piwik no script img

US-Offizielle: Bunker war keine Kommandozentrale

■ Militärs: Zerstörte Luftschutzanlage diente Familien von irakischen Offiziellen/ Beginn des Bodenkriegs vielleicht schon an diesem Wochenende?

Nach Aussagen führender Vertreter des Pentagon sowie des US-Oberkommandos im saudiarabischen Riad war der am Dienstag in Bagdad zerstörte Bunker keine militärische Kommando- und Kommunikationszentrale, wie von der Bush-Administration behauptet, sondern diente als Luftschutzanlage für irakische Offizielle und ihre Familien. Auch die Berichte zahlreicher Journalisten, die die Bunkeranlage kurz nach der Zerstörung besichtigten, widersprechen der Darstellung der politischen und militärischen Führung der USA. Die US-Regierung erklärte, die Luftangriffe würden unverändert weitergehen. Die heftigen Reaktionen auf die Zerstörung des Bunkers, bei der nach letzten Informationen mindestens 288, wahrscheinlich jedoch 400 Zivilisten ums Leben kamen, erhöhen den Druck auf Präsident Bush, mit Bodenangriffen gegen die irakischen Truppen in Kuwait sehr bald zu beginnen.

Die 'Los Angeles Times‘ zitiert in ihrer gestrigen Ausgabe Vertreter des Pentagons und westlicher Geheimdienste. Nach ihren Aussagen diente der Bunker als Luftschutzanlage für „Familien der irakischen Elite“, darunter führende Vertreter der regierenden Baath-Partei. Von dem Bunker aus verliefen unterirdische Verbindungswege zu Villen in der Nachbarschaft, darunter einem häufig von PLO-Chef Arafat benutzten Gästehaus der irakischen Regierung. Arafat habe sich auch am Tag der Bombardierung des Bunkers in Bagdad aufgehalten. Nach Angaben eines „hohen Vertreters“ des militärischen US-Oberkommandos in Riad gegenüber der britischen Zeitung 'Independent‘ war die Bombardierung des Bunkers „ein schwerer Fehler“. Die US-Air-Force sei davon ausgegangen, daß sich in dem Bunker Mitglieder der irakischen Militärführung aufhielten, nicht jedoch, „daß sich darin eine militärische Kommando-und Kommunikationszentrale befand. Niemand hier glaubt an die offizielle Version, die in den nächsten Tagen sicher geändert wird“, zitiert der 'Independent‘ den US-Militärvertreter in Riad.

Reporter der BBC, des US-Fernsehsenders ABC, der taz und anderer Medien, die den Bunker wenige Stunden nach Zerstörung ausführlich besichtigen konnten, fanden keinerlei Hinweise auf eine Funktion als militärische Kommando- und Kommunikationszentrale. BBC-Korrespondent Jeremy Bowen nannte es „ausgeschlossen“, daß die Irakis entsprechende Spuren in der kurzen Zeit hätten beseitigen können, wie von der Bush-Administration behauptet. Der Darstellung von Pentagon-Sprecher Generalleutnant Kelly, die Schilder in der Umgebung des Bunkers mit der arabischen und der englischen Aufschrift „Air Shelter“ seien erst wenige Tage vor der Bombardierung aufgestellt worden, widersprachen auf der Pressekonferenz des Pentagons am Donnerstag mehrere Journalisten, die sich in der letzten Zeit in Bagdad aufgehalten haben. Unter Hinweis auf entsprechende Praktiken nach dem Abschuß eines koreanischen Jumbo-Jets im Jahre 1987 verlangten die Journalisten die Veröffentlichung von Geheimdiensterkenntnissen als Beleg für die offizielle Version der US-Regierung. Dies lehnte das Pentagon ab.

Das Pentagon und das Weiße Haus erklärten, auch nach dem Tod der Zivilisten würden die Luftangriffe weitergehen. Eine „Veränderung der Zielplanung“ sei „nicht vorgesehen“. Unter Berufung auf seinen Informanten berichtet der 'Independent‘ jedoch, daß vor allem zwischen US- und saudischen Luftwaffenoffizieren in Riad in dieser Frage seit einiger Zeit Differenzen bestünden, die durch das Massaker noch verschärft wurden. So sei der Kommander der alliierten Luftwaffen am Golf, US-Generalleutnant Chuck Horner, ein „Technologie-Freak“, der auf die Fortsetzung der Luftangriffe gegen Bagdad bestehe. Der Kommandeur der saudischen Luftwaffe, General Ahmed Al Baheri, dränge hingegen auf den Beginn des Bodenkrieges gegen irakische Truppen in Kuwait. Für dessen Beginn als deutliches Signal an die arabische Welt, daß das Ziel des Krieges die Befreiung Kuwaits und nicht die Zerstörung Iraks sei, sprachen sich auch westeuropäische Diplomaten in Washington aus. Sie befürchten, daß die Bush-Administration die „brisante Stimmung“ vor allem in den nordafrikanischen Maghreb-Staaten „vernachlässigt“.

Der Oberkommandierende der britischen Streitkräfte erklärte inzwischen, das Datum für den Bodenkrieg sei „festgelegt“. In Washington hatte es bislang geheißen, eine entsprechende Entscheidung sei noch nicht gefallen. Doch inzwischen mehren sich die Signale, daß der Bodenkrieg vielleicht schon dieses Wochenende beginnt: Die Pentagonangaben über zerstörte irakische Panzer haben sich innerhalb einer Woche auf „mindestens 1.300“ verdoppelt. Damit seien bald 50 Prozent der Panzerkraft zerstört, was immer als entscheidende Marge für den Beginn von Bodenattacken genannt wurde. Ähnliches gilt für die Infanteriefahrzeuge und die Artilleriefahrzeuge der Irakis. Mit der „USS Amerika“ ist in der Nacht zum Freitag der vierte Flugzeugträger vom Roten Meer in den Golf eingelaufen. Die Wetterbedingungen sind in diesen Tagen besonders günstig für den Einsatz von Nachtsichtgeräten und amphibische Landungen an der kuwaitischen Küste. Andreas Zumach, Washington

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen