: Die Softeiswoche im Olympiapark
Die Organisatoren der Eiskunstlauf-WM 1991 in München haben den Zeitgeist entdeckt/ Das Motto: „Image für den Sport, Image für die Stadt“ — und klammheimlich auch ein bißchen Image fürs Ego ■ Aus München Michaela Schießl
Angefangen hat alles damit, daß die Deutsche Eislauf (DEU) Anfang 1990 Werbeverträge, Trikotwerbung und Eisrevue-Auftritte erlaubte. Gleichzeitig wurde — der Eistanz ausgenommen — weltweit die ungeliebte, für Zuschauer undurchschaubar langweilige und deshalb fürs Fernsehen wenig lukrative Pflicht der Kringeldreher gestrichen.
Der Sport veränderte sich, und mit ihm seine Macher. Funktionäre methamorphierten zu Managern. Mit dem angenehmen Nebeneffekt, daß althergebrachte Konkurrenzparolen à la „Kampf der Nationen“ immer nebensächlicher werden. Welches Land gewinnt, ist zunehmend egal, solange das Wie stimmt: Dramatisch soll es sein, spannend und ästhetisch, auf daß die Zuschauer in endlosen Scharen Richtung Kassenhäuschen ziehen. „Die nationale Komponente ist nicht so wichtig, die Leute wollen die Show sehen“, bestätigt DEU-Sportdirektor Peter Krick. Und tatsächlich waren die Karten für das abschließende Schaulaufen so schnell vergriffen, daß eiligst ein zusätzlicher Termin angesetzt wurde.
Doch der Blick in die nahe Fernsehzukunft ist ein düsterer. Er annonciert uns statt spannungsgeladener Gesichter der Sportler, die voller Erwartung ihrer Wertnoten harren, das neue Persil. Möglicher Trost: Vielleicht präsentiert es Kati Witt, zumindest ist sie vom ZDF für die Weltmeisterschaft als Kokommentatorin verpflichtet worden.
Der Kostenpunkt des kalten Spektakels liegt laut DEU bei 4,5 Millionen D-Mark — 1974 war das gleiche Ereignis am selben Ort noch für 850.000 D-Mark zu haben. Doch der Golfkrieg hat die Kosten explodieren lassen. So wurde bei Lloyds in London für eine gewaltige Summe eine Ausfallversicherung abgeschlossen, was die ursprüngliche Prämie versechsfachte. Aber Image kostet eben. Die Stadt München ließ 20 Millionen für eine neue Trainingshalle im Olympiapark springen. Und damit alles optimal flutscht, wurden 27 Kilometer Rohr unter dem Boden verlegt, um das besonders geeignete, weichere Softeis zu erhalten.
Und eben jenes testet seit gestern die Rekordteilnehmerzahl von 161 SportlerInnen aus 30 Nationen. Darunter so ruhmreiche Namen wie Kurt Browning aus Kanada, sein Hauptrivale Viktor Petrenko (UdSSR) oder Chris Bowman und Todd Eldredge aus den USA. Titelverteidiger Browning erreichte München nur mit großer Mühe nach 18stündigem Flug. Eine Fluglinie, die er über London benutzen wollte, hatte mittlerweile Pleite gemacht. Er kann sich bis zur Entscheidung am Donnerstag noch ausschlafen.
Bei den Frauen verspricht die japanische Weltmeisterin von 1989, Midori Ito, nach just überstandener Kieferoperation neuen Biß gegen die US-Meisterin Tonya Harding und die Europameisterin Surya Bonaly (Frankreich).
Evelyn Großmann aus Chemnitz, auf der die Medaillenträume der DEU schlummerten, liegt krank darnieder. Für sie schlüpfte kurzfristig die 15jährige Cathrin Degler ins Aufgebot. „Meine Trainerin hatte sowas schon angedeutet, ja, ja, es ist schon toll hier“, zeigte sich das Stuttgarter Kind dem großen Medieninteresse nicht gewachsen.
So verbleiben der Deutschen Meisterin Marina Kielmann Außenseiterchancen. Der zweite Schlag für die DEU war die Absage der Paarläufer Mandy Wötzel und Axel Rauschenbach, die ebenfalls von der heimtückischen Chemnitzer Nebenhöhlenvereiterung hingestreckt wurden. Nur Ronny Winkler entkam dem Virus und startet zusammen mit Mirko Eichhorn (Berlin) und dem Deutschen Meister Daniel Weiss (Ingolstadt) für die DEU bei den Männern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen