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Ein Lkw-Werk mit bewegter Geschichte

■ Der Historiker Gerhard Birk rollt die Geschichte des früheren Daimler-, dann IfA- und jetzt wieder Daimler-Werkes in Ludwigsfelde auf/ In der bisherigen Geschichtsschreibung dieses Lkw-Werks gab es eine Fülle von Tabuthemen

Ludwigsfelde. Den Ludwigsfelder, die Ludwigsfelderin — eigentlich gibt es sie gar nicht. Anfang der dreißiger Jahre zählte das damals noch kleine Dörfchen gerade mal 350 EinwohnerInnen. So hätte es eigentlich für alle Zeiten bleiben können, wenn nicht vom Daimler-Benz-Konzern in Zusammenarbeit mit der Naziregierung in der Nachbarschaft ein Werk für Flugzeugmotoren gebaut worden wäre. ArbeiterInnen wurden gebraucht, massenweise.

Zuerst kamen sie aus den Daimler-Stammwerken in Süddeutschland, später folgten ihnen Zwangsrekrutierte, »Fremdarbeiter« und Kriegsgefangene. Dann: Kriegsende, Zusammenbruch. Viele gingen, wenige blieben, neue Menschen kamen. Ausgebombte aus Berlin und Flüchtlinge siedelten sich an, der Aufbau des IfA-Autowerkes brachte einen weiteren Bevölkerungszuwachs aus allen Teilen der DDR. Kein besonders guter Boden also für Heimatgefühl, »gewachsene Strukturen« fehlen der mittlerweile 23.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt. Doch nicht alle waren und sind bereit, dies einfach so zu akzeptieren.

»Wo wohne ich? Wer sind meine Nachbarn?« fragte sich denn auch Gerhard Birk, ein junger Historiker, den es im Jahr 1968 mehr oder weniger zufällig nach Ludwigsfelde verschlagen hatte. Um dies herauszufinden, suchte er sich Gesprächspartner — und fand kaum welche. »Hier wohnen Menschen aus aller Herren Länder, die Überfremdung ist groß«, mußte er bald feststellen. Das Fehlen von Zeitzeugen entmutigte Gerhard Birk jedoch nicht, intensiv begann er, in Archiven und alten Dokumenten zu forschen, veröffentlicht wurden die Ergebnisse in Zeitungsartikeln und Vorträgen. »Offiziell« wurde seine Tätigkeit dann Mitte der achtziger Jahre. Damals, so Birk, erkannte die DDR-Führung ein »fehlendes Heimatbewußtsein« in der Bevölkerung, die Identifikation mit dem eigenen Staat sei kaum vorhanden gewesen. Deshalb wurde die organisierte Heimatgeschichte eingeführt, flächendeckend machten sich LehrerInnen, AkademikerInnen und andere Fachleute auf die Suche nach der Vergangenheit ihrer unmittelbaren Umgebung. Auch in Ludwigsfelde etablierte sich — unter Mitarbeit der Stadtverwaltung — eine Arbeitsgruppe, entstanden sind daraus sieben ortsgeschichtliche Broschüren. Die Gruppe existiert weiterhin, eine Arbeit zur Wende und ihren Folgen ist im Entstehen begriffen. Dem Versuch, den Menschen etwas Heimatgefühl zu vermitteln, kann Gerhard Birk durchaus positive Aspekte abgewinnen. »Wer schöpferisch sein will«, so glaubt er, »muß auch Wurzeln haben.« Dies habe nichts mit »dumpfem Nationalismus« zu tun, aber gerade in einer Stadt wie Ludwigsfelde könne etwas Lokalpatriotismus nicht schaden.

Allerdings: Unkritisch steht der Historiker der bisherigen Tätigkeit nicht gegenüber: »Wir sollten dazu beitragen, daß die Menschen die DDR nicht mehr verlassen wollen.« Daß dabei die Hauptgründe für den Unmut der Leute übersehen wurden, weiß Birk auch, nur schreiben konnte er es nie. Es gab Zensur, es gab Tabuthemen, und es gab Lücken in der Geschichtsschreibung, die nicht ausgefüllt werden durften. Und so kommt der Historiker, der jetzt als Archivar in Potsdam arbeitet, auf Daimler-Benz zu sprechen. Aus seiner Feder stammen Arbeiten wie Ein düsteres Kapitel Ludwigsfelder Geschichte oder Ein Gigant kehrt zurück, die sich kritisch mit dem Konzern auseinandersetzen, mit dem Leid der Zwangsarbeiter und etwas weniger kritisch mit der Befreiung des Werkes durch die Rote Armee.

Damit hat er sich aber nicht nur Freunde geschaffen. Schon zu DDR- Zeiten gab es konträre Diskussionen, einige sahen »ihre« Fabrik und ihre Arbeit allzu negativ dargestellt: An hungernde Sklavenarbeiter aus Rußland und der Ukraine wollten sich Ludwigsfelder Facharbeiter nur schlecht erinnern. Heute wiederum wird dem Chronisten nahegelegt, doch »etwas freundlicher mit dem Konzern umzugehen«. Dennoch: Kritischen Umgang mit der Vergangenheit, auch mit der des großen Hoffnungsträgers Daimler-Benz, hält der Historiker Birk für unerläßlich, zumal historische Aufarbeitung weder in der BRD noch in der DDR »besonders gut funktioniert« habe.

Mit dieser Meinung scheint er nicht allein dazustehen. An den Arbeitskreis werden schon einmal Fragen der Art »Was passiert, wenn in Ludwigsfelde produzierte Autos in Krisengebiete gehen« herangetragen. »Einige Leute hier scheinen wohl doch etwas sensibler zu sein«, mutmaßt Birk, wenn er auch eine Tendenz nicht verkennt. »Den meisten ist es egal, die wollen nur mit harter Arbeit gutes Geld verdienen.« Etwas nachdenklich macht ihn dann diese trotz aller Rückschläge immer noch zu verspürende Euphorie doch etwas. Sicher weiß auch er nicht zu sagen, was die Zukunft bringt, bewegt wird sie aber auf jeden Fall sein. Gerhard Birk, nach seinen Hoffnungen befragt, redet von »gedämpftem Optimismus«, die anstehenden Schwierigkeiten übersieht er jedoch nicht. Und die, wie könnte es in Ludwigsfelde anders sein, hängen mit den schwäbischen Automobilbauern zusammen. Importiert aus Westdeutschland werden nämlich nicht nur Technologie und Know-how, sondern zusätzlich Führungskräfte und FacharbeiterInnen. Diese werden sich in Ludwigsfelde ansiedeln, soziale Differenzierung und die Gefahr der Abkapselung besteht. Indes, etwas Ähnliches hat die Stadt schon einmal in den dreißiger Jahren erlebt und überstanden. Gerhard Birk sieht im übrigen auch Vorteile: »Vielleicht fühlen sich die Leute hier dann endlich als Alteingesessene«, ein wesentliches Heimatmoment, das er lange vermißt hat. Und im übrigen: »Die Schwaben sind ja gesellige Leute. Mit denen kommen wir schon klar.« Theo Weisenburger

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