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...auf der Startbahn sprießen die Sträucher

■ Mit Interflug verliert der Flughafen Schönefeld seinen größten Kunden/ Im Senat fürchtet man einen »Geisterflughafen«/ In Tegel drängeln sich die Fluggesellschaften, nach Schönefeld will keiner/ Fluggesellschaften fürchten den Stasi-Charme

Berlin. Zwischen den Betonplatten der Landebahnen sprießen die Sträucher, wo die Düsenflieger auftankten, nisten Vögel. Diese Vision vom Flughafen Schönefeld dürfte vorerst keine Wirklichkeit werden. Doch ganz unberechtigt ist die Befürchtung nicht, aus dem größten Airport der ehemaligen DDR könnte bald ein Geisterflughafen werden. »Die Sorge besteht schon«, heißt es im Berliner Senat. Nachdem die Zahl der Flüge schon in den letzten Monaten ständig gesunken war, droht der Schönefelder Flughafengesellschaft mit dem Ende der Interflug nun der Verlust des größten Kunden.

Noch verbreitet die Geschäftsführung der Schönefelder Flughafen- Gesellschaft unverdrossen Optimismus. Innerhalb von vier Monaten könne das Loch gestopft werden, das der Absturz von Interflug verursache, ließ Airport-Direktor Wolfram Apitzsch gestern verbreiten. Entlassungen unter den 1.380 Mitarbeitern seien unwahrscheinlich, nur über Kurzarbeit müsse möglicherweise nachgedacht werden.

Diese frohe Botschaft will man im Rathaus Schöneberg nicht so recht glauben. Von den 2.100 Starts und Landungen, die im Januar auf den beiden Schönefelder Rollbahnen gezählt wurden, hatte allein die Interflug 975 abgewickelt, wird in Schönefeld bestätigt. Daneben sind es vor allem osteuropäische und arabische Gesellschaften, darunter zwei ägyptische und eine syrische, die Schönefeld anfliegen. Westdeutsche und -europäische Airlines sind bisher kaum im Anflug. Nur einige Chartergesellschaften lassen hier ihre Ferienflieger starten und landen.

Die Schönefelder Flughafengesellschaft hatte in diesem Jahr eigentlich den großen Aufschwung erwartet. »Eng« könne es im Laufe des Jahres werden, prognostizierte Airport- Chef Matthias Prokoph noch im September in einem Gespräch mit der taz. In Wahrheit entsteht bisher nur auf dem Westberliner Flughafen Tegel großes Gedränge — obwohl der inmitten von dichtbesiedelten Wohngebieten liegt und die Anwohner seit Jahren über den wachsenden Lärmterror klagen.

Mit täglich 360 Starts und Landungen muß Tegel in diesem Winter pro Tag fast ebensoviel Betrieb bewältigen, wie Schönefeld in einer ganzen Woche. Für den Sommerflugplan rechnet die Berliner Flughafen-Gesellschaft, so Sprecher Wolf- Dieter Schultze, mit täglich 429 Flugbewegungen in Tegel. »Das ist dann das Ende«, warnt Schultze. Mehr könne Tegel auf keinen Fall aufnehmen, Schönefeld sei neben Tempelhof die einzige Alternative.

Flughafen Tegel mit den Kräften am Ende

Tegel läuft über, Schönefeld blutet aus. Selbst die Lufthansa, die sich schon früh in Schönefeld engagierte, verlegt ihre New-York-Flüge im Sommer von Schönefeld nach Tegel. Auch in Luftfahrtkreisen fürchtet man, daß im Sommer in Tegel ein »Chaos« ausbricht, trotzdem hält sich hartnäckig die Abneigung gegen Schönefeld. »Dort riecht es nach Desinfektionsmitteln und Urin«, heißt es abschätzig, »die Passagiere müssen durch die Stasi-Schleuse.« Das könne man den Fluggästen nicht zumuten, ohne sie an die Konkurrenz zu verlieren.

Pläne für neue Abfertigungsgebäude und zur Sanierung einer alten Startbahn, die bei großer Sommerhitze immer wieder gesperrt werden muß, liegen längst in der Schublade. Doch die Treuhandanstalt hat die insgesamt 270 Millionen Mark, die dafür fließen müßten, bis heute nicht bewilligt. Im Senat kolportiert man auch die Gründe für diese abwartende Haltung: Die Treuhand mißtraue den beiden Schönefelder Flughafen-Bossen Prokoph und Apitzsch, die sich aus alten Interflug- Tagen in die Chefetage des Airports gerettet hatten.

Neue Chefs könnten erst dann eingesetzt werden, heißt es, wenn die Länder Brandenburg und Berlin den Flughafen übernehmen und ihn in eine Holding einbringen, die dann alle drei Flughäfen im Großraum betreibt: Tegel, Tempelhof und Schönefeld. »Umgehend« müßten diese Schritte folgen, warnen Experten. Doch die brandenburgische Landesregierung hält sich bisher zurück. Sie fürchtet immense Kosten, falls unter dem Flughafen eines Tages größere Altlasten — etwa ein unterirdischer »Kerosinsee« — entdeckt würden. Diese Frage sei »noch nicht geklärt«, sagt Lutz Wunder, der persönliche Referent von Verkehrsminister Jochen Wolf (SPD).

Im Berliner Senat teilt man diese Befürchtungen nicht. Vertraglich lasse sich durchaus regeln, daß die Sanierungskosten von der gemeinsamen Holding getragen werden müßten. Je 37 Prozent der Anteile der Holding sollten Berlin und Brandenburg tragen, 26 Prozent die Bundesregierung in Bonn, sagt Wunder. In gleicher Weise könnten auch anfallende Kosten geteilt werden, empfiehlt man im Rathaus Schöneberg.

»Die Entscheidung liegt jetzt bei Brandenburg«, heißt es in Berlin. Doch auch der Berliner Senat muß offensichtlich einige Hausaufgaben nachholen. Die Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters Eberhard Diepgen hat die Schönefeld- Frage zwar zur »Chefsache« erklärt und der Verkehrsverwaltung verboten, sich zu diesem Thema zu äußern. Eigene Initiativen hat Diepgen bisher aber noch nicht zuwege gebracht.

Senat immer noch untätig

Die Tegeler Flughafen-Gesellschaft hatte schon letzte Woche empfohlen, die Schönefeld-Frage in einem Spitzengespräch zwischen Diepgen und Ministerpräsident Manfred Stolpe zu klären. Bisher jedoch ist »weder ein Spitzengespräch anberaumt worden, noch ist irgend etwas in Vorbereitung«, heißt es in der Senatskanzlei.

Dabei müßte allen klar sein, daß dringend etwas geschehen muß. In dieser Ansicht sind sich die Fluggesellschaften, die Flughafenchefs von Tegel und Schönefeld sowie die lärmgeplagten Anwohner des Flughafens Tegel ausnahmsweise einig.

Diese Ansicht scheint jetzt sogar im Bundesverkehrsministerium in Bonn zu reifen. Bisher hatten sich die Bonner Beamten strikt geweigert, dirigistisch in den Berliner Flugverkehr einzugreifen und Flüge von Tegel nach Schönefeld zu verlegen. Alle Starts und Landungen, die die Fluggesellschaften für Tegel beantragt hatten, wurden auch für Tegel »genehmigt wie beantragt«. Das EG- Wettbewerbsrecht lasse nichts anderes zu, hieß es zur Begründung. Jetzt prüft das Bonner Ministerium, ob man bei der EG-Kommission in Brüssel eine Ausnahmegenehmigung beantragen sollte, um Tegel vor dem Überlaufen zu bewahren und Schönefeld vor dem Ausbluten zu schützen. Auf »Beamtenebene« seien sich Senat und Bundesregierung mittlerweile einig, sagen Eingeweihte. Künftig sollten in Tempelhof die Turboprop-Maschinen starten und landen, und Tegel werde für die restlichen Inlandsflüge reserviert. Internationale Destinationen müßten von Schönefeld bedient werden.

Solange das nicht geklärt ist, gibt es immerhin einen kleinen Hoffnungsschimmer für Schönefeld. Ab April will die Lufthansa von Schönefeld aus auch nach Frankfurt, Düsseldorf und Köln starten, jeweils zweimal täglich. Südlich von Berlin, sagt Sprecher Burkhard Kieker, gebe es durchaus ein »Potential« an Kunden für diese Dienste. Hans-Martin Tillack

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