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Not everything shining is made of gold

■ Statt Broadway-Glamour Neustrelitzer Theaterdonner um Hochstapler/ „Vorwärts zum 42 Jahrestag der DDR!“

Von Bernd Kerkin

Neustrelitz (taz) — Kürzlich war ich vier Wochen in New York und hatte also Zeit, mir einiges gründlicher anzusehen. Besonders neugierig war ich auf das in Neustrelitz so vielgelobte Elysium Theatre. Mein erster Versuch, diese Neugier zu stillen, schlug fehl. In der 6th Street fand ich nichts, was nach einem Theater aussah, die ganze Gegend um East Village herum ist schlimmer ramponiert als die gruseligste DDR-Altstadt es hätte sein können — und das will schon was heißen. Nachdem ich mir die genaue Adresse vom oben genannten Theater — und „Wirkungsstätte“ des Neustrelitzer Theaterintendanten von Leitis besorgt hatte, startet ich einen zweiten Versuch. Zumindest gab es die Hausnummer, doch wo war das Theater? Ein kleines Schaufenster, eine kleine Tür, ein paar Blätter aus der Kopiermaschine. Nach einem engen Flur dann der Theatersaal, daß soll heißen ein Zimmer von vieleicht 30 Quadratmetern, davon etwa zehn Quadratmeter die zu denkende Bühne, denn einen Podest gibt es dort nicht. Die übrigen 20 Quadratmeter sind der Zuschauerraum, genauer gesagt 30 Klappstühle. Nicht einen einzigen Scheinwerfer, lediglich drei einfache Leuchten, zum Teil mit farbiger Folie beklebt. Zu sehen gab es dort in den vier Wochen lediglich zwei Sücke, die beide nicht unter der Regie von Gregorij H. von Leitis entstanden: Peter Turinis „Kindesmord“ und eine Lesung zum Thema „Wiener Café“ Die erste Inszenierung war gut, die zweite sehr mäßig. (Eine dritte „Inszenierung“ zeigte jüngst hierzulande in Neubrandenburg und Neustrelitz, daß eine in ihren Mitteln noch begrenzte junge Schauspielerin gemixt mit einer inkompetent zu bezeichnender Regie, die von von Leitis nämlich, aus einem Hörspiel noch lange kein Theaterstück machen.)

Man kann auch unter den oben geschilderten New Yorker Bedingungen gute Theaterarbeit leisten, das steht außer Frage. Nur ist es ein gewaltiger Unterschied, ob man ein großes und für eine weite Region konzipiertes Haus wie das in Neustrelitz leitet, oder ein sicher gut gemeintes Feierabend-Theater in seiner Regie führt, denn alle Schauspieler im Elysium Theatre gehen tagsüber einem Job nach, ihre „Theatergage“ beträgt pro Vorstellung exakt sieben Dollar, was rund 10,50 DM entspricht.

Nun fügen sich meine in New York gemachten Beobachtungen nahtlos in das Bild, das Herr von Leitis in Neustrelitz bietet: Bei seiner Bewerbung für die Intendanz am städtischen Theater erweckte er den Eindruck, daß er ein respektables Haus in New York leiten würde, welches ohne staatliche Subventionen, vielmehr durch Sponsoren getragen wird. Dabei verschwieg er jedoch geflissentlich, daß der dortige Jahresetat unter 100.000 Dollar liegt — das Neustrelitzer Theater braucht aber mehrere Millionen jährlich.

Aus von Leitis Bewerbung ging hervor, daß er die Otto-Falckenberg- Schule in München absolviert hat. Das ist nun mal schlicht und ergreifend erlogen, von Leitis hat diesen Faux-pas bereits eingestanden. In seiner Bewerbung spricht er von einer festen Zusage, die der Dramaturg Rolf Hochhuth gegeben haben soll, ihm nach Neustrelitz zu folgen, um dort als Chefdramaturg zu arbeiten. Auch das ein Lüge, auch das hat der gute Mann eingestanden. Von Leitis verbreitete die Vision von „Internationalen Neustrelitzer Festspielen“, ohne bei seinem ehrgeizigen Anspruch auch nur im geringsten die tatsächlichen Bedingungen in Betracht gezogen zu haben: Neustrelitz — so traurig es auch sein mag — ist nun mal nicht mit Salzburg zu vergleichen. Wo sind zum Beispiel die vielen Hotelplätze, die die Stadt benötigen würde, um die Festivalgäste zu beherbergen?

Als Max Reinhard nach Salzburg ging, war der bereits ein berühmter Theatermann; wer aber ist Herr von Leitis? Niemand in Deutschland verbindet mit diesem Namen ernsthafte Theaterarbeit. In New York bekam ich auf meine Frage nach Herrn von Leitis stets nur höfliches Lächeln zur Antwort.

Ein nobody zu sein ist keine Schande. Aber ehe man einem solchen einen Fünfjahresvertrag mit einer monatlichen Gage von sage und schreibe 9.000 DM an den Hals wirft — eine Summe, die das Gehalt des Ministerpräsidenten von Mecklenburg- Vorpommern um einiges übertrifft, soviel kriegt kein anderer Intendant in Ostdeutschland — hätte man von Leitis Bewerbungsunterlagen gründlicher prüfen müssen. Das ist nicht erfolgt, eine beispiellose Schlamperei.

Beispiellos auch die Ignoranz, mit der von Leitis Schauspieler auf die Warteschleife geschickt hat, ohne auch nur eine Inszenierung gesehen zu haben. Ehe sich nun das Kultusministerium in Schwerin dazu durchringen konnte, von Leitis einen Rücktritt nahezulegen, hat es auch auf seiten von Kultusminister Wutzke, Bürgermeister Huschke und Dezernentin Dr. Kriese etliches an Ignoranz gegeben. Geflissentlich haben sie die Diskrepanz zwischen erwecktem Anschein und Realität übersehen, obwohl von Leitis bereits einige seiner Lügenmärchen revidiert hatte.

Ministerpräsident Dr. Gomolka, der anläßlich der Amtseinführung des neuen Intendanten in Neustrelitz „weilte“, sprach anschließend mit den damals ausgesperrten und protestierenden MitarbeiterInnen des Theaters und Neustrelitzer TheaterfreundInnen. Bezugnehmend auf ein Transparent: „Vorwärts zum 42. Jahrestag der DDR, mit Kompetenz, Klugheit und Ehrlichkeit auf dem alten Wege, gezeichnet Wutzke, Kriese, von Leitis“ — sagte Dr. Gomolka, daß er keinen 42.Jahrestag der DDR erleben möchte. Wir auch nicht, deshalb dieses Transparent, deshalb der Protest gegen die Politik im alten SED-Bonzen-Stil durch die nunmehr Verantwortlichen, deshalb das Auftreten gegen Inkompetenz, Dummheit und Verlogenheit.

Mir steht es nicht zu, jemanden einen Psychopathen oder einen gerissenen Hochstapler zu nennen. Es sollte Sache eines ordentlichen Gerichts sein, festzustellen, ob der obenerwähnte Intendantenvertrag unter Vorspielung falscher Angaben erschlichen wurde oder nicht. Die Diskrepanz zwischen Bewerbungsunterlagen und der Realität scheint jedenfalls eine deutliche Sprache zu sprechen. Da Dr. Gomolka eine Untersuchungskommission versprach, bleibt zu hoffen, daß bei der Besetzung dieser Kommission nicht ein Bock zum Gärtner gemacht wird.

Ein Nachtrag: Das Kultusministerium von Mecklenburg-Vorpommern sieht sich gezwungenermaßen auf den Holzweg geführt, anstatt in die Theaterwelt des Broadways versetzt. Es wäre auch zu schön gewesen. Der „engagierte“ Amerikaner von Leitis soll sich nach Angaben aus dem Schweriner Ministerium mit einer „bühnenreifen Vorstellung“ gegen 13 andere Bewerber für den Intendantensessel durchgesetzt haben. Das an von Leitis ausgehändigte Kündigungsschreiben kommt trotzdem reichlich spät. Nach Angaben der Pressesprecherin des Kultusministeriums Cornelia von Schleiffen hat von Leitis den ihm nahegelegten Rücktritt abgelehnt (bei der Gage verständlich) und eine „friedliche“ Einigung verhindert. Ihm wird bedeutet, in seiner kurzen „Amtszeit“ das Neustrelitzer Theater in eine tiefe Existenzkrise geführt zu haben. Obwohl für den Hochstapler aus New York der letzte Vorhang gefallen zu sein scheint, will Gregorij von Leitis vor Gericht eine Zugabe erzwingen. Applaus.

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