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„Wir können den Frauen nicht sagen, wie es geht“

■ Sind die Strategien der westdeutschen Frauenbewegung angesichts der existentiellen Probleme in der EX-DDR obsolet geworden? Oder geht es Ost wie West um die Umgestaltung von Erwerbs- und Hausarbeit? Die Wissenschaftlerin Christel Eckart plädiert für behutsame Wege der Annäherung

Christel Eckart ist Sozialwissenschaftlerin am Institut für Sozialforschung in Frankfurt a. M.

taz: Was sagt den Frauen, die 40 Jahre Vollerwerbstätigkeit in der DDR auf dem Buckel haben, die Analyse: „Frauen sind Grenzgängerinnen zwischen Beruf und Familie“? Sind die Einschätzungen und Strategien der westlichen Frauenbewegung zur Umgestaltung der Haus- und Erwerbsarbeit angesichts existentieller Probleme nicht Schnee von gestern?

Christel Eckart: Trotz der über 90prozentigen Erwerbstätigkeit der Frauen in der alten DDR hatten auch sie das Problem der Verbindung von Haus- und Erwerbsarbeit zu bewältigen, wenn auch mit anderen Möglichkeiten. Auffallend ist allerdings, wie selbstverständlich für die Frauen diese Verbindung von Berufstätigkeit und Kindern ist. Vielleicht weil ihnen diese Art der Belastung auch immer selbstverständlich geblieben war. Die Diskussion um Arbeitszeitverkürzung — verstanden als Umverteilung der Arbeiten in Familie und Beruf — wurde nicht so stark geführt wie im Westen; die Voraussetzungen der Arbeitszeitgestaltung waren ja auch gänzlich verschieden. Die Frauen in der alten Bundesrepublik haben in den 60er Jahren Teilzeit-Lohnarbeit als Zugeständnis deswegen durchgesetzt, weil sie als Arbeitskräfte gebraucht wurden. Die Frauen in der DDR dagegen hat man mit dem Angebot einer umfassenden Kinderversorgung in die Produktion geholt. Insofern ist die prinzipielle Kritik an der Organisation von Berufsarbeit, die Familienarbeit ausspart und sich in beiden gesellschaftlichen Varianten an männlichen Lebenswegen orientiert, keineswegs Schnee von gestern.

Wir können jetzt sogar in aller Deutlichkeit in den neuen Bundesländern sehen, wie die Frauen Seismographen für dieses Problem sind. Durch den Wegfall von Kinderbetreuung machen die Frauen nun ziemlich kraß das durch, was im Westen unter dem Stichwort „Individualisierung durch den Arbeitsmarkt“ gekennzeichnet wird. Die Frauen müssen jetzt Kinderversorgung als individuelles Problem lösen. Daß Mütter in erster Linie keine Rechte, sondern Belastungen haben, ist ihnen in dieser Form neu. So schilderte zum Beispiel eine arbeitslose Frau mit einem kranken Kind ihre Erwartung an das Arbeitsamt, um eine Unterstützung zu bekommen. Nun muß sie lernen, das kranke Kind möglichst nicht zu erwähnen, weil sie sonst mit einer Sperrung wegen Nichtverfügbarkeit rechnen muß. Viele Frauen konnten gar nicht glauben, daß es in der Bundesrepublik bei Kinderkrankheit nur eine Freistellung von fünf Tagen gibt.

Im Westen gibt es die Erfahrungen mit Frauenzentren, Selbsthilfeprojekten aller Art. Im Osten wurden die Frauen von „Vater Staat“ versorgt. Ist die Zeit gekommen für das fatalistische Resümee: es bleibt von beiden nichts übrig?

Es ist nicht der Zeitpunkt, sich in fatalistischen Resümees zu ergehen, sondern die unterschiedlichen Regelungen und Erfahrungen gegenüberzustellen. Überflüssig zu sagen, daß die Qualität zum Beispiel der Kinderbetreuung in der ehemaligen DDR und fehlende demokratische Freiheiten ein Thema für sich sind.

Um es grobklotzig zu sagen: die dortigen Regelungen für Kinderversorgung hätte man auch für einen gemeinsamen Neuanfang nehmen und daran anknüpfend Änderungen im Westen erreichen können. Stattdessen macht man es genau umgekehrt: den Frauen in der alten DDR wird jetzt der hiesige Maßstab einer „männlichen Normalbiographie“ für die Berufstätigkeit aufgedrückt.

Als Feministinnen sind wir auf unsere Schritte ja deswegen stolz, weil wir unsere Forderungen für Frauen aus der Abstraktion „Männer und Frauen sind als Arbeitskräfte gleich“ herausgeholt haben und vor diesem Hintergrund Schrittchen für Schrittchen Zugeständnisse für die Frauen erkämpft haben.

Andererseits aber deuten zum Beispiel die Rentenregelungen für die neuen Länder doch auf neues Denken hin. Denn die ungefähre Angleichung der dortigen Renten läuft unverkennbar auf das Prinzip der Grundsicherung für Rentnerinnen und Rentner hinaus. Da jede Regelung ohnehin mit hohen Kosten verbunden ist, ließen sich auch andere sozialpolitische Maßnahmen durchsetzen - anknüpfend an die Vorschläge von Grundeinkommen und Grundrente.

Es ist also für die Zukunft nicht umsonst gewesen, was hier an Konzepten über eine gerechtere Verteilung der Arbeit diskutiert wurde?

Ganz bestimmt nicht, die Analyse bestätigt sich in der neuen politischen Situation. Auch jetzt leben und erleben Frauen als Grenzgängerinnen zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, Beruf und Familie die Probleme, die die Gesellschaft immer mit den getrennten, aber sich gegenseitig bedingenden Sphären hat. Das ist geblieben. Die Männer scheinen auch in der ehemaligen DDR mit dem Problem der Arbeitslosigkeit schwerer zurechtkommen, als die Frauen, die offenbar nicht so eindeutig und eindimensional auf die Erwerbsarbeit festgenagelt waren. Sie scheinen sich persönlich flexibler auf diese neue Situation einzustellen und sind psychisch nicht in ein so tiefes Loch gefallen. Die Frauen, die ich auf Ost- West-Frauentreffen erlebte, waren alle in verschiedenen, neuen Initiativen aktiv: in Frauenzentren, Mütterzentren, Arbeitsloseninitiativen, Kinderbetreuungsgruppen oder im Verein für Alleinerziehende. Das scheint mir symptomatisch für die Möglichkeit und Bereitschaft der Frauen, nun ihre eigenen Erfahrungen auszutauschen und nicht nur darunter zu leiden, daß da etwas verschwindet. Die neue lesenswerte Frauenzeitschrift „Ypsilon“ gibt über Erlebnis- und Stimmungsberichte eindrucksvoll wieder, wie Frauen jetzt in kleinen Kreisen und Gruppen ihre Erfahrungen diskutieren. Sie schaffen also Formen für eine eigene Öffentlichkeit und nehmen sie auch wahr.

Die Töchter verharren also nicht in passiver Unmündigkeit, nachdem „Vater Staat“ nicht mehr so gut für sie sorgt?

Keineswegs. Unter den Frauen scheint es viele verschiedene Aktivitäten zu geben, von denen wir herzlich wenig erfahren. Die Medien berichten zwar ausführlich darüber, was mit den Leuten gemacht werden soll und welche ökonomischen und politischen Interessen sich durchsetzen, aber kaum über den Alltag der Leute und was sie aus ihrer Situation machen. Auf ersten Frauentreffen in Salzgitter (die Heinrich-Böll-Stiftung und das dortige Mütterzentrum hatten zweimal eine Tagung unter dem Motto „Frauenpolitik in der Männerwelt“ organisiert — Anm. d.Red) wurde diskutiert, ob die Frauen in die Politik, an die runden Tische gehen sollen, oder ob sie sich auf ihre eigene Öffentlichkeit konzentrieren wollen. Diese Wege sollten sich nicht prinzipiell gegenseitig ausschließen. Sie sind aber für einzelne Frauen eine Alternative, je nachdem, wo sie ihre Kräfte einsetzen wollen. Das Bedürfnis, sich Klarheit über die Jahre in der DDR zu verschaffen, um zu prüfen, was die Frauen von ihrer Lebensweise hatten, was sie nicht mehr oder noch immer wollen, war bei dem zweiten Treffen deutlich vorhanden.

Lautet Ihre Prognose, daß die Frauen den gleichen Weg der Selbsterfahrung gehen werden, wie ihn die westliche Frauenbewegung gegangen ist?

Die Frauen der ehemaligen DDR werden aus ihrer bisherigen Lebenssituation herausgerissen und mit etwas konfrontiert, was wir im Westen gewohnt sind. Das heißt aber nicht, daß sie die gleichen Erfahrungen auch gleich interpretieren und bewerten. Deshalb können westliche Frauen auch nicht so auftreten, als könnten sie den Frauen der ehemaligen DDR sagen, wie es geht. Wir können Informationen geben, z.B. über das geltende Arbeitsrecht oder darüber, wie man einen Verein gründet, eine ABM- Stelle beantragt. Das sind handfeste und sinnvolle Informationen für handfeste Fragen. Aber selbst die Gründung eines Frauenzentrums in Leipzig heute ist etwas anderes als in Frankfurt vor mehr als 15 Jahren.

Für die Frauen aus den alten Bundesländern scheint mir wichtig, sich zu vergegenwärtigen, wie kurz der Zeitraum von zwanzig Jahren ist, in dem wir mit unseren Kräften etwas bewegten, und die Frauen ein Selbstbewußtsein entwickelt haben, das weder von oben kam noch ihnen geschenkt wurde. Und wieviel davon wir schon für selbstverständlich halten, wenn wir nun die Situation der Frauen in der ehemaligen DDR zu beurteilen suchen. Interview: Gisela Wülffing

Literaturhinweis: Frauenzeitschrift ‘Ypsilon', c/o Basis Druck, Postfach 148, Berlin 1058 - Einzelexemplar 4,- DM / Jahresabo 44,- DM

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