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Nebensaison in Frankenmuth, Michigan

■ Die Urenkel fränkischer Einwanderer als krachlederne Anhänger George Bushs/ „Ein bißchen mehr für die Kriegskasse rüberschicken“

„Hi, ich bin John, ich bediene sie heute abend.“ John trägt kurze Lederhosen und ein grünes Tirolerhütchen auf dem Hinterkopf, schließlich sind wir im „Bavarian Inn Motel“ von Frankenmuth, einer Art bayerischer Disneyland-Diaspora im nördlichen Michigan. An der Wand hängen bunte Bauerngemälde von Gunzenhausen, Germany. Dort im mittelfränkischen Kreis Ansbach hatte nämlich für die Vorfahren der heutigen Einwohner von Frankenmuth Mitte des 19. Jahrhunderts das große Abenteuer Amerika begonnen. Damals hatten sich Pastor Wilhelm Löhe und 15 fränkische Familien, sei es wegen der religiösen Schikanen daheim, sei es nur aus Abenteuerlust, ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten aufgemacht. Die Vereinigten Staaten zählten damals soviel Einwohner wie heute der Irak: rund 17 Millionen. Doch Kellner John versteht heute nicht einmal mehr den Unterschied zwischen dem Frankenmuther Pilsener und dem ebenfalls ortseigenen Dunkelbier. „Das ist heute alles sehr verwässert“, sagen die Männer vom Stammtisch in „J. R. Ridicons Main Store Tavern“ auf der Hauptstraße — und meinen damit nicht nur das Bier, sondern auch die fränkischen Traditionen.

Sie alle haben im Elternhaus noch Deutsch gelernt, bis in der Dorfschule nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch auf Englisch unterrichtet wurde. Als die Brauerei Heilemann in den späten 50er Jahren von einer US-Firma übernommen wurde, mußte Joe, der dort seine Instruktionen traditionell auf Fränkisch gegeben hatte, noch einmal umlernen. „Doch heute“, betonen die betagten Frankenmuther der vierten oder fünften Generation mit nur noch leichtem deutschen Akzent, „sind wir alle Amerikaner.“

Nehmen wir nur den Golfkrieg. Da unterscheiden sich die Meinungen der Frankenmuther nicht einen Deut von denen in jeder anderen Gemeinde des ländlichen Amerikas. Natürlich muß diesem „Saddam Insane“ oder wie der heißt, Einhalt geboten werden, meint einer der älteren Herren, die nun vom Biberfang zur internationalen Politik übergewechselt sind. „Amerika kriegt doch hier nur wieder die Prügel ab, in Wirklichkeit ist das doch ein Ding dieser UNO“, meint sein Nachbar. „Aber mit dem Bodenkrieg warten sie besser noch 'ne Weile, ehe sie unsere Jungs da einfach so reinmarschieren lassen“, sagt Joe, dessen Großvater als kriegsgefangener Nazi lieber in Amerika geblieben ist. „Die Iraker werden in diesem Luftkrieg schon die Schnauze von Saddam vollkriegen und rebellieren“, hofft Joe auf die Effekte der Bombardements. Aber die Deutschen, deren Sprache offiziell nur noch in der Sonntagsmesse der lutheranischen Kirche gesprochen wird, „die könnten schon ein bißchen mehr für die Kriegskasse rüberschicken.“

Und wenn ich die Meinung der Zugereisten haben wolle, dann solle ich nebenan in Willy Beckers Fleischerei fragen gehen. Willy ist nach seiner Zeit bei der Bundeswehr Anfang der 60er Jahre nach Frankenmuth ausgewandert. „Ich bin der einzige Deutsche hier“, grenzt sich der Inhaber der gutgehenden Metzgerei mit angeschlossener Wurstfabrik von den Alteingesessenen ab. Und doch fühlt auch er sich im Golfkrieg als richtiger Amerikaner, der seinem Präsidenten in der Kriegsführung zustimmt. Wohl kein anderes Land assimiliert und akzeptiert seine Immigranten so schnell wie diese neue Heimat in Michigan.

Nein, schlecht geht es den alten und neuen Franken hier auf der flachen Halbinsel zwischen dem Michigan und dem Hudson-See wirklich nicht. Mit jährlich drei Millionen Besuchern des zwiebelgetürmten und dirndlgekleideten Bayernidylls, seinen Holzschnitzereien, Wurstboutiquen und Hummelfigurengeschäften ist Frankenmuth der populärste Tourismusflecken des Bundesstaates. „Im Sommer bleiben wir alle zu Hause“, berichten die Einwandererenkel und -urenkel, „da können Sie hier vor Touristen nicht treten.“

Letztere füllen sogar noch zur Nebensaison das „Bavarian Motor Inn“ jenseits der Holzbrücke. Hier im alpinen Idyll mit durchgängiger Weihnachtsatmosphäre scheinen sich die Wochenendausflügler aus Detroit von den Strapazen der Kriegsberichterstattung erholen zu wollen. „Vom Krieg“, so der in seinen Krachledernen etwas unbeholfene John, „will hier keiner was wissen.“ Rolf Paasch

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