piwik no script img

Bullig in den Bodenkrieg

■ Börsianer spekulieren nicht nur über Aktien: Golfkrieg ist gut fürs Geschäft

Chicago (taz) — Bob Fadijanowitz und sein Kollege sind aus der „Chicago Board of Trade“ mal eben auf einen Drink an die Theke des „Broker's Inn“ hinübergewechselt. Heute mittag war der Markt in den drei Sälen der größten Termin- und Optionsbörse der Welt einfach flau. Ob bei den Terminkontrakten für Weizen, Metallen oder bei den Finanz-Optionen: alles wartet auf den Beginn des Bodenkriegs am Golf. „Hier tut sich heute nichts mehr“, sagt Bob mit einem fachmännischen Blick auf den hinter der Theke flimmernden Börsenbildschirm. Dennoch haben die Männer und Frauen in den bunten Jackets, die sie als Saalhändler einer bestimmten Börse kenntlich machen, in diesen Tagen kaum Grund zur Beschwerde. Bis heute war der Golfkrieg gut fürs Geschäft — und kaum einer erwartet, daß sich dies in den nächsten Wochen noch einmal ändern wird.

„Der Krieg ist doch erledigt“, sagt Bob mit dem Selbstbewußtsein eines Generals Schwarzkopf. Für ihn und seinen Kollegen, die beide mit Aktien-Optionen handeln, ist der bevorstehende Bodenkrieg nur noch eine „mopping up operation“, eine Art Abräumaktion, die ihrer Meinung nach aber auf jeden Fall Saddam Hussein miteinschließen muß.

„Dann hat der Markt alles, was er will“, gibt sich auch Bill Leuwke optimistisch, der in Zimmer 1102 des Hochhauses gleich nebenan eine kleine Börsenfirma betreibt: „Billiges Öl, billiges Geld und Stabilität im Mittleren Osten. Das wird die Wirtschaft schon wieder ankurbeln helfen.“ Wenn der Bodenkrieg in den nächsten Stunden oder Tagen beginnt, so hofft auch Bill Leuwke, wird der Markt nach einer kurzen emotionalen Reaktion wieder dort weitermachen, wo er vor ein paar Tagen seinen Aufwärtstrend unterbrochen hat.

Seit dem Vorkriegs-Tiefstand vom 9. Januar ist der Dow-Jones-Aktienindex in New York um 400 Punkte, und damit um 18,5 Prozent gestiegen. „Der Krieg hat uns den ,Bullenmarkt‘ zurückgebracht“, weist auch die Börsenhändlerin Kay Torshen im Saal der „Midwest Stock Exchange“ auf die (für einige) positive Wirkung der Bombardierung des Iraks hin. Schwierigkeiten mit dem Eindruck, hier als Kriegsgewinnlerin dazustehen, hat die hochspezialisierte Börsenhändlerin nicht. „Ich habe auch 1987 nach dem Crash vom 18. Oktober hier stehen und meinen Kopf hinhalten müssen.“

Die jüngste Rallye bei den Aktienkursen, Terminkontrakten und Optionen hat allerdings tieferliegende wirtschaftliche Gründe. „Nur in den ersten beiden Kriegswochen ist der Markt den Kriegsnachrichten gefolgt“, erklärt Katie Berry, die für eine japanische Bank als „Hedger“ (Risikobegrenzerin) von Finanzoptionen arbeitet. Seitdem schaue man wieder auf die Daten der US-Volkswirtschaft. Daß nicht nur die Aktien des „Patriot“-Herstellers Raytheon oder des bereits auf den Wiederaufbau Kuwaits schielenden Bauunternehmens Bechtel, sondern vor allem die Computerkonzerne IBM und Digital Corporation den Kursanstieg anführen, läßt viele Börsenanalysten an eine mögliche Überwindung der Rezession gegen Ende des Jahres glauben.

Trotz der schlechten Nachrichten aus dem Einzelhandel, dem Bankenwesen und der Autoindustrie scheint der Markt in seiner traditionellen Vorreiterrolle wieder Vertrauen in die Wirtschaft Amerikas gefaßt zu haben. Dieses Vertrauen spricht auch aus den Worten der Stammgäste im „Broker's Inn“. Hier, wo die Börsen-Yuppies des amerikanischen Mittelwestens statt glänzender Gucci-Anzüge noch speckige Glenchecks tragen, wird auch mit einer ganz anderen Direktheit über das Schicksal Saddam Husseins diskutiert als in der prätentiösen Welt der New Yorker Börsenhändler.

Für Bob Fadijanowitz und seinen Kollegen ist der sowjetische Vermittlungsvorschlag schlicht überflüssig. „Jetzt noch aufhören, Waffenstillstand oder gar Verhandlungen, das wäre doch wirklich das Letzte. Reinmarschieren und den Kerl erledigen oder rausholen“, dies sollte ihrer Meinung nach das Ziel der amerikanischen, Entschuldigung, alliierten Politik sein. In diesen Fragen, das ist nicht zu überhören, trifft sich ihre Position als US-Bürger mit der als Börsenhändler. Und an letztere werden sie plötzlich erinnert, als ihr Blick auf die hinter dem Wirt durchlaufenden Aktienkursen fällt. Das Bier stehenlassend, hasten Bob und sein Kollege wieder auf ihren „trading floor“ zurück, um an dem plötzlichen Kursanstieg kurz vor Börsenschluß noch teilhaben zu können. Die Börsen von Chicago marschieren bullig in den Bodenkrieg. Rolf Paasch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen