: Faßt Italiens neuer PDS überraschend Tritt?
Beim Auflösungs- und Neugründungskongreß der Kommunisten in Rimini profilieren sich vor allem junge Politmanager ■ Aus Rimini Werner Raith
„Haste das gesehen?“ Franco Caligiro kann es gar nicht fassen. Fünfmal läßt er die Videoaufzeichnung zurückfahren: „Haste gesehen? Er kann es. Er kann es doch!“ Gerade ist Achille Occhetto, Parteichef des gerade zu Grabe getragenen Partito Comunista und Chef des künftigen Partito Democratico Della Sinistra (PDS), alle anderen Parteien mal „mit den Hörnern und nicht mit dem Intellekt“ angegangen, mit lauter Stimme und großer Geste, wie Francos Freundin Giovanna schwärmt. „Wie“, hatte Occhetto gerufen, „euch paßt unsere Forderung nach Rückzug vom Golf nicht? Gut. Aber euch paßt ja nicht mal die Erklärung der Außenminister der USA und der UdSSR. Na, dann kommt mal rüber mit besseren Vorschlägen; aber vernünftig müssen sie sein!“
Er deutet schräg hinter sich, was wohl Richtung Norden sein soll, wo bei der Tagung der sozialistischen Internationale sein Erzfeind, Bettino Craxi, der neuen Formation bereits eine „Totgeburt durch Isolationismus“ prophezeiht hat: „Was bildet sich dieser Craxi überhaupt ein, wer er ist?“ Im gigantischen Saal wie vor den Fernsehgeräten ein Augenblick atemlose Stille. Noch nie hat Occhetto den Sozialistenführer so direkt angesprochen. Dann schallendes Gelächter, tosender Applaus. Neben dem von gut 80 Prozent der Parteimitglieder uneingeschränkt mitgetragenen Friedenskurs in der Golffrage hat der PDS nun auch einen klar beschriebenen Feind: die neokonservativen Sozialisten, bisher gehätschelte Kandidaten für eine Alternative zur Dauerregierung der Christdemokraten. „Siehst du“, schwärmt Franco und wendet sich zu einer Siebzigjährigen neben sich, „wir müssen unseren Sektionsnamen nicht ändern.“ Das Mütterchen, das vordem um das schöne Schild „Sezione P. Neruda“ gebangt hatte, weint vor Freude. Mit einem Mal ist Stimmung da; vorbei mit den niedergedrückten Gesichtern der Tage zuvor. Wer kurz zuvor noch die herrlichen Kampfeszeiten, Typ Don Camillo und Peppone, verloren glaubte, sieht sie jetzt wieder vor sich. Daß alle auf die neue Formation eindreschen, weil sie bedingungslos für Waffenstillstand ist, bringt den Genossen ein geradezu heimeliges Gefühl zwischen Heroismus und verkanntem Prophetentum.
Tatsächlich waren die in Occhettos Schlußrede aufgeflackerten rhetorischen Highlights aber nur noch der Funke, der die Beklemmung löste, die Euphorie zur Explosion brachte. Vorbereitet hatten dies vor allem seine jungen Zuarbeiter. Walter Veltroni etwa, ein rühriger, glatter, jungenhaft wirkender Ex-Regisseur, der für Medien verantwortlich ist; Livia Turco, die Frauensprecherin, deren Nichtcharisma zwar unbestritten ist, die aber in zäher Arbeit eine Quotenregelung (ein Drittel Frauen in alle gewählten Organe) durchgekämpft hat; Fabio Mussi, der das neue, überaus komplizierte Parteistatut so flüssig erläutert, als sei es seit Jahren in Kraft. Vor allem aber Massimo D'Alema (40), von den Medien als „Nummer zwei“ bezeichnet, in Wirklichkeit aber heute bereits mehr als Parteichef Occhetto der Generalmanager, Oberstratege und Chefdenker des PDS.
Mit einem überraschenden Schachzug hatte D'Alema in seinem Beitrag am Samstag die Marschrichtung geändert. Die Entscheidung für oder gegen Krieg sei überhaupt nicht mehr in der Diskussion, der PDS habe hier die richtige Nase gehabt, wie analoge Erklärungen deutscher Sozialdemokraten, spanischer und französischer Sozialisten zeigten. Ergo: In der Krise stecke nicht der PDS, sondern die anderen Parteien, die mehr oder weniger opportunistisch reagierten. Und was die Auflösung des PCI und die Neugründung als allseits offene Linksformation angehe: nur ein Gelingen dieser Transformation gebe Anlaß, „auch auf den historischen PCI stolz zu sein, weil er sich dann — als einzige Partei des Westens — als radikal reformfähig erwiesen hat“. Franco und seine Mitseher schlugen sich auf die Schenkel: „Das ist es, genau das ist es.“ Mit einemmal schien der Gegensatz zwischen altbewährter PCI-Heimat und dem neuen Haus des PDS gar nicht mehr zu bestehen.
Mit seinem Manöver hatte D'Alema auch den rechten Flügel kalt erwischt, der auf dem Weg über eine Revision der resoluten Friedenshaltung in der Golffrage noch einmal die sich anbahnende Allianz Occhettos mit dem linken Flügel auszuhebeln versucht hatte. Die Behandlung der Kriegsfrage als Problem der anderen, nicht des PDS, ließ plötzlich wieder eine Diskussion der vernachlässigten programmatischen und inhaltlichen Fragen allgemeiner Art zu. Die Stellung zu einer neuen politischen Ordnung in Italien (Verfassungsreformen), zur Sozial- und Rechtspolitik, zur Ökologie: all das konnten die Zentralisten Occhettos besetzen, ohne ernsthaften Widerspruch zu erfahren.
Eine Art Arbeitstherapie also, die die jungen Manager des PDS da ersonnen haben. Gebannt war die drohende Spaltung (es blieb bei einem Miniauszug der Gruppe um den orthodox-marxistischen Armando Cossuta), gebannt aber vor allem der Eindruck, den Occhetto selbst am ersten Tag nach seinem Einführungsreferat erweckt hatte. Müde war er vom Podium geschlurft, und die Zeitungen hatten seinen Ausdruck wohl zu Recht als „Gott sei Dank, das liegt nun auch hinter mir“ bezeichnet.
Das dicke Ende kommt aber vielleicht doch noch. Franco jedenfalls hatte bald Anlaß zum Fluchen: Sein Provinzsekretär wollte schon wenige Minuten nach Occhettos Rede wissen, wie weit die Genossen das neue Programm „allgemeinverständlich“ für die Parteibasis aufbereitet haben. „Die sind gut“, murrte Franco, „erst sagen sie alle, das wird eh nichts, und jetzt sollen wir jedes Wort in Taten umgesetzt haben.“
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