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»Strengt euch an, in der Wissenschaft zählt Leistung«

■ Der neue Wissenschaftssenator Manfred Erhardt über die Neustrukturierung der Berliner Hochschullandschaft/ Konkurrenz soll Qualität und Leistung in der Stadt stimulieren/ Senator plädiert für enge Verbindung von Industrie und Wissenschaft und personenbezogene Förderung

Der neue Senator für Wissenschaft und Forschung ist ein äußerst beherrschter Mann. Über zwanzig Minuten lang schafft es Manfred Erhardt (51), im Kreuzverhör nicht einmal mit den Händen zu gestikulieren. Der Regierende Bürgermeister wünschte den Honorarprofessor an der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen in die Hauptstadt. Den bisherigen Ministerialdirektor im baden-württembergischen Wissenschaftsministerium wunderte das nicht, denn unter Insidern sei er kein Unbekannter gewesen. Der frühere Wissenschaftssenator George Turner, 1982 in den CDU-Senat berufen, wollte Erhardt schon damals als Staatssekretär nach Berlin holen. In dieser Zeit war Erhardt Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion. 1987 wurde er Vorsitzender der Amtschefkonferenz der Kultusminsterkonferenz.

taz: Herr Erhardt, wie wollen Sie das drängendste Problem in Ihrem Ressort, die Zusammenführung der beiden Berliner Hochschullandschaften, angehen?

Manfred Erhardt: Wir müssen die Berliner Hochschullandschaft nach Struktur und Qualität einheitlich gestalten. Die im Ostteil der Stadt gelegenen Einrichtungen müssen ein Niveau erreichen, das sie attraktiv macht, nicht nur für Studenten und Forscher aus Berlin und Brandenburg, sondern aus allen Teilen der Republik und dem Ausland.

Befürchten Sie nicht langfristig eine Konkurrenz zwischen FU und Humboldt-Universität?

Ich wünsche mir diese Konkurrenz. Ich wünsche mir, daß die Humboldt-Universität auch einen Maßstab abgibt für die Freie Universität.

Aber ist es denn sinnvoll, gerade die Geistes- und Sozialwissenschaften im gleichen Umfang an zwei Universitäten aufzubauen?

Das ist eine völlig berechtigte Frage. Die Frage ist aber für mich illegitim, wenn genügend Geld da ist. In diesem Falle halte ich Doubletten nicht für schädlich, sondern für nützlich. Ich halte auch den Verbleib der Geistes- und Sozialwissenschaften an der Technischen Universität für notwendig und wünschenswert. Allerdings ergeben sich aus den Restriktionen des Haushalts auch gewisse Notwendigkeiten. An TU und FU gibt es allein 23 identische Studiengänge, und die Restriktionen des Haushalts stellen uns hier eine neue Aufgabe. Die Humboldt-Universität darf nicht nur das an Studiengängen und Schwerpunkten haben, was die beiden anderen ihr übrig lassen.

An der FU gibt es schon Befürchtungen, hinter der Humboldt-Uni zurückstehen zu müssen. Was sagen Sie dazu?

Ich sage, strengt euch an! Leistung! In der Wissenschaft zählt Leistung. Sie wird nicht vom Staat gemessen, sondern von der scientific community. Diese scientific community entscheidet über Leistung und Qualität, und das ist der Maßstab. Der Maßstab ist nicht, inwieweit sich der Einzelne wohlfühlt in dieser Einbettung. Ich möchte diese Befürchtungen nicht herunterspielen, aber ich finde es gut, wenn in dieser Stadt mehr Qualität und Leistung durch Konkurrenz entsteht.

Inwiefern werden sich die Westberliner Hochschulen im Zuge der Neuordnung verändern müssen?

Ich habe mit großem Interesse das Ursprung-Gutachten (von der Vorgängerin Riedmüller in Auftrag gegebene Bewertung der Hochschullandschaft Berlins d.R.) gelesen und meinen Eindruck bestätigt bekommen, daß FU und TU große unbewegliche Tanker sind, die flotter gemacht werden müssen. Patentrezepte kann ich dazu nicht verordnen, schon gar nicht von seiten des Staates. Ich baue hier auf Konkurrenz. Die Humboldt-Universität wird aus all diesen Gründen von mir mit besonderer Sorgfalt bedacht werden.

In den Koalitionsvereinbarungen ist festgeschrieben worden, daß bis Mitte nächsten Jahres ein Hochschulentwicklungsplan vorliegen soll. Ist das nicht viel zu spät?

Sie haben recht, eigentlich müßten wir erst den Hochschulentwicklungsplan haben und dann nach den Maßgaben dieses Plans die Humboldt-Universität neu strukturieren und dann aber auch entsprechende Veränderungen an den anderen Hochschulen vornehmen. Aber wir können uns leider diesen Weg nicht leisten.

Glauben Sie, daß Sie schon vorher einen solchen Entwicklungsplan vorlegen könnten?

Nein, weil ich den nur dann vorlegen könnte, wenn der hier von der Verwaltung erarbeitet werden würde. Und es ist nicht mein Stil, dies nicht im Dialog mit den Betroffenen und Beteiligten zu machen. Ich sehe keine Chance, diesen früher auf den Weg zu bringen. Ich möchte dazu alle Unis nicht nur anhören, sondern beteiligen.

Wann wird das losgehen?

Ich habe meine Abteilungsleiter gefragt, wann wir die Kommissionen einsetzen. Sie haben mir gesagt, das sei wichtig, aber wir hätten zur Zeit noch drängendere Probleme.

Welche sind das?

Beispielsweise die Abwicklung der fünf Fachbereiche der Humboldt-Uni, der HFÖ, das Schicksal der Institute der Akademie der Wissenschaften, der Neuaufbau einer Akademie der Wissenschaften zu Berlin.

Braucht Berlin eine Akademie?

Hier hat die Koalitionsvereinbarung uns einen konkreten Auftrag gegeben, den muß ich bald erfüllen, einfach deshalb, weil die Ressourcen mit einbezogen werden sollen. Um die Projekte nicht zu beschädigen und die bisherigen Westberliner Akademiemitarbeiter zumindest als Reservat für die neue Akademie zu haben, werde ich demnächst eine Planungskommission einberufen.

Wer sitzt in der Kommission.

Wichtige Persönlichkeiten außerhalb dieses Hauses, eine Kommission von Wissenschaftlern, die dem Staat einen Vorschlag machen.

Denken Sie auch an Herr Professor Albach, den ehemaligen Präsidenten der Westberliner Akademie der Wissenschaften?

Selbstverständlich.

Werden auch Ostberliner Wissenschaftler dabei sein?

Davon gehe ich aus.

Bleiben wir bei den schwierigen Personalfragen. Wer wird in den Berufungs- und Strukturkommissionen der Humboldt-Uni vertreten sein.

Ich lege Wert auf Kontinuität, ich werde die Fäden, die meine Vorgängerin gesponnen hat, weiterspinnen. Namen kann ich noch nicht nennen. Ich wünsche mir eine Dominanz der auswärtigen Wissenschaftler, wobei ich auch internationale Wissenschaftler gewinnen möchte.

Wird es dieses Jahr keine Immatrikulationen an den drei neuen Fachbereichen der Humboldt-Uni geben?

Das weiß ich noch nicht, ich hielte es für schlecht. Immatrikulationsstopp ist immer ein Signal, das irritiert. Es wäre für die Humboldt-Uni wichtig, ihren Goodwill nicht zu schwächen, sondern zu stärken. Die Studenten werden künftig die Wahlfreiheit haben, dorthin zu gehen, wo es ihnen am attraktivsten erscheint. Wenn es nach mir geht, wird die Zentrale Vergabestelle für Studienplätze (ZVS) abgeschafft, was sofort möglich ist. Ich würde gerne eine Situation haben, in der Studenten »Humboldt« bewußt wählen.

Das heißt, Sie wollen die Humboldt-Uni gegenüber den anderen Ländern ganz stark profilieren?

Ja.

Wenn die ZVS abgeschafft wird, werden die guten Universitäten überlaufen sein.

Man kann die ZVS nur dann abschaffen, wenn die Zahl der Studienbewerber die vorhandenen Plätze nicht übersteigt. Dann wünsche ich mir für die guten Unis einen örtlichen Numerus clausus und daß nach Maßstäben der Unis ausgewählt wird. Ein ZVS-Zuweisungsverfahren gibt es nirgendwo auf der Welt, das haben sich die perfektionistischen Deutschen ausgedacht.

Sie kommen aus Baden-Württemberg, dort gibt es eine enge Verbindung zwischen Forschung und Industrie. Streben Sie das für Berlin auch an?

Universität ist kein Selbstzweck, sie hat auch der Gesellschaft zu dienen. Wirtschaft ist ein Teil dieser Gesellschaft. Wenn Wissenschaft nicht innovativ ist, dann wird sich die Wirtschaft nicht entwickeln. Für mich ist die Wissenschaft der Schlüsselbereich schlechthin. Wissenschaft muß ihre gesellschaftliche Aufgabe, der Wirtschaft Impulse zu liefern, wahrnehmen. Deswegen werde ich den Technologietransfer mit allen Mitteln unterstützen. Aber, das muß ich dazu sagen, es gibt Bereiche, wo man Wissenschaft auf gar keinen Fall nur unter Nützlichkeitsaspekten sehen darf. Geistes- und Kulturwissenschaften haben für mich einen Wert an sich, und es ist unzulässig zu hinterfragen, was diese Wissenschaft nützt. Die Kultur kann nur bestehen, wenn sie zweckfrei ist. Es gehört zum menschlichen Sein, daß auch das Schöne, Nutzlose gebraucht wird. Deswegen werden die Geistes- und Kulturwissenschaften von mir ohne Rücksicht auf diese Nützlichkeitserwägungen gefördert werden.

Anders werden Sie die Sache wohl im Bereich der Naturwissenschaften sehen. Was würde Berlin hier guttun?

Berlin guttun würde ein Forschungsreaktor am Hahn-Meitner- Institut, Bessy II als Elektronenspeicher. Berlin guttun wird ein Klinikum Buch mit einem biomedizinischen Forschungszentrum. Und man sollte nicht vergessen, daß es an TU und FU hochqualifizierte Wissenschaftler gibt. Ich möchte meine Förderung dorthin lenken, wo gute Wissenschaft betrieben wird. Wir müssen personenbezogen fördern: Wer gute Arbeit leistet, der soll gefördert werden. Darüber entscheidet nicht der Staat, sondern die scientific community.

Was soll das im konkreten Fall bedeuten: Wollen Sie jedesmal die scientific community — wer immer das sein mag — zusammenrufen?

Nicht die gesamte, aber ich werde dann jeweils ein Gremium hochrangiger Experten und Wissenschaftler berufen, die eine gutachterliche Äußerung abgeben, oder ich werde den von mir sehr geschätzten Wissenschaftsrat um eine Stellungnahme bitten oder auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft.

In der Koalitionsvereinbarung ist auch die Rede von einem neuen Hochschulgesetz. Kaum ist die letzte Novelle verabschiedet, schon wieder eine Reform?

Das ist für mich eine schwierige Frage, weil ich es bislang nur von außen kenne. Ich würde viel lieber eine gewisse Organisationsruhe hier walten lassen, aber mir wird immer wieder gesagt, die Strukturen, wie sie durch die jüngste Novellierung geschaffen wurden, seien hinderlich. Ich selbst kenne das Gesetz noch nicht gut genug, um zu wissen, was ich verändern möchte. Ich werde veranlassen, daß dazu eine Kommission eingesetzt wird.

Aber gibt es in Ihrem Ressort nicht wichtigere Probleme?

Ich kann darauf nur allgemein antworten: Rechtliche Regelungen braucht es nur dann, wenn die Partizipationsmöglichkeiten soweit im Vordergrund stehen, daß die Orientierung an der Effektivität verlorengegangen ist.

Das heißt, Sie wollen die Mitbestimmung wieder zurückdrehen?

Es könnte sein, daß es Regelungen gibt, die Mittelmäßigkeit fördern — dann müßte eine Änderung vorgenommen werden.

Kommen wir zum heikelsten Thema: zum Geld. Berlin muß sparen, und Wissenschaft und Kultur sind traditionell Bereiche, in denen der Rotstift zuerst angesetzt wird. Wo wollen Sie die nötigen Gelder etwa für die Neustrukturierung der Hochschullandschaft hernehmen?

Sie haben recht: ein Parlament neigt dazu, in diesen Bereichen zu sparen. Der alte Senat hat ja schon eine Ausgabensperre von 11,5 Prozent für alle Verwaltungen verhängt. Ich halte es für einen Fehler, Wissenschaft und Kultur hier voll einbezogen zu haben. Ich werde mich dafür einsetzen, daß die Auflage nicht in dieser Höhe realisiert wird — sie kann das meiner Meinung nach auch gar nicht. Wir müßten eigentlich in den Bereichen ansetzen, wo Flexibilität besteht, beim Mittelbau und bei den Studenten, und das halte ich für falsch. Für die Zukunft setze ich sehr stark auf Drittmittelfinanzierung.

Haben Sie denn schon einen Überblick über die Ihnen zur Verfügung stehenden Mittel?

Nein, bis jetzt gibt es hier im Haus nur Schätzwerte. Klar ist nur: die ungeheure Last, die auch im Hochschulsektor etwa durch die Akademie-Institute auf uns zukommt, kann das Land Berlin ohne Bundesmittel nicht tragen. Das ist nicht nur eine Frage des Hochschulbauförderungsgesetzes oder der Förderung von Großforschungsanlagen wie des HMIs. Wir brauchen spezielle bilaterale Finanzierungen, die uns der Bund ermöglicht.

Droht nicht trotzdem die Gefahr einer Umverteilung von West- nach Ost-Berlin?

Ich hoffe nicht. Es wäre für die Westberliner Einrichtungen zutiefst deprimierend, wenn sie beschnitten werden müßten. Aber ich schließe es nicht aus, daß am Ende eine solche Situation entstehen könnte. Interview: Anja Baum/

Kordula Doerfler

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