: CS-Gas immer noch in Polizeiwaffenarsenalen
■ Das international geächtete Kampfgas wird in den Bundesländern sehr unterschiedlich bewertet und eingesetzt
Trotz Hunderten von Verletzten und der wissenschaftlichen Unsicherheit über die toxische Wirkung des Gases befindet sich CS-Gas noch immer in den Polizeibeständen der unionsregierten Länder. In den SPD-Ländern ist man dagegen weiter. Nach der Wende in Niedersachsen wurde das völkerrechtlich geächtete Kampfgas Gegenstand der rot-grünen Koalitionsvereinbarung. Demnach darf CS nicht mehr gegen Menschenansammlungen verwendet werden. Schleswig-Holstein hat Anfang 1990 auf CS-Gas verzichtet.
Im Herbst 1981 hatte sich der damalige schleswig-holsteinische Innenminister Barschel noch begeistert freiwillig und medienwirksam dem CS-Gasnebel ausgesetzt. Mit Tränen in den Augen schniefte der Law-and-order-Mann den umstehenden Journalisten zu: „Nur Politik ist schöner.“ Kurz zuvor hatte sein bayerischer Kollege Gerold Tandler nach einem ähnlichen Wasserwerfertest, bei dem Polizisten im CS-Gasnebel zusammengebrochen waren, befunden: „Das Arrangement war doch vorzüglich.“ Sein nordrhein-westfälischer SPD-Kollege Schnoor war nach einem Selbsttest ganz anderer Meinung. „Solange ich Innenminister bin, wird CS-Gas in NRW von der Polizei nicht eingesetzt“, versprach er.
Derartige Aussagen störten seine Unionskollegen ebensowenig wie der Fall eines 19jährigen Polizeibeamten in Niedersachsen. Der hatte sich im Mai 1982 als Versuchskaninchen ungeschützt zweimal einem Wasserwerferregen mit CS-Beimischung aussetzen müssen. Einen Tag später starb er beim Baden. Ein Zusammenhang mit dem CS-Gas konnte nicht ausgeschlossen werden. Die unionsregierten Länder allen voran Bayern stellten jedoch ihren positiven CS-Gas- Beschluß nicht in Frage und verwiesen lapidar auf ein Auftragsgutachten des Fraunhofer-Instituts in Grafschaft (Sauerland). 1981 befand das Institut die Verwendung von CS in Reizstoffsprühgeräten „aus medizinisch-toxikologischer Sicht und nach dem heutigen Stand des Wissens für unbedenklich“. Schon kurz darauf bezeichnete der C-Waffenexperte Alfred Schrempf das Gutachten „als Gefälligkeitsgutachten“.
1986 erfolgte die bundesdeutsche CS-Premiere am Ostermontag am Bauzaun in Wackersdorf. Ohne jegliche Vorwarnung versprühten 41 Wasserwerfer CN- und CS-Gas in die Menge. Dürfen nach den jeweiligen Dienstvorschriften nur körperlich gesunde Polizeibeamte und Rekruten CS-Gas ausgesetzt werden, wurde hier das Gas flächendeckend verspritzt. Wenige Stunden nach dem Gaseinsatz stirbt ein 38jähriger Ingenieur an einem Asthma-Anfall. Der Münchener Toxikologe Max Daunderer hält einen Zusamenhang mit CS-Gas für wahrscheinlich. Pfingsten folgt eine weitere Eskalation. CS-Gaskartuschen wurden aus Hubschraubern auf die Menschenmenge abgeworfen. Am nächsten Tag appelliert der Bayerische Rundfunk an die WAA- GegnerInnen, ihre verseuchte Kleidung schleunigst zu waschen und zum Trocknen nicht in geschlossenen Räumen aufzuhängen. Zu spät. Noch Wochen nach dem Einsatz mußten sich Hunderte in ärztliche Behandlung geben.
Der Chemiker Rainer Grießhammer vom Freiburger Öko-Instituts, hält die Risiken des Gases angesichts der Erfahrungen von Wackersdorf für „unkalkulierbar“. Wer CS gegen Demonstranten einsetze, nehme „den Tod von Unbeteiligten billigend in Kauf“. Daunderer betonte, daß sich erst in 15 bis 20 Jahren herausstellen werde, ob die als krebsauslösend verdächtigte Substanzen bei Beamten oder Demonstranten zu einer Häufung von bösartigen Hauttumoren führen werden.
Für das schleswig-holsteinische Landessozialgericht ist dies keine Frage mehr. In einem erst jetzt bekannt gewordenen Urteil hat das Gericht im September 1987 letztinstanzlich einem damals 38jährigen Bundeswehrausbilder Ansprüche auf Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz zugestanden. Der Soldat hatte an einem knapp vierwöchigen Lehrgang an der ABS/Selbstschutzschule der Bundeswehr in Sonthofen teilgenommen und den sogenannten CS-Schein erworben. Als Ausbilder für ABC- Selbstschutz kam er bei Lehrgängen und regelmäßigen Dichtigkeitsprüfungen von ABC- Schutzmasken ständig mit CN- und CS-Gas in Kontakt. Ein Jahr später wurde bei ihm eine Krebserkrankung des Lymphdrüsensystems diagnostiziert. Das Landessozialgericht hatte dem Soldaten schließlich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 Prozent zugestanden und sich dabei auf ein Gutachten von Dr. Bartels von der Poliklinik für Innere Medizin der Universität Lübeck gestützt. Bartels kommt zu dem Ergebnis, daß es sich bei CN und CS um „chemische Reizgase mit biologischer Aktivität hinsichtlich einer akuten, subakuten und chronischen Toxizität“ handelt. Beide Tränengase hätten eine „wesentliche Bedeutung bei der Entwicklung bösartiger Tumore des lymphatischen Gewebe“. Bernd Siegler
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