piwik no script img

„Jetzt gibt es eben die Befreiung“

■ Die Duchesnays stellten bei der Eiskunstlauf-WM den südamerikanischen Freiheitskampf dar Aber von revolutionärem Bewußtsein ist bei den Franco-Kanadiern überhaupt nichts zu spüren

Mit ihrer „Revolutionskür“, einer Homage an den Befreiungskampf südamerikanischer Völker, rissen die für Frankreich strartenden Eistanzgeschwister Paul und Isabelle Duchesnay bei Welt- und Europameisterschaften im vergangenen Jahr die Zuschauer weltweit aus den Fernsehsesseln. Doch privat haben die extravaganten Franko-Kanadier mit Politik wenig am Hut. Die taz sprach mit den Verstellungskünstlern.

taz: Nach dem zweiten Platz bei der Europameisterschaft im Januar in Sofia haben Sie die neue Kür „Reflections“ sofort beerdigt. War sie zu avantgardistisch?

Isabelle: Ja, ich glaube sie war zu anspruchsvoll. Das Publikum konnte sie nicht verstehen. Die jetzige Übung hat das Publikum mehr im Griff. „Reflections“ war vielleicht zu künstlerisch geraten.

Paul: Trotzdem muß man eigentlich versuchen, immer vielseitig zu sein, nicht nur die Stärken zu kultivieren.

Aber Sie griffen lieber aufs altbewährte „Missing“ zurück, mit dem Sie schon vor zwei Jahren Vize-Europameister wurden. Ein Kotau an das Publikum?

Isabelle (energisch): Ich mache nicht das gleiche, sondern eine Fortsetzung vom letzten Jahr. Ich hätte ganz leicht zum alten „Missing“ zurückgehen können, aber das wäre für uns ein Rückschritt. Wir wollen Fortschritt. Und glauben Sie mir, es ist unglaublich schwer, in vier Wochen eine neue Kür zu kreieren.

Warum haben Sie nicht auf die Dschungelkür zurückgegriffen? Warum Missing II?

Missing ist leichter fortzusetzten: Missing I stellte die Unterdrückung des südamerikanischen Volkes dar. Und jetzt gibts eben die Befreiung.

Sind die Duchesnay politisch?

Nein, überhaupt nicht.

Aber das Thema der Kür ist es ...

Das hat mit uns nichts zu tun. Wir zeichnen nur eine bestimmte Situation auf dem Eis nach. Das ist alles. Wir haben keine besondere Beziehung zu Südamerika. Wir dachten einfach, so etwas hat noch keiner gemacht.

Wollen die Duchesnay diesmal um jeden Preis siegen? Ist das der wahre Grund für Missing II?

Die wollen nie unbedingt Sieger sein. Der Wettbewerb geht immer nur gegen uns selbst. Den oder jenen schlagen zu wollen, ist der größte Fehler, den man machen kann. Für uns ist nur wichtig, wie der Lauf klappt und ob wir uns verbessert haben.

Aber Sie wollen doch tendenziell ins Profilager wechseln. Ist für die Höhe der Gage ein Titel nicht wichtig?

Sicher ist ein Titel nicht von Nachteil. Aber was ist den Show-Managern wohl lieber: Einen ersten Platz von neun Preisrichtern oder den Beifall von 20.000 Zuschauern wie in Calgary?

Sechs Monate lang haben Sie „Reflections“ eingeübt, für „Missing“ blieben Ihnen nur vier Wochen.

Ja, wir haben gearbeitet wie noch nie in unserem Leben.

Paul: Es war sehr anstrengend.

Trotzdem: kann die Übung nach vier Wochen ausgereift sein?

Isabelle: Zunächst hätte ich nicht gedacht, daß ich es schaffen könnte. Aber wir haben nicht bei Null begonnen, Missing I war bereits eine Grundlage. Für mein Gefühl ist Missing II genausogut wie die Erstauflage.

Paul: Die britischen Olympia-Sieger Torvill und Dean haben früher auch Küren in vier Wochen gemacht und wurden dreimal Weltmeister. Wenn man Übungen zu lange vorher tanzt, hat man bald die Nase voll und keine Ausstrahlung mehr. Diese hier ist garantiert frisch.

Was wird aus „Reflections“?

Isabelle: Wir werden sie sicher noch einmal zeigen. Als Show-Kür.

Und was kommt als nächstes? Brüten die Duchesnay etwas neues aus?

Ja, aber das darf ich noch nicht verraten.

Wieviel Küren gibt's nächstes Jahr?

Das kommt darauf an, welche Laune Chris hat. [Christopher Dean, Choreograph und Verlobter Isabelles; d. R.]

Haben Sie es eigentlich nie satt, ständig mit Ihrem Bruder zusammenzusein?

Nein, es wird immer besser. Früher war es schlimmer. Wir sind eng, sehr eng zusammen, denn wir sind ganz alleine in Europa. Ich weiß was er denkt, wie er sich fühlt, und umgekehrt auch. Streit gibts nur bei extremen Stress oder Müdigkeit. Sonst nicht.

Paul: Jetzt ist es wesentlich leichter, seit wir zwei Wohnungen haben. Früher konnten wir uns in Obersdorf nur eine leisten, waren den ganzen Tag zusammen. Nun sehen wir uns nur noch acht Stunden am Tag. Und die letzten sechs Wochen gab's sowieso keine Zeit zum Streiten.

Sind Sie zufrieden mit den Pflichtläufen?

Isabelle: Ja, sie waren besser als in Sofia.

Hätten Sie nicht bessere Noten verdient?

(süffisant): Vielleicht. Interview: Michaela Schießl

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen