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Stasi überlebt in lukrativen Fluchtburgen

Das am besten organisierte Geheimdienstsystem der Welt arbeitet still weiter vor sich hin/ Diestels Eigenlob verfrüht  ■ Von Thomas BurmeisterBerlin. Die Nachricht klang gut und wurde gern geglaubt. Das „am besten organisierte Geheimdienstsystem der Welt“, das mit 85.000 hauptamtlichen und etwa 500.000 inoffiziellen Mitarbeitern alle Lebensbereiche in der DDR durchdrungen hatte, sei „friedlich zerschlagen“ worden.

Doch das Eigenlob, mit dem Ex- Innenminister Peter-Michael Diestel am Vorabend der deutschen Einheit auftrumpfte, war wohl verfrüht. Mittlerweile vergeht kaum eine Woche, ohne daß neue Hinweise auf das stille Wirken der alten Stasi-Genossen in die Öffentlichkeit gelangen. Zukunftsträchtige Unternehmen, wie die Elektronik-GmbH Wigeba oder die Olympia-Baugesellschaft, Ferienhotels, Autovermietungen, Dienstleistungs-Agenturen und anderes mehr entpuppen sich als lukrative Fluchtburgen für hochrangige MfS-Leute. Hier wirken „Kameradschaftsbeziehungen der vom Schlachtschiff abgetretenen Offiziere“, warnte schon vor Wochen der Stasi-Sonderbeauftragte der Bundesregierung, Joachim Gauck. Von Anfang an hat bei der DDR- staatlich verfügten Stasi-Auflösung die Staatsicherheit selbst offenbar mitgespielt.

„Um das MfS aufzulösen, brauchten wir Stasi-Leute, die den Laden kannten.“ Dies sagte Günter Eichhorn, vor einem Jahr vom braven SED-Beamten im DDR-Finanzministerium zum Leiter des Stasi- Auflösungskomitees ernannt. Heute ist er verbittert, fühlt sich „als Strohmann mißbraucht“. In einem dpa- Gespräch berichtete er jetzt, wie die Stasi bei der eigenen Auflösung mitmischte. „Eigentlich war festgelegt, daß in den Bezirksstädten unseres Komitees höchstens zwei von jeweils fünf Mitarbeitern aus der ,Firma' kommen durften.“ Doch die Realität habe anders ausgesehen.

„In Dresden zum Beispiel hatten wir bald vier Stasi-Leute, und nur noch der Leiter war unbelastet.“ Selbst in der Spitze des Komitees saßen MfS-Agenten. Mehrere Mitarbeiter Eichhorns, darunter sein Büroleiter Stein, wurden schon bald nach Gründung des Gremiums als Offizier im besonderen Einsatz (OibE), als Stasi-Offiziere im besonderen Einsatz, enttarnt. „Den Stein“, sagt Eichhorn heute, „den hat mir der Möbes untergejubelt.“ Harry Möbes war seinerzeit Staatssekretär im DDR-Ministerrat und galt als enger Vertrauter von DDR- Regierungschef Hans Modrow.

Längst schon steht auch der Ex- Auflöser im Verdacht, im Auftrag der Stasi ganzen Seilschaften ermöglicht zu haben, sich umfangreich aus MfS-Vermögen für den Start in die Marktwirtschaft zu rüsten. Eichhorn streitet das entschieden ab. Alles, was er überschauen konnte, sei „streng nach dem damals geltenden DDR-Gesetz“ vor sich gegangen. Richtig sei allerdings auch, daß Stasi-Größen sich vor dem Abtauchen aus dem randvollen MfS-Topf mit Kapital und Immobilien bedienen konnten, um die neue Existenz als Unternehmer abzusichern.

Wieso man gerade ihn für die delikate Aufgabe auswählte, sagt Auflöser Eichhorn, das habe er sich wohl zu spät gefragt. Immerhin war ihm nach eigenem Bekenntnis nicht entgangen, daß eigentlich jemand anders für diesen Job vorgesehen war — der Leiter der 1. Abteilung des DDR-Finanzministeriums, Oberst Kirsch, der samt seinen Mitarbeitern dem MfS unterstand.

Am 12. Februar wird Stasi-Auflöser Eichhorn Gelegenheit haben, auch darüber mehr zu berichten. In der Direktion „Spezialaufgaben der Verbrechensbekämpfung“ des Berliner Polizeipräsidiums soll er Stellung nehmen zum Vorwurf der Veruntreuung fremder, sprich DDR- staatseigener, Vermögenswerte der Stasi. Sollte er tatsächlich vor Gericht gestellt werden, drohen ihm bis zu zwei Jahren Haft. dpa

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