: Zu kleine Brötchen gebacken
■ Ein Tag auf dem Arbeitsgericht: 400 Mark Abfindung für einen fristlos gefeuerten Bäcker/ Grund für Kündigung war nur vorgeschoben/ »Wohlwollendes Zeugnis« für eine entlassene Polytechnikerin
Tiergarten. Auf dem Arbeitsgericht in der Lützowstraße: Ein dreiviertel Jahr nach seiner fristlosen Kündigung hat der Bäcker Max Müller* heute endlich einen Termin. Müller wurde im Juli vergangenen Jahres von der Geschäftsführung der Back- GmbH »Libelle« in Lichtenberg mit der Begründung vor die Tür gesetzt, er habe zu kleine Brötchen gebacken. Der Bäcker, der sich unschuldig fühlt, wollte die Brötchen sehen. Vergebens: Sie seien schon verkauft, lautete die lapidare Auskunft des Chefs. Müller war sofort sonnenklar, daß der Betrieb nur einen Vorwand gesucht hatte, um ihn loszuwerden. Schließlich mußte das ehemalige Backkombinat personell abspecken.
Der Termin auf dem Arbeitsgericht dauert eine knappe Viertelstunde: Der Geschäftsführer der »Libelle« Back-GmbH erklärt sich ohne großes Federlesen bereit, Müller 400 Mark Abfindung für die zwei Wochen zu zahlen, die der Bäcker nach der fristlosen Kündigung im vergangenen Sommer arbeitslos war. Das Geld bekommt er gleich im Gerichtssaal vom Rechtsanwalt des Geschäftsführers in die Hand gedrückt.
»Besser kann's mir doch nicht gehen«, raunt Müller der taz-Reporterin zu und schiebt die vier Blauen strahlend in sein Herrentäschen. Der Grund: Der geschiedene Ehemann und Vater von drei Kindern arbeitet inzwischen bei einer Firma in Britz als Fahrer und verdient dort mit 2.100 Mark netto 800 Mark mehr als in dem Backkombinat. Die Frage, ob die Brötchen zu klein waren oder nicht, hatte in der Verhandlung keine Rolle mehr gespielt. »Selbst wenn die Brötchen zu klein waren«, so der Arbeitsrichter Reinhold Gerken, hätte dieser Leistungsmangel allenfalls eine Abmahnung, aber keine fristlose Kündigung zu Folge haben dürfen«.
Die 38jährige Polytechnikerin Ulrike Kirsch* aus Lichtenberg hat weniger Grund zum Lachen. Die geschiede Mutter eines Kindes ist ihren Arbeitsplatz in dem Chemie-Elektro-Kohle-Werk Lichtenberg seit dem 17. Oktober 1990 los. Die Kündigung erfolgte fristgerecht. Außerdem wurde für die langjährige Betriebsangehörige ein Sozialplan erstellt. Der sieht vor, daß sie in den kommenden drei Jahren bei fortdauernder Arbeitslosigkeit oder für den Fall einer Umschulung ein Überbrückungsgeld in der Höhe von 90 Prozent des alten Lohns erhält.
Die Polytechnikerin, die seither arbeitslos ist, begründete ihre Kündigungschutzklage gegen das Chemie-Werk damit, daß Unternehmen habe bei den Entlassungen die falsche Sozialauswahl getroffen. Der Arbeitsrichter Gerken, dem eine Liste der nicht gekündigten ArbeiterInnen vorliegt, gibt der Polytechnikerin recht: »Statt Ulrike Kirsch,« so Gerken, »hätte die 32jährige Hilde Schmidt*, die verheiratet ist, zwei Kinder hat und zwei Jahre kürzer in dem Betrieb arbeitet, gekündigt werden müssen.«
Doch diese Erkenntnis nützt Ulrike Kirsch wenig. Die Rechtvertreterin des Chemie-Werks macht keinen Hehl daraus, daß Ulrike Kirsch bei einer möglichen Weiterbeschäftigung sofort als Kurzabeiterin eingestuft und im Sommer ein zweites Mal entlassen würde. »Der Sozialplan«, so die Rechtsvertreterin, »wäre damit hinfällig, weil er nur für die Entlassungen im vergangenen Jahr gilt.« Ulrike Kirsch verzichtet auf die Weiterbeschäftigung und bekommt dafür von dem Chemiewerk ein »wohlwollendes Zeugnis« versprochen. plu
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