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Gastkolumne

■ Ein Universitätskanzler auf bremische Art

Die Universität sucht einen neuen Kanzler. Der dritte wird es sein seit der Gründung. Auf zwölf Jahre ist er zu wählen, als Leiter der Universitätsverwaltung, die inzwischen einen Riesenapparat darstellt. Von den beiden Vorgängern erreichte keiner das Ende seiner Amtszeit, freilich aus sehr unterschiedlichen Gründen.

Der erste, noch von der FDP ins Gründungsfeuer entsandt, war eine repräsentative Erscheinung des Bremer Bürgertums. Hatten in den Gremien die linken Professoren ihre Rhetorik entfaltet, dann ergriff er gern das Wort, zitierte Nietzsche, Hegel und Habermas geläufig und schuf die großen geistigen Synthesen, eine Art Überprofessor. Der alltägliche Verwaltungskram war nicht seine Leidenschaft. Bei seinem Abgang gab es eine großzügige wissenschaftliche Lösung. Dafür verzichtete er auf die weitere öffentliche Erörterung seiner senatorischen Computerfehlentscheidung.

Den nächsten holte man von auswärts. Von ihm sind keine geistigen Höhenflüge zu berichten. Er galt beim Personalrat bald als kleinkariert. Gern entschied er selbst über Detailprobleme der Aktenführung und der Schlüsselverteilung. Vielleicht war das teilweise auch nötig. Mit dem Rektor Timm versuchte er, eine Linie gegen die Forderungen des Personalrats zu verabreden. Der Rektor bewilligte dann aber manchmal hinterhier großzügig, was der Kanzler verweigert hatte. Das Image des Kanzlers litt. Solange der Rektor die Universität einigermaßen reibungslos führt, muß ein widerstrebender Kanzler gehen. Seine weitere bremische Verwaltungslaufbahn ist inzwischen ebenfalls gesichert.

Nun galt es, einen neuen Kanzler zu suchen. An sich gibt es da eine reiche Auswahl. Das Reservoir bilden einmal die übrigen 51 Unikanzler, aber auch qualifizierte Verwaltungsbeamte aus Kommunen und Ministerien. Für viele von ihnen ist eine Universität der Bremer Größe und Struktur attraktiv. Auf den freien Markt der Bewerbung wollte man es aber nicht ankommen lassen.

Die rechte Hand des Rektors, Herr Kück, ein aufstrebender gelernter Verwaltungsinspektor, sprach einzelne potentielle KandidatInnen an. Denn auf die bloße Ausschreibung hin bewerben sich gestandene Angehörige des Metiers nicht. Auf diese und andere unkonventionelle Weise bekam man ein Spektrum von fünf anhörbaren auswärtigen BewerbeInnen zusammen, das sich, wenn nicht plangemäß, so doch logischerweise nach der Papierform als etwas dürftiges Ensemble erwies. War das nicht die Chance für ein Bremer Gewächs, mit der politischen Landschaft (vom Ortsverein bis zum Haushaltsgekungel) vertraut, auf allen formellen und informellen Ebenen präsent? Nun, die Anhörungskommission ging in sich und forderte Herrn Kück auf, sich zu bewerben. Am vergangenen Mittwoch war dann die öffentliche Anhörung vor dem akademischen Senat.

Das bunte Bewerbungsspektrum stellte sich damit einem Gremium, in dem statt der flammenden Auseinandersetzungen des ersten Jahrzents um eine Universität mit kritischem Geist weitgehend undurchschaubere Provinzroutine obwaltet. Ganz wenige verstehen von den Tagesordnungspunkten fast alles, fast alle verstehen von ihnen fast nichts. Der Rektor Timm, ein Mathematiker mit ungewöhnlichem Verhandlungsgeschick, hat den Ausbau des naturwissenschaflich-technischen Sektors vorangebracht, hält gegenüber den Studierenden (manchmal etwas widerstrebend) die rechtsstaatlichen Formen ein und nimmt mit einem Gemisch von Bestimmtheit und (im Falle studentische Streiks) unübertrefflicher Langmut die Universität aus den Schlagzeilen. Er wollte die bequemste Lösung, seinen Mitarbeiter.

Zwei der auswärtigen Bewerber hatten Erfahrungen in Kanzlerfunktionen, einer davon hatte sich schon einmal — erfolglos — hier beworben, ein solider Verwaltungsjurist, wenn auch ohne besondere Ausstrahlung; der andere war jünger und pfiffiger, mit Erfahrungen von verschiedenen Universitäten, allerdings Kanzler einer wesentlich kleineren Uni. Beide hatten einen Blick für die gesamte Hochschulentwicklung; beide waren ernsthaft in Betracht zu ziehen. Dies gilt nicht für einen weiteren Juristen, den man zuerst gar nicht hatte einladen wollen. Er war in fast zwei Jahrzenten Hochschultätigkeit nicht über Randaufgaben hinausgekommen.

Hinzu kamen zwei Frauen. Bisher gibt es in den alten Ländern 52 Kanzler, aber keine Kanzlerin. Grund genug, hier schon im Vorwege qualifizierte Frauen zu ermuntern. Die beiden, die angehört wurden, waren Persönlichkeiten, die nur schwer integrierbar schienen. Die eine, eine Professorin mit langen Jahren amerikanischer Universitätszugehörigkeit, sprach in launiger Weise vom Budgetieren der US-Universitäten, das sich mit dem deutschen Beamtenrecht allerdings so gar nicht verträgt. Der anderen, einer äußerst korrekten und ein wenig steifen Juristin aus Hamburg, sah man an, welches tiefgehende Unbehagen ihr der Umgang mit studentischen Wandschmierereien, den Sonderwünschen exotischer Altlinker oder egozentrischer High-Tech-Mogule bereiten würde. Sie wurde zudem als einzige nach ihrer Parteizugehörigkeit gefragt und antwortete freimütig, daß sie in Hamburg aus der SPD ausgetreten sei.

Für die Vorzüge und Handicaps der ernsthaft oder gar nicht in Betracht kommenden auswärtigen BewerberInnen interessierten sich die Professorenschaft des Senats und der Rektor bei der Anhörung herzlich wenig. Die Bank der Techniker und Naturwissenschaftler döste praktisch weitgehend vor sich hin. Der Rektor hatte keine einzige Frage, obwohl er doch möglicherweise auch gern in einem Jahr zum dritten Mal als Rektor kandidieren und kaum in sein Fach zurückkehren wird. Den Geisteswissenschaftlern war offenbar ebenfalls unklar, was von einem Kanzler erwartet werden kann. Die Fragen kamen weitgehend vom nichtwissenschaftlichen Personal, das sich gern den Kampf gegen seine Überlastung („zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Universität“) versprechen ließ, und von dem Studenten Budde.

Der Auftritt von Herrn Kück, der dann auch zielstrebig noch am gleichen Abend nach vielstündiger Sitzung zum Kanzler gewählt wurde, bestand zum großen Teil aus dem Verweis auf seine bisherige Tätigkeit, auf seine Kenntnisse und bremischen Verbindungen. Mit falschem Pathos sprach er von der schweren Entscheidung, zu der er sich durchgerungen habe. Auch „unzuständigkeitshalber“, wie er gerne sagt, hat er schon bisher die Personal- und Ausstattungswünsche der Professoren gefördert und ist auch beim sonstigen Personal beliebt.

Sein Verdienst soll hier nicht geschmälert werden. Ist es außerdem nicht ein berechtigtes Unterfangen, daß einem „Nichtakademiker“, einem „Nichtvolljuristen“ der Aufstieg in eine ihm bisher schwindelnd hohe Gehaltsklasse ermöglicht wird, so recht in der Tradition der Förderung von Bildungs- und Begabungsreserven? Ganz sicher ist er aber eine bequeme Lösung. Hier ist endlich einer, der nicht die Statur für einen Konflikt hat, schon gar nicht im Verhältnis von Staat und Universität Bremen, obwohl diese eine besonders eingeschränkte Autonomie genießt. Endlich kein Überprofessor und kein Aktenlöwe, sondern ein Rektoratsassistent.

Wie soll er sich jedoch im Verbund der Universitäten behaupten, bei den Kommissionen der Kanzler, bei den Verhandlungen mit Rektorenkonferenz, Wissenschaftsrat und Bundesforschungsministerium, wo ihm z.T. hochkarätige Verhandlungspartner gegenübersitzen und er meist ganz auf sich allein gestellt sein wird? Auch ein gelernter Verwaltungsinspektor kann sich, selbst wenn er unter 52 Kanzlern der einzige ohne Hochschulabschluß ist, das Know-How dafür wohl erarbeiten. Aber doch nur langsam und gründlich. Hier wird einer, ohne daß er es begreift, ins kalte Wasser geworfen und überfordert. Sachlich ist die Angelegenheit eine makabre Fehlentscheidung aus Bequemlichkeit und Desinteresse. Man muß sich, will man unbedingt eine Bremer Lösung haben, auch fragen, warum kein einziger der in den zwei Jahrzehnten an der Uni Bremen wissenschaftlich Ausgebildeten das Zeug zu einem Kanzler haben soll.

Eine qualifizierte Frau als erste Kanzlerin in der Bundesrepublik hätte man bei den vielen ausgewiesenen Verwaltungsjuristinnen problemlos finden können. Das Verfahren mit dem Gewählten als Akquisiteur von SpielmaterialkandidatInnen war schon eine Posse. Was die Mitwirkung der Hochschulverwaltung an außerbremischen Strukturentscheidungen angeht, signalisiert sein Ergebnis das völlige Versinken in provinzieller Bedeutungslosigkeit. Peter Derleder

Der Autor ist Professor für Zivilrecht am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen.

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