: Der ganze zweifelhafte Bach
■ Sechs BWV-Kantaten, die wohl doch nicht von Bach sind: demnächst in Bremen welturaufgeführt und auf CD eingespielt
hierhin bitte das
Foto von den zwei
Herren am Tisch
Bernhard Heß, Wolfgang HelbichFoto: schak
Es gibt Bach-Kantaten, sechs an der Zahl, die sind gar nicht von Bach. Sie sind trotzdem, unter Numero 217 bis 222, im Bach-Werke-Verzeichnis (BWV) registriert. Es gibt davon keine Partituren, niemandhat sie je gehört. Jetzt auf ein
mal sollen sie in Bremen gar auf CD eingespielt werden. Über all diese Geheimnisse sprach die taz mit Bernhard Heß, Sänger des Alsfelder Vokalensembles, der auch dessen Geschäfte führt, und mit unserem Domkantor Wolfgang Helbich, der diesen Chor nebenberuflich leitet.
taz: Wenn selbst das Bach- Werke-Verzeichnis nicht mehr stimmt, woran kann man dann noch glauben?
Wolfgang Helbich: Das könn'se so nicht sagen. Das BWV hat, als Sammelverzeichnis, erstmal alles aufgenommen, was in Frage kam. Bei unseren sechs Kantaten gab es aber von Anfang an Zweifel.
Die Nummern 218 und 219 sind von Telemann.
Bernhard Heß: Ja, das weiß man seit den Fünfzigern, als man unter den Kantaten, die Telemann für Eisenach geschrieben hat, zwei sehr ähnliche entdeckte.
Und die anderen? Wenn ich behaupte, die sind doch von Bach, was sagen Sie dann?
WH: Einen Urheber zuzuordnen ist immer auch kriminalistische Kleinarbeit; da läßt sich schwer was beweisen. Nehmen Sie die Kantate 150 von Bach, eine seiner schönsten. Da gibt es heute noch Zweifel...
Weil da der Bach ganz wie ein andrer klingt?
WH: Ja.
BH: Dazu hat er noch von anderen alles, was er interessant fand, abgeschrieben. Das erhöht die Verwirrung: Sachen in seiner Handschrift, aber nicht von ihm.
WH: Aber die Kantaten mit unbekannter Urheberschaft, die gehen schon fast ins Rokoko über. Die sind in einem absolut homophonen Stil geschrieben, stark oberstimmenbetont, mit noch simplen Bässen. Das wäre sehr ungewöhnlich für Bach.
Aber warum sind Kantaten, die von Bach wenigstens sein könnten, noch niemals aufgeführt worden?
WH: Das frag ich mich auch. Das ganze zweifelhafte Bach-Werk: sobald klar war, es ist nicht von ihm, war's weg.
Verdrängt?
WH: Ja!
BH: Ich weiß nicht. Da geht's auch ums Geld. Die Plattenfirmen haben kaum Interesse an einem „unechten Bach“.
WH: In Klammern: selbst echte sind ja nicht grad der Renner.
Aber gesungen hat sie auch niemand.
WH: Richtig. Die ersten vier gab es ja nur in einer Studienpartitur. Wer sie aufführen wollte, hätte die Stimmen erst abschreiben müssen. Eine Riesenarbeit. Und die letzten zwei existierten überhaupt nur handschriftlich.
Und Sie haben jetzt die Schufterei unternommen.
BH: Das war mühsam! Kopieren und schnipseln und so. Am Ende hatten wir wenigstens einen Musikcomputer. Da mußten wir nur die Stimmen einzeln herunterspielen, der hat sie gesetzt.
WH: Ist das nicht irre?
BH: Und bei einer Handschrift fehlt ein Stück Text. Wir haben in Warschau nachgeforscht, wo laut BWV noch eine Abschrift existiert. Aber in der, stellte sich heraus, fehlt die selbe Stelle.
WH: Jetzt müssen wir dichten.
Und am Donnerstag ist schon Konzert.
WH: Ja, im Sendesaal von Radio Bremen. Am nächsten Tag beginnen dort die Aufnahmen. Radio Bremen macht die ganze Technik.
Wo haust einstweilen der ganze Chor?
WH: Die kommen erst am Mittwoch. Wir haben aber am Wochenende schon geprobt. Ansonsten sind das ganz fitte Blattsänger und können sich auch selber vorbereiten. Anders wäre dieses Alsfelder Vokalensemble gar nicht lebensfähig. Unsere Leute kommen ja von überall in der Republik, das ist ein reiner Reisechor.
Wo erscheint die CD?
BH:Bei „cpo“, das ist ein junges Unternehmen, was ausschließlich Werke macht, die sonst auf dem Plattenmarkt nicht zu bekommen sind.
Halsbrecherisch! Und einen Sponsor haben Sie auch?
BH: Ja, die Firma Buderus.
Ausgerechnet?
BH: Ja, für die ist das auch neu.
Was wünschen sich die von Ihnen?
BH: Nichts Unmögliches. Eben möglichst oft genannt werden.
Hiermit schon wieder geschehen. Wieviel zahlt die Firma?
BH: Ein Viertel unserer Kosten.
Die sind wie hoch?
BH: Naja, so um die 75.000 Mark. Interview: Manfred Dworschak
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