piwik no script img

Der Tagebau frißt Niederlausitzer Dörfer

Devastierung: Dörfer südlich von Cottbus werden abgerissen/ Den Alten fällt der Abschied von der Vergangenheit schwer/ Der Kampf der Sallgaster Bürgerinitiative gegen den Abriß der 750-Seelen-Gemeinde hatte Erfolg  ■ Von Peter Jähnel

Finsterwalde. Das kreischende Geräusch der Sägen in dem Niederlausitzer Dorf Klingmühl bei Finsterwalde ist verstummt, fast alle Bäume sind gefällt. Jetzt sind Abrißkolonnen am Werk, vollenden die Zerstörung. Devastierung heißt der bergmännische Fachausdruck. Auf deutsch heißt das so viel wie Verwüstung. Der Braunkohle-Tagebau frißt sich so langsam in die Dörfer südlich von Cottbus in Brandenburg. Die noch etwa 30 vorwiegend älteren Bewohner von Klingmühl müssen bis Ende April ihren Heimatort und ihr Zuhause verlassen haben. 270 sind bereits schon vor ihnen gegangen.

Der Braunkohle-Tagebau Klettwitz-Nord rückt unerbittlich voran und hat schon die ersten Häuser am Dorfrand erfaßt. Wenn die neue Abraumförderbrücke, die jetzt in das 100 Meter tiefe Riesenloch eingefahren wurde, im Frühjahr ihre Arbeit aufnimmt, wird die Zerstörung noch viel schneller vorangehen. Gegenwehr hat hier bereits keinen Sinn mehr. Der Ruf nach Kohle — wenn auch vorläufig noch ohne ein Energiekonzept — war stärker.

Auf diese Weise sind seit 1986 in der Region Cottbus bereits 37 Dörfer und kleinere Ansiedlungen vom Erdboden verschwunden. Bis Mitte der 90er Jahre sollen hier weitere 30 aus der Landschaft und für immer verschwinden. Und was wird mit den betroffenen Menschen? Ihnen muß geholfen werden, sagt der evangelische Pfarrer Klaus Geese aus der Klingmühler Nachbargemeinde Sallgast. Besonders die Alten seien im Zusammenhang mit dem Verlust von Heimat völlig hilflos. Gemeinsam mit einer Gruppe engagierter Leute will der 36jährige Seelsorger eine Erinnerungsschrift anfertigen, „damit die Entwurzelten ihr Klingmühl nicht für immer vergessen müssen“. Die Schrift wird Beiträge über die Geschichte des Ortes nach 1945 enthalten, aber auch über die Ur- und Frühgeschichte der Region um Cottbus. Ein Geologieteil ist ebenfalls vorgesehen. Und natürlich werden Fotos und Anekdoten nicht fehlen. Pfarrer Geese sieht dieses Projekt auch als ein Stück Trauerarbeit an. Der Verlust eines Teils der Heimat, sagt er, sei für viele gleichbedeutend mit dem Verlust eines nahen Menschen. Das sei bisher zuwenig berücksichtigt worden.

Ursprünglich sollte die Erinnerungsschrift auch für die Gemeinde Sallgast geschrieben werden. Jedoch war der Kampf der Sallgaster Bürgerinitiative gegen den Abriß der 750-Seelen-Gemeinde von Erfolg gekrönt. Ende Juni 1990 fiel die Entscheidung, den Kohle-Tagebau um das Dorf herumzuführen. dpa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen