: »Diese Lächerlichkeit muß endlich aufhören«
■ Fünf AmerikanerInnen in Berlin über ihre nationale Identität, ihre Nation im Krieg und über Deutschland
Während Deutschland von oben, von der meinungsforscherisch erpreßten schweigenden Mehrheitsmeinung oder von außen zusammengeschweißt werden soll (ohne Blut, ohne Tränen), scheint Amerika, glaubt man den TV-Berichten, als begeisterte Soldatenfamilie zusammenzustehen und Fähnchen zu schwenken.
Um dem vergeblich repräsentativen Meinungsbild etwas entgegenzusetzen sollen fünf eher zufällig zusammensitzende AmerikanerInnen in Berlin auf diesen Seiten zu Wort kommen. Agie Reeves, Rik Maverik und Deedee Slash, Curt Klotzle und Joy Curtler sind um die dreißig, sind zwischen anderthalb und neun Jahren in Berlin, arbeiten als TheaterregisseurIn oder -schauspielerIn, als Komponist, Übersetzer oder Journalist. Niemand kommt aus New York. Sie sind mehr oder weniger zufällig in Berlin gelandet. »Weil Kalifornien zu langweilig war« oder weil sie deutsch besser als französisch konnten, weil sie sich verliebten oder hier einen Job fanden. Übereinstimmend sagen sie, daß ihnen erst hier, zwischen Berlinern, aufgegangen sei, was es heißt, Amerikaner zu sein, was es heißt, eine andere kulturelle Vergangenheit zu haben, was es heißt, als Kind andere Fernsehfilme gesehen zu haben. Wie sprechen AmerikanerInnen über ihre nationale Identität, über ihre Nation im Krieg und über Deutschland?
Kriegsbeginn
Rik: Ich hab' mit ein paar Leuten CNN gesehn und hab' gesagt: Oh, CNN wird den ganzen Krieg machen. Ich hab' immer gesagt: ‘Oh no.‚ Ich wollte das rationalisieren und mir sagen, die machen das, und ich weiß, wieso die das machen, und ich versteh' George. Ich wollte nicht allzu sentimental sein, aber meine menschliche Seite hatte immer gesagt, nein das machen sie nicht, das trauen sie sich nicht, sie werden nicht mit diesem Scheiß anfangen. Ich hatte mir gewünscht, daß sie das nicht machen würden. Daß sie das Embargo aufrechterhalten, daß sie keine B-52 schicken würden. Wir haben 1991!! Hiroshima liegt hinter uns. Das Zeitalter der Helden ist vorbei!
Deedee: Als der Krieg anfing, habe ich meine Mutter in den Staaten angerufen. Ich weiß gar nicht warum; es war diese Sekunde von Wahnsinn. Wie kann man schlafen, wenn so etwas passiert?
Curt: Ich dachte, wenn es anfängt, werde ich wahrscheinlich heulen. Als es dann wirklich angefangen hat, war es soweit weg, daß ich es nicht nachempfinden konnte.
Curt: Das hatten sie ja auch vorher gesagt: Sie wollen einen Krieg ohne Tränen. Man sieht nichts davon, was im Irak passiert. Man weiß die ganze Zeit, daß man nichts von der Wahrheit sieht. Deshalb guck' ich inzwischen auch kein Fernsehen mehr. Und deshalb reagiere ich wahrscheinlich auch ziemlich kalt. Man sieht nichts, was die Emotionen betrifft. Wenn die ganze Welt sich aufregt über sieben Bomben, die auf Israel fallen, möchte ich wissen, wie die reagieren würden, wenn sie sehen würden, was im Irak passiert.
Agie: Der Feind Kommunismus war besiegt, und deshalb mußten sie möglichst schnell einen anderen Feind finden und einen möglichst ekelhaften dazu. Saddam kam ihnen wie gerufen.
Rik: Wir wissen alle, daß es wichtige ökonomische Gründe für diesen Krieg gibt. Saudi-Arabien und Kuwait haben riesige Investitionen in den USA. 50 Prozent der Banken würden zusammenstürzen, wenn diese Länder ihr Geld zurückziehen. Und die da sterben, sind das Volk.
Kriegsberichterstattung
Deedee: Uns wird von den Fernsehstationen vorgeschrieben, was wir zu denken haben, was wir zu tun haben, wann wir zu lachen, zu weinen haben, wofür und wogegen wir zu sein haben ...
Rik: CNN, CBS und NBC — direkt aus Washington DC.
Agie: Kurz vor Beginn des Kriegs haben sie auf CNN eine Amerikanerin gefragt, ob sie den Krieg unterstützen würde. Sie hat gesagt: »Ja, auf jeden Fall« und »Vielleicht gibt es ja Leute, die gerne 3 Dollar für Benzin bezahlen würden, ich gehöre nicht zu denen.« Deedee: Das Fernsehen ist ein Grund dafür, daß die Amerikaner so tun, als wenn sie einverstanden sind. Es ist so ähnlich wie mit den Leuten im Osten, denen man vorwirft, jetzt das bekommen zu haben, was sie haben wollten: Helmut Kohl hat gesagt 1:1, und die Leute haben das geglaubt. Bei uns ist das derselbe Wahnsinn. Ich bin froh, nicht in Amerika zu sein. Mit dem deutschen und dem französischen Fernsehen habe ich das Gefühl, besser informiert zu sein.
Joy: Es sind nicht nur die Medien, die die Kriegsbegeisterung auslösen. Die Entfernung ist zu groß zwischen Amerika und dem Golf. Deshalb befürworten so viele Amerikaner, ohne zu denken, den Krieg. Habt ihr die gefangenen Piloten im Fernsehen gesehen?
Agie: Ich dachte da zuerst: wenn ein Flugzeug abstürzt, passiert den Leuten ja auch was. Ich hab' da nicht an Folter gedacht, sondern: ha!, damit haben die bestimmt nicht gerechnet und: die sind bestimmt nicht mehr so geil auf den Krieg. Die konnten es ja gar nicht erwarten, bis dieser Krieg beginnt.
Curt: Sobald ich Mitleid mit ihnen verspürte, war ich aber auch gleichzeitig sauer, daß sie die anderen nicht zeigen und nur Propaganda damit machen, daß sie die irakische Seite nicht zeigen.
Deedee: Ich finde das auch ganz komisch, daß es Gesetze gibt, die erlauben, daß sich die Leute gegenseitig umbringen, aber wenn die Soldaten dann aus irgendwelchen Gründen nicht umgebracht werden, sollen sie ganz sanft behandelt werden. Ich empfinde kein Mitleid für diese Menschen, weil das sind Soldaten, und sie haben versucht, andere umzubringen.
Agie: Aber sie sind doch instrumentalisiert worden. Die wollten doch nur auf Staatskosten ausgebildet worden.
Rik: George Bush will sich einen Platz in der Geschichte sichern; das ist alles. Und man sieht ja, wer davon profitiert: Alle paar Minuten wird die Kriegsberichterstattung unterbrochen für Wirtschaftsnachrichten.
Die senden zwar nicht mehr 24 Stunden, aber wart nur ab, bis sie die Giftbomben auf Tel Aviv werfen ...
Deedee: Oder Atombomben auf den Irak.
Agie: Die würden sagen, das geschieht ihnen recht.
Deedee: Nein! Die Leute, die jetzt noch einverstanden sind, würden weinen. Leute, die darüber nicht weinen, können einfach aufgeben.
Kinder im Krieg
Rik: Was mich entsetzt, wenn ich CNN sehe, sind die ganzen Kinder, die mit dieser Propaganda abgefüllt worden sind. Und ihre Eltern erzählen ihnen, daß der Krieg gleich vorüber sein würde und für eine gute Sache wäre.
Rik: Du hast Vietnam gesehen, ich hab' Vietnam gesehen. Erinnere dich doch: A bodybag is a bodybag. Wenn du tot bist, bist du tot. Das muß man den Kindern beibringen. Das ist die einzige Möglichkeit, diesen Horror zu stoppen.
Ich habe diese weißen Laken hier gesehen in den Kindertagesstätten; vielleicht ist das Kitsch, aber es gibt wenigstens Leute, die den Kindern sagen, was los ist. Ich unterstütze die Kinderpropaganda, die ihnen sagt, daß sie nicht im Krieg sterben sollen. Darum geht es: George Bush ist ein erledigter Fall, Saddam ist ein erledigter Fall — das sind kranke Männer, die erkrankt sind an dem patriarchalischen System, in dem wir leben, und nie fähig waren, da rauszukommen. Das ist eine Art Schwanzvergleich: ein Krieg zwischen Männern. Beide sind Arschlöcher. Du brauchst jemanden, der ihnen sagt: Stop that Wahnsinn!
Agie: Laßt uns an die Kids in der ganzen Welt denken, die Kids in der Schule. Was macht der Krieg mit ihnen? Wenn wir nicht aufpassen, produzieren wir neue Männer, die so sind wie Saddam und George. Aber wir hätten vorher was tun müssen.
Rik: Nein, gerade jetzt. Jetzt fühlt sich Amerika so grandios. Du denkst, was ist das für ein großes, mächtiges Land, wenn du auf der Golden Gate Bridge stehst und singst: »This land is my land, this land is your land ... « Du mußt gegen den Sinn solcher Sachen kämpfen; du mußt das den Kindern erklären: diese ganzen Bomber. Das repräsentiert wenigstens 2.000 Jahre männlicher Herrschaft über diesen Planeten. Ich meine, ich hab' ziemlich lange getrunken und meinen Spaß gehabt. Eine gute Zeit meines Lebens liegt hinter mir. Aber die Kinder! Immer wenn ich ein Kind auf der Straße sehe, bin ich völlig gegen den Krieg. Diese Lächerlichkeit muß aufhören, und ich muß meinen Teil dazu beitragen.
Joy: Die meisten Kriege sind Männerkriege. Ich will auch, daß die Kinder zum Frieden erzogen werden. Aber ich war auch ein Jahr in Israel. Israel wird möglicherweise angegriffen und muß sich verteidigen. Da gibt es kaum eine Möglichkeit, Kindern klarzumachen, daß Krieg schlecht ist. Sie lernen das in der Realität, aber gleichzeitig müssen sie alle — Männer und Frauen — für lange Zeit in die Armee gehen, und zur Armee zu gehen, heißt Krieg, Kämpfen, nicht Ende des Krieges.
Deedee: Ich finde das großartig, daß Eltern ihre Kinder dazu bringen, mitzumachen; aber es ist als Mittel gegen die jetzige Situation einfach lächerlich.
Demos gegen den Krieg
Rik: Es gibt ja einen Unterschied zwischen amerikanischen und deutschen Demos. Hier gibt es zu viele verschiedene Forderungen in einer Demo. Die einen sagen: ‘Laßt uns über Antiimperialismus reden‚, die anderen sagen: ‘Es geht allein um Frieden.‚ In Amerika ist man da leidenschaftlicher.
Deedee: Die Politiker in Amerika haben auch mehr Angst, Stimmen in ihren Bezirken zu verlieren. Genau aus diesem Grund würde ich in Amerika auf die Straße gehen. Hier habe ich das Gefühl, daß sich die Politiker nicht so sehr um Demos kümmern.
Agie: Daß der Vietnamkrieg auf öffentlichen Druck hin beendet wurde, war einer der seltenen Siege der Demokratie.
Deedee: Während des Vietnamkriegs habe ich verweigert. Meine Eltern hatten in der Nachbarschaft Geld gesammelt, um die Verweigerer aus dem Land zu schaffen. Damals haben die Leute auch direkt gemerkt, daß viele Soldaten nicht zurückkamen. Das ist im Moment noch undenkbar.
Curt: So wie ich das sehe, war der Golfkrieg unvermeidlich, weil der Hussein immer mehr Macht bekam. Deswegen finde ich viele dieser Demos naiv, weil sie nur den Wünschen gehorchen. Sie nennen keine Alternativen.
Rik: Aber jemand muß auf die Straße gehen. Es muß noch andere Zeichen geben. Ich kann Gandhi nennen, und jeder sagt: ‘Oh, Rik, hör doch auf.‚ Aber es gibt keinen anderen Weg. Hier demonstriere ich zwar nicht, aber wenn ich in San Francisco wäre, würde ich zu jeder Demo gehen.
Agie: Ich bin auf keiner Demo gewesen und habe auch nicht vor, auf eine zu gehen. Ich glaube nicht mehr, daß meine Anwesenheit auf einer Demo irgend etwas verändern kann. Mir persönlich gibt das auch kein befriedigendes oder gutes Gefühl mehr. Vor zehn Jahren bin ich auf jeder Demo dabeigewesen.
Ich glaube auch nicht, daß für den Krieg jemand verantwortlich ist und daß George Bush das in seiner Macht hätte. Wenn Helmut Kohl die Macht hätte, würde er auch diesen Krieg führen. Von daher finde ich die Einstellung, daß die bösen Amerikaner am Krieg schuld sind, falsch. Ich finde, das ist ein Kriegsspiel: zwei kleine Jungs im Sandkasten sozusagen, die sich gegenseitig mit Sand beschmeissen.
Rik: Das ist doch falsch. Ich könnte meinen Pessimismus genießen und sagen, es ist Armageddon und Blablablablabla und nichts machen und denken, Demos und solche Sachen sind sinnlos. Die Theatergruppe, der ich angehöre, macht ein Antikriegsstück, und wir hoffen, daß das den Leuten die Augen öffnet. Ich bin Regisseur, also Propagandist, und muß etwas machen. Vielleicht bekommen wir noch eine neue Chance, und dieser Scheiß wird nicht noch einmal passieren.
Deedee: Demos haben gegenüber Politikern nur funktioniert, wenn sie aus dem Entsetzen kamen und illegal waren. Mich wundert, daß die deutschen Demos so ruhig und ordentlich sind.
Agie: Ich glaube nicht, daß man was machen kann, solange die Mehrheit der Menschheit Arschlöcher sind.
Rik: Aber die Mehrheit der Menschen sind Frauen! Und irgendwann wird es eine andere Sichtweise geben. Ich möchte nicht ruhig am Tisch sitzen und sagen, man kann nichts tun.
Vielleicht endet der Krieg auch damit, daß auf der einen Seite Weiße, auf der anderen Seite Schwarze sind. Vielleicht endet er auch damit, daß jemand George Bush zwischen die Augen schießt.
Antiamerikanismus
Deedee: Ich fühle mich nicht vom sogenannten Antiamerikanismus berührt. Die amerikanische Regierung ist gemeint. Auf der anderen Seite ist es wohl einfacher, auf jemanden zu zeigen, um sich aktiv zu engagieren. Vielleicht geht es auch darum, von der deutschen Mitverantwortung für diesen Krieg abzulenken. Außerdem ist es typisch deutsch, nicht dann spontan zu reagieren, wenn es notwendig ist, sondern erst lange zu diskutieren.
Agie: Wenn es der Protest degen den amerikanischen Kulturimperialismus ist, gibt es gute Gründe, antiamerikanisch zu sein. Andererseits kam auch die Protestbewegung aus Amerika.
Deedee: Ich bin in einer Gegend großgeworden, an der Ostküste in North-Carolina, wo es eine sehr starke Rassentrennung gab. Ich bin dort mit Antiamerikanismus aufgewachsen. Das hieß für mich tatsächlich: weiße Macht und Ausbeutung in jeder Art und Weise.
Aber inzwischen fühle ich mich auch persönlich betroffen: In der TU haben mich vor kurzem Araber mit Messern bedroht. Die hielten mich für einen GI.
Rik: Ich habe mit einigen Studenten aus dem Libanon geredet und versucht, ihnen zu erklären, daß das ein Teil des Krieges gegen Schwarze ist. Sie waren dann ruhig. Ich hab' ihnen gesagt: Schaut ein bißchen, wie ich bin. Ich bin Amerikaner, aber ich bin schwarz. Ich trag' eine Baseballmütze, weil ich das mag. Wenn ich einen langen Stasimantel tragen würde, würde mich wahrscheinlich keiner anmachen.
Agie: Wovor ich als Amerikanerin wirklich Angst habe, ist, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und Opfer eines Anschlages zu werden. Ich würde zum Beispiel niemals jetzt zur amerikanischen Army Base gehen, um einzukaufen. Ich bin aber genauso gegen Amerika als Weltpolizist wie alle anderen. Milliarden gehen in den Krieg, während Amerika von innen nach außen verrottet. Die Städte sind absolut verfault, die stinken bis zum Himmel. agent provocateurs: Anja Baum und Detlef Kuhlbrodt
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