: Lieber dunkel, naß und teuer
■ Montagsexperten kommen zu Wort HAUPTSTADT GANZ NACKT — FOLGE 5
In manchen Situationen ist es am besten, man steckt die Hände in die Hosentaschen, genießt den Winter, pfeift ein Lied, schaut auf die Welt ringsherum, rechtsherum. Zwei Fernsehtürme hat es dafür in Berlin, und Paris hat nur einen Eiffelturm. Manchmal tut es auch ein Fenster für den Blick auf Potsdam, dahinter märkischer Sand, es folgt Polen und dann immer noch nicht Königsberg. Schade nur, wenn einem eine Brandmauer im Weg ist oder ein Quergebäude mit Fenstern drin, aus denen das Gesäß finsterster und fiesester Nachbarn schaukelt. In solchen Fällen, so ein Berliner Gericht, wenn schlechte Belichtung und Besonnung den Wohnwert trüben, ist eine Mietminderung um 10 Prozent vom Mittelwert des Mietspiegels durchaus gerechtfertigt.
Das klingt nicht nur gerecht, sondern das wird auch vom Kabelanschluß wieder aufgehoben. Beschluß Amtsgericht Tiergarten, zitiert nach Das Grundeigentum, Ausgabe 5, 1990: »Der unstreitig vorhandene Kabelanschluß ist nämlich in einem solchen Maße wohnwerterhöhend zu berücksichtigen, daß er nicht nur die Minderung wegen der schlechten Belichtung und Besonnung der Wohnung aufhebt, sondern auch eine Überschreitung des Mittelwertes um 15 Prozent rechtfertigt.«
Ich habe ja schon immer gewußt, daß die staatlichen Institutionen um Ecken innovativer sind als jeder Politiker, aber diesen Wurf in das Medienzeitalter hätte ich einem einfachen Berliner Amtsgericht nicht zugetraut. Dabei ist die Entscheidung noch gar nichts gegen die Begründung: »Ein erheblicher Teil von Mietern legt so großen Wert auf den Kabelanschluß, daß sich teilweise Mieter zusammenschließen und auf eigene Kosten den Kabelanschluß legen lassen.« Und wer hätte schon von Mietern gehört, die auf eigene Kosten die Parterrewohnung auf das Dach verlegen lassen? Eben, niemand. Die Begründung geht aber noch weiter: »Daraus ist zu folgern, daß Mietinteressenten einen derartigen Wert auf das Vorhandensein eines Kabelanschlusses legen, daß sie dafür andere Mängel in Kauf nehmen und bereit sind, einen erhöhten Mietzins zu zahlen.« Heißt: Der Mietinteressent von heute wohnt lieber dunkel, naß und teuer, solange er Kabelanschluß hat, als hell, trocken und billig, solange kein Kabelanschluß vorhanden ist. Und dieser Gedanke liegt vollkommen auf der Höhe der Medientheorie: Was ist denn schon ein Blick aus dem Fenster, wenn ich im Fernseher die ganze Welt sehen kann? Nichts. Und dieses Nichts heißt Berlin, während die Metropole da ist, wo mein Fernseher steht. Höttges
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