos. Sie zeigt dazu Blätter, ähnlich einem Daumenkino, auf denen einfache, stilisierte Zeichnungen — ein Bett, ein Tisch, ein Hemd, Tassen...— die Geschichte illustrieren, bis zum Schluß nur noch schwarze verknäulte Linien den Gang der Entwicklung verdeutlichen.
Lindy Annis' Darstellung hat nichts Aggressives, nicht die von Performances bekannte Exzessivität sexueller Obsessionen wie bei Karen Finley oder die radikale Subjektivität eines Spalding Gray, aber es gelingt ihr vollkommen unprätentiös, mit einfachen Mittel und ihrer physischen und psychischen Präsenz, die Zuschauer zum Lachen und Nachdenken zu bringen. Sie verkörpert einen kindlichen Trotz, der subversiv das Erwachsenwerden unterläuft, wenn dies nur bedeutet, sich einer vorgegebenen und vorbestimmten Welt anzupassen. Bettina Schültke
Heute um 20 Uhr im Saalbau Neukölln
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