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Waffengattung: Film

■ Die Filmreihe „Schuß — Gegenschuß“ über den kriegerischen Blick der Kamera

In der englischen Sprache schießt man mit einer Kamera. “Schuß und Gegenschuß“ sind ganz friedliche Fachbegriffe der Filmhandwerker. Der gleichnamige Dokumentarfilm von Niels Bolbrinker und Thomas Tielsch mit seiner These, daß „der kriegerische Blick nicht von der Geschichte des Films“ zu trennen ist, kommentiert so aktuell die Fernsehbilder von heute, daß seine Ausstrahlung am Montag abend im WDR III auf unbestimmte Zeit verschoben wurde. Dabei öffnet uns dieses Filmessay, in dessen Mittelpunkt die Kameramänner der deutschen Wochenschauen des Zweiten Weltkrieges stehen, die Augen angesichts der zensierten Videobilder vom Krieg in Echtzeit.

„Auf uns wurde geschossen. Es wurden auch welche getroffen, aber nichts war zu sehen. Der Krieg war zu hören, er war tödlich, das habe ich gemerkt, aber er war nicht sichtbar. Wie sollte man das darstellen?“ Ein Kameramann erzählt von seiner Arbeit im Zweiten Weltkrieg. Den Film sieht man heute mit anderen Augen als vor Wochen: Lächelnde Soldaten nach erfolgreichen Einsätzen, das Feuerwerk der Fliegerabwehr am nächtlichen Himmel, kaum Opfer — stattdessen schöne Bilder von Waffen: die Bilder ähneln sich beängstigend. Der sehr komplexe und fast literarisch inszenierte Film steht im Mittelpunkt der Filmreihe. (6.2. u. 8.-10.2., 18.45, Schauburg, 7.2., 20 Uhr, BGH Vegesack). “Mein Krieg“ (11.2., 18.45 Uhr, Cinema und 28.2., 20 Uhr, BGH Vegesack) ergänzt ihren Film mit Amateurfilmaufnahmen von Soldaten des Zweiten Weltkriegs.

Die Filmreihe beschränkt sich aber nicht auf Bebilderungen des Krieges, sondern rückt die Aggression des Kinoauges in ihr Zentrum. In Michael Powells Klassiker Peeping Tom aus dem Jahre 1959 (14.2., 18.45 Uhr, Cinema) wird dieses Konzept zu Ende gedacht — der Kameramann tötet mit seinem Instrument. Death Watch von Bertrand Tavernier (7.2., 18.15 Uhr, Cinema) ist eine ähnliche Horrorvision, in der die voyeuristische Kamera zum Täter wird und in David Cronenbergs Videodrome (10.2., 20 Uhr, Schauburg), der noch nie in deutschen Kinos gezeigt wurde, befriedigt ein illegaler Satellitensender die Sensationsgier der Zuschauer mit realen Horrorbildern. The Naked City (12.2., 18.30 Uhr, Cinema und 14.2., 20 Uhr, BGH Vegesack) aus dem Jahr 1947 ist einer der ersten an Originalschauplätzen gedrehten Kriminalfilme im „dokumentarischen“ Stil. Als Vorfilm läuft dazu der österreichische Experimentalfilm Piece Touche, der eine Einstellung aus einem amerikanischen B-picture verfremdet. Des ungarischen Avantgardefilmer Gabor Bodys Die amerikanische Ansichtskarte (13.2., 18.45 Uhr, Cinema) benutzt die Arbeit von Landvermessern im amerikanischen Bürgerkrieg als Metapher für die Filmarbeit selber.

In einem Seminar am 9.2. 10.00 Uhr in der Angestelltenkammer werden neben dem Regisseur Tielsch auch ein Kameramann des Zweiten Weltkrieges und die Filmemacherin Anke Oehme referieren, und im Beiprogramm werden weitere Filmbeispiele zum Thema gezeigt. Zum Abschlußgespräch am 16.2. ist neben Filmemachern und Medientheoretikern auch ein Auslandskorrespondent geladen. Hoffentlich wird dort auf dem Niveau des Films von Bolbrinker/Tielsch diskutiert. Dort sagt Paul Virilio: „Selbstsuchgeräte, mit Videokameras ausgestattete Sprengköpfe, die das, was sie sehen, den Piloten und Überwachern auf dem Boden übermitteln. Nichts unterscheidet mehr die Funktion der Waffe von der des Auges. Aufspüren und treffen, verfolgen und zerstören.“ Wilfried Hippen

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