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Einer der schwersten Atomunfälle: „Zwischen Biblis und Harrisburg“

■ Der Unfall galt vor Jahren noch als unmöglich/ Auch Franzosen hatten im vergangenen Jahr Probleme mit Wärmetauschern/ Sicherheitsstudien müssen neu geschrieben werden

Atomreaktoren sind sicher, erzählt uns die Atomindustrie. Bestimmte Unfälle können gar nicht passieren, und die restlichen sind beherrschbar.

Das Platzen eines Wasserrohrs im Dampferzeuger eines Druckwasserreaktors (DWR) gehörte lange zu den ersteren: Es durfte theoretisch nicht passieren. Dann war diese Annahme nicht mehr zu halten: Das Unfallszenario Wasserrohrbruch wechselte die Kategorie, das spontane Platzen eines Rohrs im Dampferzeuger gehört heute offiziell zu den 10 bis 15 üblen Fällen, die zum GAU führen können. Die Wahrscheinlichkeit aber, beruhigen uns die Betreiber zum Beispiel im Biblis-B-Störfallszenario, ist „extrem niedrig“.

Bislang blieb die Atomindustrie von diesem Unfall verschont. Jetzt ist es aber passiert: Ein Rohrbruch verursachte beinahe den japanischen GAU, sehr beinahe sogar. Vom größten anzunehmenden Unfall war der Reaktor Mihama 2 nicht so weit entfernt wie Biblis vor drei Jahren, meint Michael Sailer vom Darmstädter Öko-Institut. Was einstmals nicht sein konnte, ist in Japan erstmals passiert. Dreißig bis vierzigtausend Liter Notkühlwasser müssen zum größeren Teil verdampft und durch die Sicherheitsventile entkommen sein. Der Unfall sei „genau nach Drehbuch verlaufen“, wie ihn Kritiker schon länger prophezeit hätten. „Es kann da relativ viel Radioaktivität in die Umgebung abgegangen sein“, sagt Sailer. Die von den Japanern angegebenen Werte seien wohl in jedem Fall zu niedrig. Der Atomphysiker sieht sich bestätigt: AKWs haben zu viele sicherheitstechnische Macken, deshalb müsse man sie alle abschalten. Ein Druckwasserreaktor der Westinghouse-Bauart verfügt über drei Wasserkreisläufe. Im Primärkreislauf wird das Wasser direkt von den radioaktiven Brennelementen aufgeheizt, der Dampf ist hochradioaktiv. Im Wärmetauscher gibt der radioaktive Dampf seine Hitze an einen nicht radioaktiven Wasserkreisklauf ab, der dann die Turbinen zur Stromerzeugung antreibt. Der stromerzeugende Dampf wiederum wird vom Wasser des dritten Kreislauf gekühlt. Der Dampferzeuger, in dem es in Japan gekracht hat, ist seit mindestens einem Jahr als Sicherheitsproblem der Druckwasserreaktoren bekannt. 1990 hatte der französische Reaktorbetreiber EDF vermehrt Verformungen und Risse an den Rohren der DWR-Dampferzeuger gemeldet und ein baldiges Auswechseln angekündigt. Eben solche Risse haben offenbar in Japan zu dem Unfall geführt.

Mit rund 40 AKWs ist Japan der viertgrößte Atomstromproduzent weltweit. Mindestens 22 davon sind Druckwassereaktoren, fast alle vom heimischen Großkonzern Mitsubishi gebaut. Für sie und die anderen 230 Druckwasserreaktoren, die weltweit in Betrieb sind, müssen die Sicherheitsgutachten neu geschrieben werden. Sicherheitsgutachten in der Atomindustrie geben das Risiko einzelner Unfälle schon traditionell zu niedrig an. Atomphysiker Sailer hat beobachtet, daß nach jedem größeren Unfall die Eintrittswahrscheinlichkeiten für den GAU nach oben korrigiert werden.

Sicherheitsanalysen dienen mehr zur Beruhigung der Ingenieure als zur Abschätzung des wirklichen Risikos. Diesmal haben die Ingenieure im AKW den Reaktor „zwischen Biblis und Harrisburg“ noch aufhalten können, unkt Sailer . Doch das radioaktive Atom schlägt den Sicherheitsingenieuren immer wieder ein Schnippchen — und der nächste Unfall kommt bestimmt.

Hermann-Josef Tenhagen

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