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INTERVIEW„Beide Heere abschaffen“

■ Shafik Handal, einer der fünf obersten Comandantes der salvadorianischen Guerilla FMLN, zu den Friedensverhandlungen

Schon 1952 mußte Shafik Handal, damals gerade 22 Jahre alt und in der Studentenbewegung aktiv, El Salvador aus Sicherheitsgründen zum erstenmal verlassen. Nach vier Jahren Exil in Chile kehrte er in seine Heimat zurück , setzte seine politischen Aktivitäten fort, wurde mehrmals festgenommen und in der Haft schwer gefoltert. 1969 wurde er Generalsekretär der Kommunistischen Partei, die sich 1980 dem bewaffneten Kampf anschloß. Heute ist der 60jährige Shafik Handal Leiter der Verhandlungskommission der FMLN-Guerilla, die seit elf Jahren Krieg führt und sich nun von den Parlamentswahlen am Sonntag offenbar auch neue Chancen für die Friedensverhandlungen erhofft.

taz: Seit 1984 gibt es in El Salvador Gespräche zwischen Guerilla und Regierung, noch immer ist man zu keinem Waffenstillstand gekommen. Was nun?

Shafik Handal: Im Juli 1990 haben wir immerhin ein Teilabkommen über Menschenrechtsfragen geschlossen, jetzt wird die UNO mit seiner Überwachung beginnen. Und im Januar haben wir uns beim schwierigsten Punkt der Tagesordnung ziemlich weit angenähert: der Frage, was aus den Streitkräften wird.

Die FMLN will das Heer auflösen...

...beide Heere, auch die Guerilla...

...der UNO-Vermittler spricht dagegen nur von einer Auflösung der Geheimdienste und einer „Säuberung“ der Streitkräfte.

Die UNO hat ein Arbeitsdokument vorgelegt, das die Positionen beider Seiten berücksichtigt. Darin stehen auch noch andere Punkte: ein Ende der Straffreiheit für Angehörige der Regierungsstreitkräfte, die Gründung einer einzigen Polizeitruppe unter ziviler Kontrolle anstelle der diversen Sicherheitskräfte und die Auflösung der paramilitärischen Verbände.

Ist es heutzutage realistisch anzunehmen, daß per Vertrag die Armee eines Landes zusammen mit der Guerilla aufgelöst wird?

Aber natürlich. Erstens spricht in El Salvador jeder von einem Patt. Und zweitens gibt es in Zentralamerika einen Präzedenzfall...

...Costa Rica 1948...

...wo auch nach einem Bürgerkrieg das Heer abgeschafft wurde.

Stimmt es, daß die USA über ihren UNO-Botschafter Thomas Pickering dem UNO-Papier ihr Einverständnis gegeben haben?

Zu einem bestimmten Zeitpunkt hatten wir den Eindruck, daß Pickering und die US-Regierung dem UNO-Dokument als Verhandlungsgrundlage mit Sympathie begegneten — ohne in allen Punkten damit übereinzustimmen. Im Moment ist uns die US-Position nicht ganz klar. Die USA sind zu sehr vom Golfkrieg absorbiert. Und das nutzen die salvadorianischen Militärs. Sie sind wieder unnachgiebiger geworden.

Am Sonntag wird in El Salvador ein neues Parlament gewählt. Anders als bei den letzten Präsidentschaftswahlen, bei denen die FMLN zum Boykott aufgerufen hat, nimmt diesmal mit der UDN eine Gruppierung teil, die der Kommunistischen Partei sehr nahe steht. Sie sind deren Chef. Was versprechen Sie sich davon?

Es gibt mittlerweile eine ganz neue Konstellation politischer Kräfte: für Demilitarisierung — und dafür, das Parlament zu einem Hebel für Frieden und Demokratisierung zu machen. Nach den Umfragen zu urteilen, könnte die regierende (rechtsextreme) ARENA-Partei die Mehrheit diesmal verlieren. Um das zu verhindern, findet derzeit eine Repressionswelle statt, demokratische Organisationen werden bedroht und Aktivisten ermordet. Wir begrüßen es, wenn mit der Wahl neue Spielräume geschaffen werden. Aber die FMLN wird nicht zur Wahl irgendeiner Partei aufrufen.

Außer der UDN nimmt noch die „Demokratische Konvergenz“ teil, linke Christ- und Sozialdemokraten, die bei den Präsidentschaftswahlen nur auf knapp fünf Prozent kamen. Mit wieviel Prozent rechnen Sie diesmal für die Linke?

Uns interessieren weniger die einzelnen linken Parteien als vielmehr, wieviel die gesamte demokratische Opposition erhält, einschließlich der Christdemokratischen Partei. Es geht darum, ob wir insgesamt auf mehr als 50 Prozent kommen.

Uns überrascht die Leichtigkeit, mit der Sie die Christdemokratie als Verbündete zählen. Das ist schließlich die Partei, die unter Präsident Duarte den Krieg gegen Sie geführt und zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu verantworten hat.

Seit Duartes Tod hat die Christdemokratie ihre Rolle als Unterstützerin der Militärs verloren, die Partei hat sich ihren alten Positionen aus den 70er Jahren angenähert, als es schon einmal eine Koalition zwischen der Linken und der Christdemokratie gab. Ich rede aber nicht von einem Pakt mit ihr.

Was könnte denn überhaupt ein Parlament bewirken, in dem die Opposition die Mehrheit hat? Die Regierung wird ja vom — direkt gewählten — Präsidenten ernannt.

Das Parlament kann zum Beispiel darauf bestehen, an den Friedensverhandlungen teilzunehmen. Und die Regierung braucht für den Militärhaushalt seine Zustimmung.

Die FMLN hat jüngst eine Anzahl von Boden-Luft-Raketen ganz offiziell an die Regierung Nicaraguas zurückgegeben. Hatte man sie eigentlich einst von den sandinistischen Offizieren gekauft, oder waren sie Ihnen sozusagen aus Solidarität geschenkt worden?

Das war politische Solidarität. Die Rückgabe war für uns eine unangenehme Sache, aber politisch notwendig. Aber wir haben noch mehr davon, auch amerikanische Red Eye- Raketen übrigens. Zudem: Schon 1987 haben wir einen Vorschlag gemacht, um den Krieg zu „deeskalieren“. Aber die Regierung weigerte sich, den Luftkrieg gegen uns einzustellen. Und da haben wir dann nach einer effektiven Abwehrwaffe gesucht — und wir haben sie gefunden.

Wo?

In Mittelamerika lassen sich jede Menge Waffen kaufen, z.B. die der Contra und die der ehemaligen panamaischen Armee unter Noriega, die aufgelöst worden ist. Die Waffen sind für uns kein Problem.

Dafür ist die FMLN nach der Wahlniederlage der Sandinisten in Nicaragua international ziemlich isoliert.

Nein, wir haben überallhin direkte Beziehungen und führen Gespräche, mit dem Präsidenten Venezuelas, mit dem Moskauer Außenministerium und auch mit der neuen Regierung Nicaraguas, die mit uns in dem Ziel einer Demilitarisierung Zentralamerikas übereinstimmt.

Gespräche sind eine Sache, daß das internationale Klima für jede Guerilla schwieriger geworden ist, eine andere.

Das ist die europäische Sichtweise. Es gibt nicht nur Gespräche, sondern auch gemeinsame Ziele.

Ist die FMLN nicht nach der Wahlniederlage der Sandinisten in Nicaragua um eine Hoffnung ärmer?

Es hätte in Nicaragua auch anders kommen können. Die These, daß die USA immer durchsetzen können, was sie wollen, stimmt nicht. Die Welt ist dafür zu komplex, und die Vereinigten Staaten sind keine ökonomische, sondern nur noch eine militärische Supermacht. Höchstens als Gendarm können sie die Welt im Griff behalten, und nirgendwo in der Welt haben die Gendarmen schließlich die Geschichte aufgehalten. Die Dritte Welt mag jetzt leiden, aber sie wird auch hart kämpfen. Die Welt wird letztendlich die doppelte Moral nicht akzeptieren, auf der die „neue Weltordnung“ beruht. Interview: Michael Rediske

und Thomas Schmid

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