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„Everything is ridiculous!“

■ Jerry guckt CNN und sinnniert über die amerikanischen Jungs am Golf, über 13 Milliarden an Israel, zahlungsunwillige Deutsche und die Kultur der Araber

Irgendwo in Amerika hinter irgendeiner Autobahnabfahrt (taz) — Draußen vor der „Bit & Bridle Bar“ steht sein Nissan Pickup- Truck. Drinnen an der Theke sitzt Jerry, 64, pensioniert, den Hals schräg nach oben gestreckt. Bis zum letzten Jahr hat er noch bei IBM gearbeitet. Heute trägt er eine Latzhose wie ein Farmer. Es ist kurz vor drei, die Lunch-Gäste sind gegangen und auch die Bedienung hat ihn vorübergehend allein gelassen.

Jerry braucht keinen Gesprächspartner — er redet mit sich selbst und mit CNN, das seine Bilder stumm von der Konsole über dem Regal mit den Jack-Daniels- Flaschen heruntersendet.

Wir sehen bei CNN im Studio einen pensionierten Armeegeneral, wie dieser mit dem Zeigestock vor einem Reliefmodell der kuwaitisch-irakischen Grenze gestikuliert.

Jerry fährt in seinem Monolog fort. „That's ridiculous“ — das sei einfach lächerlich. „Jahrelang haben wir Milliarden, ja was sag ich denn, Billionen für unsere Rüstung ausgegeben und jetzt können wir nicht mal dieses Dritte-Welt-Land mit seinem Hussein-Diktator in die Knie zwingen. That's ridiculous. Was hätten wir denn erst gemacht, wenn uns der Russe wirklich angegriffen hätte? Können nur von Glück reden...“.

Bilder von einem Scud-Alarm flimmern über den Bildschirm. Die Menschen in Tel Aviv und im dortigen Fernsehstudio tragen Gasmasken.

„Ich hab' ja nix gegen Juden, aber dreizehn Milliarden Dollar, nur weil sie jetzt angegriffen werden. Ich weiß nicht. Da müssen wir beide 'ne ganze Weile für arbeiten. Die haben doch schon alles von uns bekommen, und jetzt noch mal dreizehn Milliarden Dollar, bloß daß die stillhalten, während wir den Saddam bombardieren. That's ridiculous. Hoffentlich schiebt unser Kongreß dem noch einen Riegel vor; aber da weiß man ja heute auch nicht mehr, wer im Kongreß so alles drinsitzt. Mensch, überleg dir das doch mal, dreizehn Milliarden Dollar!

Sollen doch die Deutschen bezahlen, die tun doch überhaupt nix und sitzen nur auf ihrer fetten Ökonomie, ohne ihre Deutschmarks rauszurücken. Zahlen solln'se wenigstens, wenn 'se schon keine Truppen darunter schicken wollen!

Verstehn 'se mich nicht falsch, ich hab ja nix gegen Deutsche, aber das ist doch einfach lächerlich. Wir sind die einzigen, die diesen Job mit Saddam für den Rest der Welt überhaupt erledigen können, und dann sollen wir das auch noch ganz allein berappen. Nee, so nich.“

CNN zeigt Ausschnitte aus einer Pressekonferenz mit Präsident George Bush.

„Aber vielleicht machen wir ja auch was falsch da unten. Ich sag ja nicht, daß der Bush einen Fehler gemacht hat, uns da reinzuziehen, aber unsere Jungs zum Sterben in die Wüste hinzuschicken, ich weiß nicht. Für's Öl, und nur weil wir davon nicht genug schlucken können?

Ich wollte jedenfalls meinen Sohn nicht da unten haben. Ich bin ja kein Kriegsgegner, bloß nicht. Die sollen bloß die Schnauze halten, solange unsere Jungs da kämpfen. Aber die ganzen Araber gegen uns aufzuhetzen? It's ridiculous.

Ich hab ja nix gegen Araber, aber das sind doch alles nur Schlangenbeschwörer und wir Idioten fallen wieder darauf rein, wie damals im Libanon, das sind wir auch mit eingezogenem Schwanz wieder abgezogen. Mit der Kultur werden wir einfach nicht fertig, Selbstmord, Terrorismus und so. Jetzt können wir schon nicht mehr unsere eigenen Fluggesellschaften fliegen, vor lauter Angst vor Terroranschlägen.“

CNN hat an die New Yorker Börse umgeschaltet, wo aufgeregte Händler ihre Deals in wilder Zeichensprache diktieren.

„Schau dir das an, guck nur, diese Yuppie-Bastards, die machen doch aus allem Geld. Wir haben eine Rezession und schicken unsere Jugend in den Krieg und die zocken dabei noch Kohle ab. Was 'ne Sauerei! Ist doch einfach lächerlich, dieser ganze Krieg. Und wir sitzen hier und schaun uns das ganze wie im Kino an. It's ridiculous.“

Empört über sich und die Welt steht Jerry auf, legt einen Fünf-Dollar-Schein für seine Gespritzten auf den Tresen hin und verläßt anschließend hastig die „Bit & Bridle Bar“.

„Nice talking to you“, sagt er noch zum Abschied. Rolf Paasch

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