: Kein Wasser unterm Kiel
Massenentlassungen in Mecklenburg-Vorpommern angekündigt Die traditionelle „Neptun“-Werft in Rostock steht vor dem Aus ■ Von Harald Schultz
Hamburg. Jürgen Krackow ist erst seit dem 2. Januar als Vorstandssprecher der ostdeutschen Werften im Amt. Er befolgt die Empfehlungen des italienischen Staatstheoretikers Niccolo Machiavelli für einen Fürsten, der gerade seinen Thron bestiegen hat: Er begeht die Grausamkeiten gleich zu Beginn. Zehntausende von Entlassungen kündigte Krackow am Freitag in Hamburg an. Vor allem die „Neptun“-Werft in Rostock sei nach über 140jähriger Geschichte „höchst gefährdet“, sagte Krackow.
Erdrückende Altlasten verbauen Perspektive
Grundlage der Entscheidung ist ein Gutachten der Unternehmensberater Roland Berger und Partner sowie Mummert und Partner. Darin heißt es, eine Zukunft hätten die Ostwerften nur, wenn die „Altlasten“ in Höhe von 6,6 Milliarden Mark von der öffentlichen Hand oder der Treuhand übernommen würden. Die Summe setzt sich danach bis 1993 zusammen aus 4,3 Milliarden Mark Auftragsverlusten, 1,7 Milliaden Mark Altkrediten, 400 Millionen Mark Investitionen für Umweltschutz und Fertigstellung sowie 200 Millionen Mark „Konversionskosten“. Damit kommen auf den Steuerzahler Milliardensummen zu — es sei denn, die Bundesregierung sagt nein. Im vergangenen Jahr war das Schiffbaukombinat der DDR mit Werften und Zulieferern in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden, die der Treuhand gehört. Die Holding bekam den Namen DMS, Deutsche Maschinen- und Schiffbau AG. Die neuen Chefs kamen unter anderem aus westdeutschen Werften und Reedereien. Die neue Holding schweißt vor allem für die Sowjetunion Schiffe zusammen. In dem Gutachten heißt es dazu lapidar: „Ein längerfristig gültiges Risiko liegt in der Finanzierung der UdSSR-Aufträge, die bislang nicht verbindlich gesichert ist.“ Das betrifft unter anderem die Volkswerft in Stralsund, die Fischtrawler für die Sowjets baut.
Mit erheblich weniger Personal erheblich weniger produzieren
Die Unternehmensberater zeigen zwar Möglichkeiten auf, die Verluste zu verringern, doch das geht nach ihren Berechnungen alles nur mit erheblich weniger Personal — das dann auch erheblich weniger produziert. Außerdem soll die Effizienz verbessert werden, unter anderem durch eine „Verschmelzung“ der Neptun- Werft mit der Warnow-Werft in Rostock. Obendrein sollen die Materialkosten gesenkt, die Produktionsabläufe gestrafft und die Eigenproduktion verringert werden. Bisher gossen die Firmen jede Schraube selbst, weil sie keine Zulieferungen bekamen. Kurz vor der Währungsunion hatte das alte DDR-Management noch Aufträge in D-Mark und Dollar mit westlichen Reedern abgeschlossen, die die Unternehmensberater jetzt als kurzfristig existenzgefährdend bezeichnen. Die Auftäge liegen vor allem bei Neptun, bei der Warnow-Werft und bei der Mathias-Thesen-Werft in Wismar. Insgesamt 70 Schiffbauverträge müßten neu verhandelt werden, weil sie bei einem Erlös von 1,4 Milliarden Mark 1,3 Milliarden Mark Verlust bringen würden. So seien bei 31 Schiffen allein die Materialkosten deutlich höher als die Erlöse, 20 seien davon noch nicht begonnen worden. Die Sowjetaufträge belasten auch die Elbe-Werft in Boizenburg östlich von Hamburg. Sie baut ausschließlich Fahrgastschiffe für die Flüsse der UdSSR und „ist damit extrem gefährdet“, hieß es. Angesichts freier Kapazitäten in Warnemünde und Wismar sei eine Verlagerung der Produktion dorthin sinnvoll, selbst wenn es gelänge, den Absatz und die Finanzierung zu sichern.
Die 1866 gegründete Roßlauer Schiffswerft an der Elbe nördlich von Dessau hat vor allem Binnenschiffe für die UdSSR gebaut. Sie liege zu ungünstig und habe nur begrenzte Möglichkeiten, schrieben die Gutachter. Die Produktion solle nach Wolgast in Vorpommern verlagert werden. Die Peene-Werft dort hat vor allem für die Volksmarine garbeitet. Das ist vorbei. Die Berater empfehlen, Küstenmotorschiffe und kleine Spezialschiffe dort zu bauen. Ein Partner sei immerhin in Sicht.
In Mecklenburg-Vorpommern sind bis 1994/95 vermutlich die Hälfte der Arbeitsplätze im Schiffbau verschwunden. Ministerpräsident Alfred Gomolka, der dem Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft der Deutschen Maschinen- und Schiffsbau AG (DMS) angehört, sagte: „Es ist eine abnorme Situation, die absolut unkonventionelle Schritte erfordert.“ Nach Angaben von Krackow decken bei den ostdeutschen Werften die Erlöse nicht einmal die Materialkosten. Aus den laufenden Aufträgen entstehe der DMS ein Verlust von vier Milliarden DM. Der Vorstand wolle jetzt versuchen, diese Summe zu halbieren. ap
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