: Der Skandal als Glücksfall
Sparkasse der Stadt Halle verschenkt 400 Millionen/ Banker in den Filialen der Dresdner, Deutschen und Commerzbank reiben sich die Hände: „Endlich kommt der Markt mal in Bewegung“ ■ Von Steve Körner
Halle (taz) — Einen neuen Oberbürgermeister hat Halle noch immer nicht. Die CDU der unregierbaren Stadt an der Saale sucht seit dem Rücktritt des letzten Stasi-verstrickten Amtsinhabers nach einem Nachfolger. Ebenso vergeblich wie bisher auch SPD, FDP und Bündnis 90 gesucht haben: Ein OB ist auch vier Wochen nach dem Ende des vorherigen nicht in Sicht, der Stadtvatersessel droht zu verwaisen...
Dafür aber hat Halle einen neuen Skandal. 400 Millionen Mark zweifelhafter Kredite soll die Stadt- und Saalkreissparkasse in den letzten Monaten freigiebig an zwielichtige Westunternehmer verteilt haben — ohne groß nach Sicherungen zu schielen oder nach Rückzahlungsgarantien zu fragen. Solches bleibt nicht unbemerkt.
Stern-TV war pünktlich zur Stelle, filmte Betroffene und enthüllte Hintergründe. Am Tag danach wurde in Halle die Währungsunion wiederholt. In täuschend echt nachgestellten Warteschlangen standen täuschend echt nachgestellte Sparkassenkunden vor den täuschend echt nachgestellten Schaltern aller Sparkassenfilialen und forderten teilweise lautstark ihr (täuschend echtes) Geld zurück.
Mehrere tausend Konten wurden bereits im ersten Ansturm abgeräumt, denn die Gerüchteköche quirlten ihr Süppchen von wegen: Wer zu spät komme, den bestrafe das Leben. „Dann ist das Geld nämlich weg“, meint beispielsweise eine alte Frau, die dergleichen bereits „mehr als einmal“ erlebt hat.
Vor soviel Lebenserfahrung steht Sparkassenchef Siegfried Pannicke auf verlorenem Posten. Kein Mensch glaubt ihm, wenn er die unbedingte Sicherheit aller Einlagen beteuert — schließlich sei man ja rückversichert! Es nützt nichts. „Keine Experimente“, sagte sich der Durchschnittseinwohner der Liberalen-Hochburg und hob ab, was das Zeug hielt und abzuheben war — verglichen mit den Spareinlagen in Thüringen oder Sachsen ohnehin nicht allzuviel pro Kopf der sächsisch-anhaltinischen Bevölkerung.
Nebenan in den Filialen von Dresdner, Deutscher und Commerzbank reiben sich die Banker währenddessen die Hände. Besser konnte es gar nicht kommen. Wartenden Journalisten wird „Entsetzen über die leichtfertigen Kreditvergabepraktiken der Kollegen von der Sparkasse“ in die eilfertigen Federn diktiert. „Bei uns ist so etwas natürlich nicht möglich“, beruhigt man gleichzeitig die sich vor den Schaltern drängenden wartenden Massen von neuen Kunden, „da können Sie sicher sein.“
Ja, für die Banken ist der Kreditskandal bei der halleschen Sparkasse ein wahrer Glücksfall. Wenn es auch niemand so deutlich sagt: Man ist doch froh, denn endlich kommt der festgebackene Markt mal in Bewegung, verliert der frühere Fast-Monopolist und heutige Marktführer Sparkasse die Kunden, auf die die anderen Finanzunternehmen am Ort schon seit Monaten sehnsüchtig und doch bisher vergebens warteten. Beinahe mag man nicht an einen Zufall glauben. Kommt doch die 400-Millionen Enthüllung (allerdings mittlerweile bereits auf sozusagen läppische 200 Millionen geschrumpft) genau zum richtigen Zeitpunkt. Die Stadt- und Saalkreissparkasse war gerade dabei, ihren Sparern neue Kontonummern zuzuteilen — eine Maßnahme, die wegen der Umstellung auf westliches Niveau notwendig geworden war und nichtsdestotrotz Rennereien mit sich bringt. Arbeitgeber oder Arbeitsamt, Versicherungen, Wohnungsgesellschaften oder Otto-Versand — allen müßte man nun umgehend seine neuen Nummern mitteilen.
„Wenn ich also sowieso Streß habe, dann lieber gleich richtig“, sagen sich viele Sparkassenkunden. Und wechseln folgerichtig von der „Skandalkasse“ zu einer richtigen Bank. Da weiß man wenigstens: „Die gibt's seit hundert Jahren, und die wird's auch in noch mal hundert Jahren weiter geben.“
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