: Gesetz gegen kommunale Energiepolitik?
■ Stromvertrag der Regierung de Maizière mit westdeutschen Konzernen könnte mit neuem Ausnahmegesetz gerettet werden/ Ullmann empört/ Ex-Treuhand-Aufsichtsrat Noke: „Jeder Bürgermeister soll so tun, als wäre das Stadtwerk vor Ort seines“
„Das ist eine unglaubliche Verfahrensweise, zu der es nur Analogien gibt im Nazirecht.“ Wolfgang Ullmann, Bundestagsabgeordneter für Bündnis'90/Grüne, wedelt empört mit einem Stapel Papier. „Entwurf eines Gesetzes über die Spaltung der von der Treuhandanstalt verwalteten Unternehmen (SpTrÜG)“ steht darauf. Auf gut deutsch: Wenn dieser Entwurf geltendes Recht wird, dann können von der Treuhand verwaltete Firmen aufgespalten werden. Durchaus sinnvoll mag das sein, um volkseigene Großbetriebe in kleinere Einheiten zu splitten, die dann einzeln rentabel bewirtschaftet bzw. verkauft werden können.
Was den Bürgerrechtler Ullmann in Rage bringt, ist der Verdacht, daß mit dem Gesetz ganz andere Hintergedanken verfolgt werden. Firmen, deren rechtlicher Charakter umstritten ist, können auf diese Weise im Handelsregister schlicht verschwinden und als neue, rechtlich saubere Unternehmen auftauchen. Paragraph 10.2 des Gesetzentwurfes lautet nämlich: „Bei der Eintragung erlischt die übertragende Gesellschaft. Einer besonderen Löschung bedarf es nicht.“
An einer derartigen Verwandlung, so vermutet Ullmann, hat die Treuhand ein ganz akutes Interesse wegen der Energieunternehmen. Seit Wochen ist der Streit um die alte volkseigene Energiewirtschaft hinter den deutsch-deutschen Kulissen ein wichtiges Streitthema. Denn der Stromvertrag, mit dem die Regierung de Maizière die gesamte Energiewirtschaft der DDR an westdeutsche Konzerne verkaufte, hat erhebliche juristische Mängel. Insbesondere, so fand Gutachter Becker im Auftrag der Stadt Potsdam heraus, wackelt die juristische Grundlage der 15 Kapitalgesellschaften, in denen derzeit schon „Geschäftsbesorger“ der West-Konzerne schalten und walten und den Kommunen großzügig 49% der Anteile anbieten, wie es im Einigungsvertrag steht.
Aber der Einigungsvertrag dürfte gesetzwidrig sein. Denn, so Gutachter Becker, zum Zeitpunkt der Währungsunion galt in der alten DDR schon das kapitalistische Aktien- Recht. Die Aktiengesellschaften wurden aber am 1.7.1990 per Treuhandgesetz gebildet, nicht nach damals geltendem Recht.
Also gibt es sie rechtlich nicht, folgert Wolfgang Ullmann, und jetzt soll durch das „SpTrÜG“ ein Instrument geschaffen werden, die rechtlich wackeligen Aktiengesellschaften in einwandfrei und unwiderruflich im Handelsregister eingetragene Gesellschaften umzugründen, um so die Prozeßchancen der Kommunen zu vermindern.
Das Verfahren steht nicht im Einklang mit geltendem deutschen Eigentumsrecht, deshalb muß ein Sondergesetz ausdrücklich für das alte volkseigene Vermögen, das jetzt der Treuhand untersteht, geschaffen werden. Das Verfahren, so Ullmann, würde keinen Einspruch erlauben und wäre nicht mehr rückgängig zu machen, weil es mit der Eintragung im Handelsregister rechtswirksam ist. Der Potsdamer Bündnis-90-Politiker Noke, früher selbst im Aufsichtsrat der Treuhand, meint angesichts der komplizierten Rechtslage: „Ich kann nur jedem Bürgermeister empfehlen, einfach so zu tun, als ob er sein Stadtwerk hat — sollen die anderen klagen.“ Denn die Betriebe der Strom- und Gasversorgung sind eine wichtige Einnahmequelle der Kommunen. Und der kommunale Zugriff auf die Energiepolitik ist die Voraussetzung für Konzepte ökologisch sinnvoller Energieversorgung. In Westdeutschland laufen seit Jahren die Gemeinden Sturm gegen die Macht der zentralen Stromkonzerne, wenn sie Fernwärmekonzepte und Blockheizkraftwerke realisieren oder Energiesparkonzepte umsetzen wollen. Derartige Konzepte widersprechen den Interessen der Stromgiganten, die auf den Überkapazitäten insbesondere auch der Atomkraftwerke sitzen und möglichst viel Strom verkaufen wollen. K.W.
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