Die irakischen Kurden: Zwischen den Fronten
■ Im Nordirak fallen die Bomben nicht zuletzt auf die Städte der Kurden. Dennoch unterstützt die irakisch-kurdische Opposition den Krieg gegen Saddam Hussein: Von seinem Sturz erhofft sie sich Demokratie und die langersehnte Autonomie.
Einen Monat lang wütet nun der Krieg am Golf, und wieder einmal sitzen die Kurden zwischen allen Fronten, droht das Volk in der Bergregion des Irak, der Türkei und des Iran zwischen Mächtigeren zerrieben zu werden. Seit Jahrzehnten die einzig ernstzunehmende innenpolitische Opposition gegen die Diktatur der Baath-Partei und Saddam Hussein, werden nun auch Kurden zu Opfern ihrer „Befreier“. Die alliierten Bomberflotten verschonen auch das kurdische Siedlungsgebiet im Nordirak nicht. Bereits in den ersten zwei Tagen, also noch bevor der Stützpunkt Incirlik in der Türkei zum Einsatz kam, waren auch die hauptsächlich von Kurden bewohnten Städte Suleimaniya und Kirkuk Ziel der amerikanischen Luftangriffe.
Über die Zahl der zivilen Opfer dieser Bombardements allerdings gehen die Angaben — wie aus anderen Gebieten des Irak auch — weit auseinander. Mindestens 2.000 kurdische Zivilisten sind seit Kriegsausbruch von amerikanischen Bomben getötet worden. Das melden die Frankfurter Hilfsorganisation Medico International sowie ein Berliner Vertreter der „Kurdistan-Front Irak“ — ein Zusammenschluß aller im Irak agierenden kurdischen Parteien, zu denen vor allem die „Patriotische Union Kurdistans“ (PUK) unter Jelal Talabani und die „Demokratische Partei Kurdistans“ im Irak unter Massud Barzani gehören. Das Berliner Komitee verweist vor allem auf kurdische Opfer in Kirkuk, Suleimaniya und Raniya. Vor den Bombardements hätten Flugzeuge der alliierten Streitkräfte jedoch Flugblätter abgeworfen, in denen sie die Bevölkerung aufforderten, sich von Zielen der Angriffe fernzuhalten, damit sie nicht getroffen würden. Ziele der alliierten Luftangriffe seien vor allem staatliche Institutionen und Nachrichtensender gewesen, berichtete ein Vertreter der Kurdistan-Front Irak gegenüber der taz.
Massud Barzani, Nachfolger seines legendären Vaters Mustafa als Chef der Demokratischen Partei Kurdistans (siehe Kasten), sprach gegenüber der Tageszeitung 'Washington Post‘ von etwa 3.000 toten oder verwundeten kurdischen Zivilisten infolge der Bombenangriffe. Wieviele davon getötet wurden, konnte allerdings auch Barzani nicht präzisieren. Ein Mitglied der PUK- Führungsriege, Kemal Fuad, äußerte ebenfalls im Namen des Kurdistan-Komitees Vorbehalte gegenüber den zur Zeit verbreiteten Todeszahlen. Niemand könne dazu wirklich glaubwürdig präzise Angaben machen, obwohl die kurdischen Organisationen über ihre Leute vor Ort relativ gut informiert seien (siehe auch das Interview unten). In ihrer Kernaussage sind sich aber Fuad und Barzani einig: Die Bombenangriffe seien mit erstaunlicher Präzision auf militärische Ziele ausgerichtet gewesen, die Angaben über zivile Tote häufig übertrieben. Trotzdem gibt es natürlich Bombenangriffe, die aus der Sicht der meist mit den Alliierten sympathisierenden irakischen Kurden Freunde statt Feinde treffen. Solches „friendly fire“ hat nach Angaben Fuads im Kirkuker Kurdenviertel Rahimawa mindestens 50 Tote gefordert, und auch Barzani berichtet von einem Bombardement der Allianz auf eine Kleinstadt östlich von Erbil, Harir, wo die Amerikaner ein sogenanntes Modelldorf bombardierten und 300 Kurden töteten. Diese Modelldörfer, die von den Kurden Konzentrationslager genannt werden, sehen Militärlagern allerdings sehr ähnlich und wurden von der Irakern zwecks Zwangsumsiedlung der Kurden aus ihren Bergdörfern gebaut.
Ungeachtet der drohenden Gefahr haben einige Kurden im Irak angefangen, einige der 4.000 von der irakischen Regierung zerstörten Dörfer wiederaufzubauen. Nach Angaben von Medico International sind einige Bewohner des grenznahen Badinan-Gebietes, die zwangsumgesiedelt worden waren, nach Kriegsausbruch dorthin ohne staatliche Erlaubnis zurückgekehrt.
Irakisch-kurdische Oppositionelle berichten, die bombardierten Gebiete im Nordirak seien gleichzeitig Zufluchtsort von mindestens zwei Millionen Kriegsflüchtlingen aus Bagdad und anderen Städten. Versorgt würden sie ausschließlich von der kurdischen Bevölkerung, da die irakische Regierung keinerlei Hilfe leiste. Aus Angst vor einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen dem Irak und der Türkei seien auf türkischer Seite dagegen inzwischen drei Millionen Kurden aus dem Grenzgebiet geflohen oder von der türkischen Regierung vertrieben worden, berichtet die kurdische Exil-Organisation Komkar. In der einst von 60.000 türkischen Kurden bewohnten Stadt Cizre wohnen demnach nur noch 10.000 Einwohner, und in Diyarbakir, der größten kurdischen Stadt der Türkei, wo die Allianz nun ihr lokales Hauptquartier aufgeschlagen hat, ist die Hälfte der 600.000 Einwohner gen Westen gezogen. Fluchtziele seien vor allem das Innere der Türkei sowie der Iran und die Sowjetunion.
Eine türkische Intervention im Irak fürchtet auch die Kurdistan-Front Irak. „Das Grenzgebiet ist total militarisiert und alle Vorbereitungen zum Krieg sind getroffen“, erklärt Hasan Yildiz vom Berliner Kurdischen Kultur- und Beratungszentrum. „Würde die Türkei in den Krieg eingreifen, würde sie den irakischen Teil Kurdistans völlig zerstören. Die westliche Welt darf nicht zulassen, daß die Türkei mit ihrer Hilfe die Kurden ausrottet“, appelliert Yildiz. Ein erster Schritt in diese Richtung sei schon mit den amerikanischen Bombern getan, die von türkischen Militärstützpunkten aus Richtung Nordirak starten.
Nicht ganz im Einklang mit der kurdischen Führung der „Front“ im Irak behauptet der Kurde aus der Türkei: „Alle Kurden sind gegen diesen Krieg.“ Tatsächlich ist der Krieg für die Führung der irakischen Kurden natürlich auch die letzte Hoffnung auf eine grundlegende Verbesserung ihrer Situation. Sie, die bisher am schlimmsten unter der Diktatur in Bagdad gelitten haben, drücken nun, Antiimperialismus hin oder her, mindestens klammheimlich den Amerikanern die Daumen.
Ob die Kurden am Ende tatsächlich zu den Gewinnern gehören werden, ist allerdings höchst zweifelhaft. In den letzten 100 Jahren waren sie am Ende immer die Betrogenen. Massud Barzani hat gerade in einem Interview mit der 'Washington Post‘ noch einmal darauf hingewiesen: Die Vereinigten Staaten hätten Iraks Kurden in den vergangenen beiden Jahrzehnten wiederholt „verraten“, außer ihnen seien auch die Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien „moralisch verantwortlich“ für Saddams Verbrechen gegen die kurdische Minderheit. Dafür sollten sie — zusammen mit den Ölstaaten am Golf — auch Entschädigungen leisten.
Gleichzeitig ist Barzani um eine Annäherung an die türkische Regierung bemüht. Deren Entscheidung, zumindest das Sprechen der kurdischen Sprache (wenn auch keine Bücher) zuzulassen, lobte er als „positiven Schritt“ und erinnerte daran, seine Guerilla habe von 1961 bis 1988 die türkisch-irakische Grenze zur Zufriedenheit Ankaras gesichert. „Nach dem Ende des Golfkrieges werden wir wieder die vollständige Kontrolle über die Grenze haben und der (türkischen Guerilla) PKK nicht so einfach erlauben, von Basen innerhalb des Irak zu operieren. Barzani bot der Regierung Özal einen „Dialog in demokratischer Atmosphäre“ an, der „viele Mißverständnisse, Befürchtungen und falsche Vorstellungen“ ausräumen könne. Ein unabhängiger und geeinter Staat aller Kurden sei zwar ihr „natürliches Recht“ — könne aber nicht durch bewaffneten Kampf erreicht werden, sondern „nur, wenn die internationale Gemeinschaft es erlaubt“. Jürgen Gottschlich/Christine Berger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen