: In Korys Lebensmittelladen
■ Hinter dem Tresen verfolgt ein Iraker den Krieg im TV
Detroit, Michigan (taz) — Hinter der Ladentheke mit der kugelsicheren Scheibenfront verbringt Andy Kory jede freie Minute seines 12stündigen Arbeitstages vor dem tragbaren Fernseher. Mit gequälter Aufmerksamkeit verfolgt er hier von der „frontline“ des schwarzen Ghettos über CNN den Krieg in seinem Heimatland. „Wenn Präsident Bush Saddam Hussein doch nur aus Kuwait vertreiben will“, fragt er kopfschüttelnd, „warum müssen sie dazu unser schönstes Bagdad bombardieren?“ „Yeah, man, fuck George Bush und seine Truppe“, kommt es von der anderen Seite der milchigen Trennscheibe zurück, während der Handel von Zigaretten gegen Dollars durch die ebenfalls kugelsichere Drehscheibe über den Tresen geht. Die wertvolleren Waren sind vorsichtshalber in den Regalen hinter Korys Rücken untergebracht.
Diese für einen Lebensmittelladen fast absurden Sicherheitsvorkehrungen haben ihren Grund. Sowohl Andy als auch sein gelegentlich mithelfender Bruder Kamal haben bei bewaffneten Raubüberfällen schon jeder eine Kugel abbekommen. Die Täter, so berichten beide im Chor, seien allerdings auch nicht weit gekommen. „Ich hab' ihn über den Haufen geschossen“, meint Andy ganz trocken.
Doch der Herzlichkeit zwischen dem Besitzer und seinen fast ausnahmslos schwarzen Kunden scheinen diese Erfahrungen und das trennende Glas keinen Abbruch zu tun. Kory, der auch mal ein Sechserpack Bier rüberreicht, wenn das restliche Kleingeld von der wöchentlichen Sozialhilfe nicht mehr ganz reicht, ist in der Nachbarschaft beliebt. Damals, 1967, als bei den Rassenausschreitungen in diesem Viertel ganze Straßenzüge in Flammen aufgingen, so erzählt Kory heute voller Stolz, hätten die Leute aus der Nachbarschaft seinen Laden gegen Plünderungen verteidigt.
Die Bewohner des längst zum Slum verkommenen Villenviertels — das in den 40er Jahren ursprünglich für das gehobene Management aus dem nahegelegenen Welthauptquartier von „General Motors“ gebaut worden war — wissen Korys sture Präsenz in ihrer Nachbarschaft zu schätzen; wo doch selbst die meisten der chaldäischen Christen aus dem Irak, die in Detroit 90 Prozent aller Lebensmittelgeschäfte betreiben, mittlerweile aus Sicherheitsgründen nach Southfield oder Oakdale hinausgezogen sind. Und schwarze Geschäftseröffnungen im Einzelhandel sind auch in Detroit kaum zu verzeichnen. „Denen fehlen einfach die dazu nötigen Familienstrukturen der anderen Einwanderergruppen“, vergleicht Kory die Situation der Schwarzen mit der seiner chaldäischen Christengemeinde aus dem Irak. „Als ich zu Beginn einen Kredit brauchte, bin ich halt zu meinen Verwandten gegangen“, erinnert er sich an seinen Geschäftsaufbau vor über 20 Jahren.
Doch Kory ist heute froh, daß er es in „Downtown Detroit“ ausgehalten hat, trotz der Kriminalitätsrate und all dem. „Meine Kunden sind treu und achten nicht auf jeden Cent“, erklärt er das jedes volkswirtschaftliche Lehrbuch widerlegende Kaufverhalten im Ghetto. „Außerdem“, sagt Kory beinahe erleichtert, „ist von meiner Kundschaft kaum einer für den Krieg.“ Sein Freund und Geschäftskollege Amin sitzt dagegen seit Kriegsausbruch in seinem Lebensmittelladen an der 16 Mile Road ganz alleine da. „Plötzlich“, so erklärt Kory dessen Einkommenseinbußen in der weißen Vorstadt, „will dort keiner mehr beim Iraker einkaufen.“ Rolf Paasch
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