: Bankengeschäfte mit der DDR-Pleite
Um die Altschulden für den kommunalen Wohnungsbau abzuzahlen, werden Städte und Gemeinden zu Millionenkrediten bei privaten Banken gezwungen/ Bundesregierung bürgt dafür bei den Banken/ Gemeinden verschulden sich haushoch ■ Von Vera Gaserow
Daß die Städte und Gemeinden in der früheren DDR vor dem Konkurs stehen, gehört beinah schon zum Allgemeinwissen. Doch wenn einer pleite ist, freut sich der zweite — in diesem Fall sind es die Banken. Vertreter verschiedener Kreditunternehmen tingeln derzeit durch die ehemalige deutsche demokratische Republik und bieten den klammen Kommunen Darlehen in Millionenhöhe an. Wichtigster Kreditposten: die Kosten für den kommunalen Wohnungsbestand, der den Gemeinden meistenteils von der Treuhand übereignet wurde. Für den müssen die Städte und Gemeinden jetzt nicht nur die beträchtlichen Betriebs- und Instandhaltungskosten zahlen. Sie sollen im Nachhinein auch für die Baukosten in mehrstelliger Millionenhöhe aufkommen. Als „Retter in der Not“ treten die Banken auf den Plan und machen ein beträchtliches Geschäft: Abgesichert durch eine Bürgschaft des Bundes offerieren sie den Gemeinden Darlehen für den Wohnungsbestand — und heizen mit beträchtlichen Zinsforderungen die Verschuldung der Gemeinden an.
Die — gar nicht freudige — Überraschung für den Bürgermeister der 7.000-Seelen-Gemeinde Colditz, 45 Kilometer südöstlich von Leipzig, kam pünktlich zum Weihnachtsfest. Der Festtagsbraten war noch nicht ganz verdaut, da stand ein Vertreter der Kommunalen Gebäudewirtschaft vor dem Bürgermeisterschreibtisch. Innerhalb einer Viertelstunde sollte Bürgermeister Adolf Haidegger für die Gemeinde einen 12-Millionen-Kredit mit der Deutschen Bank abschließen, rückzahlbar bis zum 31.12.92, vereinbarter Zinssatz 9,75 Prozent. Unterzeichnen sollte der Bürgermeister diesen Millionenkredit als Gegenleistung für insgesamt 96 neuerbaute Wohnungen in seiner Gemeinde, die erst nach der Währungsunion bezugsfertig wurden. Die alte staatliche Wohnungsbaugesellschaft hatte bisher keinen einzigen Pfennig für die Baukosten gezahlt. Nun sollte plötzlich die Kommune dafür zur Kasse gebeten werden. Der Gemeinde gehören die inzwischen längst belegten Wohnungen zwar noch nicht und sie will sie wegen der hohen Betriebskosten auch gar nicht haben. Doch weil sich der frühere Auftraggeber, die Kommunale Wohnungsgesellschaft in Auflösung befindet, hielt man sich an die Gemeinde. Nur steht die, wie viele andere Gemeinden, am Rande der Pleite.
Colditz' Bürgermeister Haidegger verweigerte deshalb die Unterschrift unter den Darlehensvertrag mit der Deutschen Bank. Denn dieser Vertrag hätte der Gemeinde nicht nur auf einen Schlag runde 12 Millionen Mark Schulden eingebracht, sondern sie auch zu jährlichen Zinszahlungen von 1,4 Millionen Mark verpflichtet — eine Summe, die fast den gesamten Gemeindehaushalt für 1991 auffressen würde. Bürgermeister Haidegger: „Ich müßte Schulen schließen, Kindergärten, Kinderkrippen zumachen, bloß um für diesen Kredit zu zahlen, nur damit 96 Familien eine Wohnung haben. Ich würde die Gemeinde damit doppelt so hoch verschulden wie die höchstverschuldete Gemeinde in der Alt- Bundesrepublik. Das kann ich doch nicht machen.“ Die Mieter dieser neuen 60- bis 70-Quadratmeter- Wohnungen zahlen derzeit eine bis zwei Mark Miete pro Quadratmeter. Allein um die Zinszahlungen zu bestreiten, müßte die Gemeinde eine Kaltmiete von 1000 Mark fordern.
Im Gegensatz zum Colditzer Bürgermeister haben viele andere Stadtoberhäupter ähnliche Kreditverträge bereits unterzeichnet. Dr. Volker Thieler, von der Gemeinde Colditz zu Rate gezogener Rechtsanwalt aus München, spricht von mehreren hundert Kommunen, die derzeit mit Banken über ähnliche Kreditverträge verhandeln. Etliche haben schon unterzeichnet, wohl ohne genau zu wissen, was sie da tun und ob sie das überhaupt ohne Zustimmung der parlamentarischen Gremien dürfen. Die Bürgermeister, so Thieler, „werden von den Banken dadurch eingelullt, indem ihnen versprochen wird, daß die Bundesregierung für den Darlehensvertrag die Bürgschaft übernimmt.“ Daß sie sich mit den hohen Zinsen total überschulden, sage ihnen niemand, kritisiert Thieler und spricht von einem „Darlehensskandal“ und einer „riesigen Sauerei“.
Im Bonner Bauministerium sieht man das ganz anders. „Die Gemeinden“, so der zuständige Referatsleiter im Bundesbauministerium, Rolf Renger, „haben in der derzeitigen Situation keine andere Chance, als diese Kredite aufzunehmen, auch im Interesse des Gemeinwohls.“ Bankbürgschaften in Höhe von rund 8 Milliarden Mark wird die Bundesregierung für die kommunalen Wohnungsbauten übernehmen, die nach der Währungsunion fertiggestellt wurden. Weitere 40 Milliarden beträgt das staatliche Bürgschaftsvolumen für die unbezahlten „Altlasten“ des DDR-Wohnungsbaus aus der Zeit davor. Natürlich seien allein die Darlehenszinsen eine „ganz schöne finanzielle Belastung für die Gemeinden“, gesteht man im Bauministerium ein. Aber immerhin werde man mit den Banken ein Moratorium aushandeln. Bis 1993 sollen die Banken den Kommunen die Zinsen stunden. Doch die Zinsschulden der Gemeinden sind damit nur aufgeschoben und sie werden mit dieser zweijährigen Gnadenfrist nicht weniger, sondern mehr.
Für die Deutsche Bank, eine von rund 40 Kreditinstituten, die derzeit — durch eine Staatsbürgschaft abgepolstert — mit den Gemeinden verhandelt, ist das ganze nicht ungewöhnlich. Sicher, der Osten sei schon „ein interessantes Geschäft“, vor allem wenn der Bund als Garant auftritt, aber Kredite anzubieten „ist nun mal unser Geschäft“.
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