: Brindisi: Warten auf internationale Hilfe
Hafen von Brindisi abgeriegelt/ 15.000 albanische Flüchtlinge angekommen/ Italienische Regierung wartet ab und will den „Boat people“ kein politisches Asyl gewähren/ Untergebrachte Flüchtlinge wieder zum Hafen zurückgekarrt ■ Aus Brindisi Werner Raith
Beim ersten „Sichtkontakt“ unserer Cessna, aus noch gut 1.500 Meter Höhe und bei starkem Dunst, ähnelt der Hafen des apulischen Brindisi fast einem jener uralten Blumenfeste Umbriens, wo die Frauen ganze Stadtteile mit einem bunten Teppich frischer Blüten bestückt haben. Doch schon aus 800 Metern Höhe sieht man, daß sich dieser Teppich bewegt, hin- und herwogt: bunt ist er zwar noch immer, aber nun erkennt man, daß die Farbtupfer Tausende von Menschen sind. Ein Teil wie in Frischhaltepackungen eingehüllt — „das sind die Plastikplanen, die die Geschäftsleute denen gebracht haben, damit sie sich keinen abfrieren“, sagt Salvatore, der Pilot, während ihn der Kameramann noch eine Runde tiefer dirigiert, „ein Unding, denn darunter sammelt sich nur Feuchtigkeit, und die Bakterien vermehren sich rasend.“
An die 15.000 albanische Flüchtlinge sind nach Behördenschätzungen bereits in den unteritalienischen Häfen angekommen, viele noch auf den in Otranto, Lecce, Monopoli, Bari und Brindisi angedockten Schiffen, ein Großteil aber auf der Hafenmole zusammengepfercht. Nur ein Bruchteil ist bisher in Schulen und auf Campingplatze gebracht worden, laut Regierung an die 6.000, doch der Präfekt der Provinz kann sich an „allenfalls 2.000 bis 3.000“ erinnern, die da Platz gefunden haben.
Die Zufahrt vom kleinen Flugplatz nach Brindisi gleicht dem Durchdringen eines Belagerungsringes: überall Carabinieri, Polizisten, Männer mit weißen Armbinden und der Aufschrift „Polizia municipale“ — da die Stadtpolizisten in Uniform nicht ausreichten, wurde Hilfspersonal requiriert. Die Aufgabe der Ordnungshüter: verhindern, daß die „Profughi albanesi“ sich aus der Stadt herausbewegen. Denn Italiens Regierung hat sich am Wochenende endgültig entschlossen, den Ankömmlingen grundsätzlich nicht mehr, wie bei der ersten großen Welle voriges Jahr, den Status politischer Flüchtlinge anzuerkennen, sondern sie als arbeitsuchende Außerkommunitäre zu betrachten. Das bedeutet, daß sie nach den harschen Immigrationsgesetzen von 1990 behandelt werden: Nur wer einen Arbeitsvertrag vorweisen kann, darf bleiben. Wer politisches Asyl möchte, muß mit einer regelrechten Dokumentation der Verfolgung durch die Behörden in Tirana ausgestattet sein.
Trotz der hermetischen Sperrung des Hafengebiets läßt sich schon im Altstadtzentrum, vor den Kirchen und in den Nebengassen der Via Appia erkennen, daß die Albaner allüberall die Stadt bestimmen — teils direkt, wenn sie sich zu Dutzenden um Brötchen und Kleidungsstücke keilen, die ihnen Bürger von den oberen Stockwerken auf die Straße zuwerfen, teils indirekt, weil viele Geschäfte alle Luken dichtgemacht haben aus Angst vor Plünderung. Polizeipatrouillen sieht man jedoch um so weniger, je näher man dem Menschenhaufen kommt, der da am Hafen lagert: „Nicht weil wir uns nicht reintrauen“, sagt der Carabinieri- Major an der Kreuzung Via Colombo/Via Carmine, „sondern wie den Leuten das sagen, die uns mit unendlich enttäuschten, traurigen, verzweifelten und vor allem hungrigen Gesichtern umringen, wissen wollen, wie es weitergeht.“ An die 700 Albaner haben bereits wieder beschlossen, zurückzukehren — doch auch das verweigern ihnen die Behörden, und das alleine erhellt bereits einiges über die geradezu an Zynismus grenzende Haltung der italienischen Regierung.
Denn die Schiffe, mit denen Flüchtlinge ankommen, müssen aufgrund eines Regierungsbeschlusses allesamt beschlagnahmt werden — angeblich um „ein Geschäft mit der Expatriierung zu vermeiden“ und um „der Regierung in Tirana klarzumachen, daß wir uns nicht deren Arbeitslose oder Regimegegner einfach zuschieben lassen“, wie ein Abgesandter des Ministerpräsidenten verkündet; dann bemerkt er seinen Fehler und stopft sich schnell das Wort Regimegegner wieder in den Mund zurück. „Regierungskritiker“ sollen wir nun lieber schreiben, das eröffnet keinen Anspruch auf politisches Asyl.
Tatsächlich aber gehen die Leute in Brindisi ebenso wie der Großteil der herbeigeschafften Polizisten davon aus, daß Italiens Regierung die große Zahl der Flüchtlinge bewußt zusammengeballt hält und nicht an deren Verminderung interessiert ist — die Welt soll sehen, was da an Not herrscht, und sie soll dann kräftig spenden. „Warum sollen wir es nicht machen wie andere auch“, brummt ein Angestellter der Präfektur, „warten, bis die Situation unerträglich ist und uns dann für unsere Hilfe zahlen lassen.“ Die Anspielung auf Israel während des Golfkrieges ist deutlich, doch darauf angesprochen, daß das hier wohl etwas anderes ist als die Situation im Nahen Osten, hebt er nur die Schultern: Denkt was ihr wollt, wir werden jedenfalls schon zu unserem Geld kommen.
Tatsächlich hat der Vertreter des UNO-Hochkommissariats für das Flüchtlingswesen bereits gebeten, „zunächst einmal alle Flüchtlinge aufzunehmen und erst nach deren menschenwürdiger Unterbringung Fall für Fall über deren Verbleib zu entscheiden“. Italiens Regierung hat es wohlwollend gehört — und gleich wieder einmal die Hand aufgehalten: internationale Hilfe brauche man da, hieß es, schließlich habe man gerade einen Krieg hinter sich — gemeint sind die acht Tornados und die vier Kriegsschiffe, mit denen sich das Land einen Platz auf der Siegerbank verdient zu haben glaubte, der ihm aber nun verweigert wird. Und außerdem: Albanien sei ein gesamteuropäisches Problem, „und es gibt Länder, die sich von ihrer Verantwortung dafür sowieso nur durch Geldspenden wegstehlen“, wie der Regierungsmann mit deutlichem Bezug auf die Deutschen sagt, „d'accordo: aber dann sollen sie es auch tun, und zwar schnell“.
Daß die Regierung derzeit mauert, zeigt sich allerorten: so wurden mehrere hundert auf Initiative der Caritas bereits in den umliegenden Ortschaften von freundlichen Bürgern aufgenommene Familien von der Polizei wieder eingefangen und zum Hafen zurückgekarrt: Sie dürfen nur mit behördlichem Sonderausweis aus dem Sperrgebiet heraus. Hilfsangebote aus Sizilien und aus der Lombardei, aus Lazium und Piemont erhalten nicht einmal eine Antwort. Ein schriller Gegensatz zu den salbungsvollen Worten von Ministerpräsident Andreotti: „Wenn jede italienische Familie eine albanische Familie aufnimmt, dann haben wir das Problem im Handumdrehen gelöst. Ich bin als erster bereit, jemanden bei mir aufzunehmen.“ „Dann soll er uns mal zeigen, wie er den von hier wegbekommt“, lästert ein Stadtpolizist nach der Meldung, „wo wir keinen rauslassen dürfen.“ Dann redet er sich in Wut: „Eine Schande, wir wollen die fünftstärkste Industrienation der Welt sein und schaffen es nicht, die paar tausend Leute zu versorgen.“
Wie wenig ernst es die Regierung mit auch nur rudimentärer Hilfe meint, beweist nach Ansicht eines Caritas-Sprechers hier vor Ort „die Tatsache, daß sie ausgerechnet unseren Zivilschutzminister zum Sonderkommissar für die Flüchtlinge ernannt hat“. Dieser, Latanzio, trägt schon seit eh und je den Spitznamen „Latitanzio“, was sich von „latitante“, versteckt, verborgen, ableitet und auf seine penetrante Nichtpräsenz an Katastrophenorten hinweist. Latanzio ließ sich zwei Wochen Zeit, bis er Order zur Ausarbeitung eines Unterbringungsplanes gab; bis gestern waren weder Zelte noch Decken, weder Verpflegungswagen noch medizinisches Sonderpersonal angekommen.
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