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Ein SED-Sekretär erfolgreich vor Gericht

Wochenendhäuschen mit eigenem Trinkwasserbrunnen und zwei tote Zeugen im Verfahren gegen den 1. Sekretär von Flöha  ■ Aus Flöha Ulli Schubert

Aus dem einst mächtigsten Mann des Kreises Flöha, Genosse Wolfgang Aug, 1. Sekretär der SED Kreisleitung, ist ein Angeklagter geworden. Noch vor reichlich einem Jahr hätte er nicht nur den Staatsanwalt, sondern ebenso die Frau in der Richterrobe zur Berichterstattung, in mancherlei Hinsicht wohl auch zum Befehlsempfang, ins Rote Haus zitieren können. Das „damals“ Unvorstellbare weckte in Flöha großes Interesse, der Gerichtssaal war überfüllt.

Der Angeklagte machte einen selbstsicheren Eindruck. Es war eher ein dummer Zufall, der ihn vor die Schranken des Gerichts brachte. Im Zusammenhang mit einem laufenden Ermittlungsverfahren stieß die Kripo auf das Wochenendhäuschen mit Garten, das der 1. Sekretär sich Anfang der 80er Jahre zulegte. Er und andere auch, für die die sozialistische Idee sich durchaus mit, in der klassischen Literatur als „kleinbürgerlich“ etikettierten Wünschen, paarte. Als die Häuslein bezogen werden konnten, wurde eine sogenannte Überlassungsgebühr fällig, auf die Aug und Genossen übrigens bei der Erteilung der Baugenehmigung schriftlich hingewiesen worden waren. Doch alle Herren vergaßen, diesen Obulus zu entrichten.

Jahre ging alles gut, bis plötzlich dem Stadtbaumeister etwas auffiel, und nach dem Hinweis einer kleinen Angestellten in der Finanzabteilung des Rates der Stadt Flöha ungewöhnliches passierte: Er machte den Herren eine Rechnung auf. Ein klärendes Gespräch war dringend vonnöten, in dessen Ergebnis sich der Chef der kleinen Angestellten, der damalige Bürgermeister von Flöha, Horst Uhlig, höflich bei den fünf Bungalowbesitzern entschuldigte und die Forderung nach rückwirkender Zahlung aufhob mit der Maßgabe, daß künftig zu zahlen sei. Der Stadt Flöha entgingen so 4.050 Mark Einnahmen. Der Angeklagte besteht darauf, niemals ungesetzmäßige Handlungen von Herrn Uhlig verlangt zu haben, jener behauptet das Gegenteil. Egal wie der 1. Sekretär seine Forderungen oder Wünsche in Worte gekleidet haben mag, für Uhlig waren sie Gesetz, solange er Bürgermeister bleiben wollte.

Soweit die realsatirische Vorgeschichte. Staatsanwalt Nils Schellenberg warf dem Angeklagten „Anstiftung zur Untreue“ vor, man stritt in der Verhandlung um Begriffe, Daten, vorhandene und nicht vorhandene Schriftstücke. Zum Kern der Sache, zum Gespräch zwischen Aug und Uhlig, bei dem auch der damalige Vorsitzende des Rates des Kreises, Klaus Leber, zugegen war, kam man nicht. Es fehlten zwei wichtige Personen: Horst Uhlig und Klaus Leber. Horst Uhlig war während der polizeilichen Ermittlungen an einem Unfall verstorben. Einem Unfall, der zu den seltensten in der Kriminalgeschichte gehören dürfte. Deshalb wohl verstummten die Zweifel in der Bevölkerung nie ganz. Am Verhandlungstag erhielten sie neue Nahrung, als die Richterin nach einer Pause verkündete, daß Zeuge Leber wohl zur Verhandlung losgefahren, jedoch nicht angekommen sei. Am Nachmittag wurde Klaus Leber gefunden — mit einer Kugel im Kopf. Nur vermutet werden kann, weshalb er den Tod suchte.

Zu ergänzen ist, daß auch ihm ein Verfahren bevorstand, in dem es um höhere Beträge ging. Er soll veranlaßt haben, daß die Stadt Flöha für den Bau eines Trinkwasserbrunnens blechte, den nur die fünf Bungalowbesitzer nutzen. Er und Horst Uhlig standen vor der Kripo zu ihren Handlungen, wie aus den von Richterin Meyer verlesenen Aussagen hervorging. Handlungen, von denen sie selbst nichts hatten — außer daß sie (problemlos) ihre Posten behielten.

Wolfgang Aug freilich hinterließ im Gerichtssaal nicht den Eindruck, daß er sich schuldig fühlt. Ansonsten geht es ihm offenbar gut. Im Betrieb seines Freundes und Gartennachbars ist er als Objektleiter untergekommen. Vermutlich braucht er nicht einmal zu befürchten, daß der Prozeß fortgesetzt wird.

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