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Rückständigkeit birgt Chancen

■ Projektbericht Umweltschutz — entstanden vor dem 3. Oktober

„Folgt in der DDR nach der Diktatur des realexistierenden Sozialismus nun das Diktat einer ungezügelten Marktwirtschaft?“ Die Frage der Autoren von Naturschutz in der DDR, kann im Augenblick natürlich noch nicht abschließend beantwortet werden, auch wenn viele Signale in Richtung einer kritiklosen Übernahme des westdeutschen Modells gestellt sind.

Die Idee zu dem Buch entstand während eines Studienprojekts zur Umweltsituation in der früheren DDR, das von 25 angehenden Landschaftsplanern von April 1988 bis Februar 1989 an der Technischen Universität Berlin durchgeführt wurde. Der abschließende Projektbericht diente als Grundlage für die einzelnen Beiträge.

Bei ihren Recherchen konzentrierten sich die Autoren aber nicht nur auf die Lage der Umwelt in der DDR, sondern beschäftigten sich auch mit der historischen Entwicklung des ostdeutschen Naturschutzes, den staatlichen Strukturen und Zuständigkeiten, dem Schutz von Fauna und Flora durch nichtstaatliche Organisationen sowie der internationalen Zusammenarbeit im Umweltschutz. Zum Schluß wurden Militär, Landwirtschaft, Industrie und das Bedürfnis nach Erholung auf ihr Konfliktpotential hinsichtlich der Erhaltung von Natur analysiert.

Die Informationsbeschaffung für dieses engagierte Buchprojekt war alles andere als einfach. Bis zur Wende galten Umweltdaten in der DDR größtenteils als Staatsgeheimnis. Deshalb spielten persönliche Kontakte zu einheimischen Naturschützern eine unschätzbare Rolle. Gelegenheit dazu hatte einer der Herausgeber insbesondere während eines einmonatigen Stipendienaufenthaltes beim Institut für Landschaftsplanung und Naturschutz in Greifswald. Vor allem der Mitbegründer und Sprecher der Grünen Liga, Matthias Platzeck, der jetzt als Vertreter der Bürgerbewegungen in Brandenburg für die Umweltpolitik zuständig ist, sowie Professor Michael Succow — bis zu seinem unerwarteten Rausschmiß Mitte Mai stellvertretender Umweltminister in den Regierungen Modrow und de Maizière und als solcher maßgeblich an der Entwicklung eines Nationalparkprogramms für die DDR beteiligt — standen mit Rat und Tat zur Seite.

Die Herausgeber von Naturschutz in der DDR haben klare Vorstellungen von dem, was das vereinte Deutschland in eine gemeinsame Umweltpolitik einbringen sollte: Aus dem Verfassungsentwurf des Runden Tisches in der vormaligen DDR möchten sie unter anderem das Verfassungsziel Umweltschutz, den schienengebundenen Güterverkehr und die bezahlte Freistellung von Arbeitskräften zur Betreuung von Naturschutzgebieten übernehmen. Aus Westdeutschland wollen sie neben den Kläranlagensystemen auch das Prinzip der Landschaftsplanung und die ökologischen Bildungsstätten in den Osten des Landes übertragen wissen. Noch im Vorwort dieses Umweltleitfadens ist von den Chancen die Rede, die dem Natur- und Landschaftsschutz in der ehemaligen DDR aus ihrer vermeintlichen Rückständigkeit im Straßenverkehr sowie im Freizeitbereich unter anderem bei der Landschaftserschließung erwachsen könnten. Daran hat auch der 3. Oktober nichts geändert. Oliver Mietzsch

Markus Rösler, Elisabeth Schwab, Markus Lambrecht (Hrg.), Naturschutz in der DDR , Economica-Verlag, 1990, 328 Seiten, DM 39,80.

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