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Tennis minus Boris ist nur Federball

■ Stuttgart Classics leiden unter Beckers Abwesenheit Deutsche Spieler schieden nach dem Achtelfinale aus PRESS-SCHLAG

Hans-Jürgen Pohmann, Davis- Cup-Spieler zu einer Zeit, als ein Zuschauer mit dem Kauf einer Eintrittskarte auch das Recht erwarb, in Fragen der Taktik, des Bodenbelags und der Mannschaftsaufstellung ein gewichtiges Wort mitzureden, guckte als Tennisexperte des Bildschirms mißmutig. Gerhard Meier-Röhn, mit seinem Südfunk-Dauerüberträger des (Nicht-)Ereignisses und mindestens so bildschirmophil wie Berti Faßbender, guckte mißmutig. Und Ion Tiriac guckte wie immer. Mißmutig.

Der Grund: Die Woche war versaut. Alle waren davon ausgegangen, daß Glanz auf sie abstrahlen würde. Glanz vom ehrenwertesten, erlauchtesten, allerherrlichsten und rotblondesten Heiligenschein der Republik. Alles war bis aufs i-Tüpfelchen geplant. Nur bis aufs Oberschenkelmuskelchen nicht. Und nun? Kam Boris nicht. Und nichts war mehr wie vorher. Je heftiger sie leugneten, je trotziger sie Durchhalteparolen ausgaben (Radio RT 4, Reutlingen: „Auch ohne B.B. wird in der Schleyer-Halle hochklassiges Tennis geboten!“), desto klarer wurde, was Hallengastronom Ernst Lipps als einziger schon am Dienstag zugegeben hatte: „Das ist wirklich schlecht fürs Geschäft.“

Nicht Veranstalter Ion Tiriac würde Miese machen, der nicht. Der Sechsmillionen-Etat ist durch Fernsehen und Sponsoren dicke abgedeckt. Die 15.000-D- Mark-Logen sind ausverkauft, da bräuchte es keinen einzigen Besucher auf den „billigen“ Plätzen mehr. Aber das Image der Veranstaltung. Leere Zuschauerränge melden dem geübten TV-Konsumenten dekodiert: „Wer nich dabei iss, hat auch nix versäumt.“ Und wenn keiner zuguckt, dann mag Meier-Röhn auch nicht den Bildschirm begrinsen. Und wenn der nicht mehr grinst, dann wollen die Sponsoren nicht mehr sponsern. Und dann wollen Mami und Papi, die mit Tennis eigentlich eh nix am Hut haben, auch nicht mehr ihre Zeit in den teuren Logen vergeuden. Dann bleibt nur noch Roberto Blanco übrig.

Apocalypse now! Und das alles wegen dem rechten Oberschenkelmuskel von Boris. Na gut, es spielen zehn der ATP-Top-Twenty. Aber mal ehrlich, wen interessiert's, ob Stelen gegen Jeeb gewinnt? Ob Muster abmustert, Nargiso in Nargose fällt oder Camporese Langnese schlägt, oder ißt? Oder was?

Wie bitte? Edberg spielt? Die numero uno der Weltrangliste, der alten und neuen. Bei dessen Spielen haben die Zuschauer eine Variante des guten alten Boris-Sublimier-Spiels eingeführt. Statt grenzenlos kraftstrotzend, nicht zu stoppen im Namen von Eurocard, Coke, Opel und Vaterland das Racket schwingend mitzusiegen, heißt es jetzt: gegen Edberg sein!

Irgendjemand muß dem Publikum eingeredet haben, daß eine schnelle Niederlage Edbergs ihm nur wenig Punkte für die berüchtigte Liste bescheren würde und sein Vorsprung auf Becker nicht allzu groß wird. Und wenn dessen Muskel wieder heile ist, könnte er schneller den Rückstand aufholen und somit wieder Nummer eins... Man muß sein Gehirn irgendwie beschäftigen, in bundesligalosen Zeiten, wo sonst einfach gar nichts los ist auf der Welt.

Ob nun Stefan Edberg am Sonntag gewinnt (und im Höchstfall 339 Punkte bekommt), und nun wieder für einige Wochen die Eins bleibt, nur weil Beckers „Regenerationssystem nicht mehr normal arbeitet“ (Tiriac), ist doch völlig unwichtig. Genau wie die Frage, ob Boris Trainer nun Bob Brett heißt oder Berti Vogts oder Inge Meysel.

Tennis in Deutschland ist Boris. Ein Volk sieht rot. Tennis minus Boris ist Federball. Nur wo Boris drauf steht, ist auch Kohle drin. Wir müssen jetzt stark sein und ausharren. Peter Unfried

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