: Der Widerspenstigen Zähmung
■ ...und allerlei Uneinsichtiges: Ein Vormittag im Amtsgericht Blumenthal
Richter Harms schien sich auf einen ganz normalen Gerichtstag in Bremen-Nord eingestellt zu haben: Die vier Verhandlungen gestern vormittag sollten spätestens um 12 Uhr erledigt sein. Schon für den ersten Fall, einen bissigen Hund, hatte Harms nur 45 Minuten anberaumt.
Aber erst nach zweieinhalb Stunden lautstarken Ringens waren alle Versuche, die Hundebesitzer zum Einlenken zu bringen, gescheitert und der Sohn des Hundehalters, ein propperer BWL- Student, schließlich mit einer Vorstrafe versehen. Obwohl der Hund dem Gericht aus zahlreichen Verfahren als bissig bekannt war, gaben sich die Hundehalter hartnäckig uneinsichtig und plädierten mit einem ebenso beharrlichen Verteidiger vergebens auf Freispruch.
Auch der nächste Kandidat auf Richter Harms' Prozeßliste präsentierte sich ohne jedes Schuldbewußtsein — er schlug alle noch so fürsorglich gemeinten Brücken des Richters aus, konnte sich gar nicht erklären, wie seine Nachbarin in der Auseinandersetzung mit ihm zu einer gebrochenen Nase gekommen war und erhielt außer einer stattlichen Strafpredigt vier Monate Knast ohne Bewährung.
Mittlerweile hatte die Uhr im Gerichtsflur schon die Mittagsmarke überschritten, als die junge Inga-Susan K. sich wegen „Widerstands gegen die Staatsgewalt“ zu verantworten hatte. Ihr Ex-Freund, mitangeklagt „wegen Vortäuschen eines Unfalls“, war gar nicht erst zum Prozeß erschienen. Ihn will Richter Harms (“aus pädagogischen Gründen“) jetzt einen Tag vor dem neu festzulegenden Verhandlungstermin von der Staatsgewalt „vorführen“ lassen.
Der junge Mann hatte seiner Freundin nach einem Streit angedroht: Dann spring ich eben ins Wasser. Auf Inga-Susans „Spring doch“ war der geübte Taucher tatsächlich ins Vegesacker Hafenbecken gesprungen und nicht wieder aufgetaucht. Die vom vorangegangenen Tequila- Gelage mit 2,2 Promille alkoholisierte Frau flippte aus und konnte von der alarmierten Polizei nicht beruhigt werden. Sie warf Schupo-Mützen, Notizblöcke, Taschenlampe und alles Erreichbare aus dem Streifenwagen ins Hafenbecken und biß einem Beamten fast den kleinen Finger ab, als er ihr Handschellen anlegte. Doch damit nicht genug: Im Wagen eingeschlossen, trat sie mit Wucht gegen die Autotür und beulte sie zehn Zentimeter nach außen. Weitere Schäden: eine mit dem Feuerzeug angezündete Türverkleidung und zwei in die Sitzbank gebissenen Löcher. „Wenn Sie das sagen, wird's wohl stimmen“, meinte die Angeklagte. Genau erinnern könne sie sich aber nicht mehr. Mit sechs Raten à 200 Mark sah Richter Harms sie „gut bedient“.
Genau wie ihr Bruder, der als letzter dieses Prozeßtages vor Gericht erscheinen mußte, weil er eine 300 Mark hohe Strafe (wegen einer Prügelei) als Sozialhilfeempfänger angeblich nicht abstottern kann. Erst als Harms ihm 20 Tage gemeinnützige Arbeit verpassen wollte, fiel ihm plötzlich ein, welche Reserven er noch locker machen kann: „Dann zahl' ich lieber“. Dazu der Richter: „Mir stellen sich die Nackenhaare hoch, wenn ich über Ihre Einstellung nachdenke, die dahinter steckt.“
Harms gab der Familie vorsichtshalber mahnende Worte mit nach Hause. ra
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen