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Kitsch as Kitsch can oder: Das Diktat der Puffärmel

■ Viele Kostüme der Eiskünstler sind traditionell bieder — Die Gratwanderung zwischen Show und Sport ist eng verbunden mit Form und Funktion

München (taz) — Allzu lange ist es noch gar nicht her, als die ehemalige deutsche Eiskunstlauf-Diva Claudia Leistner — damals noch im Amateurlager tätig — einen geradezu revolutionären Entschluß faßte. Keine Sekunde länger wollte sie die schnöde und langweilige Eismode mitverantworten. Kurzerhand setzte sie ein bis heute unvergessenes, weil äußerst frivoles Zeichen der Zeit: Sie tanzte in Netzstrümpfen. In Netzstrümpfen! Mehr als einem Wertungsrichter wird der Herz-Schrittmacher außer Rand und Band geraten sein.

Ein ähnlich ordinäres Ereignis blieb den Zuschauern der Eiskunstlauf- Weltmeisterschaft dieses Jahrgangs in München erspart und versagt. Wie es sich schickt, zierten hautfarbene blickdichte Strumpfhosen die durchtrainierten Sportlerinnenbeine, bestenfalls mit einem ganz leichten Glimmerhauch versehen. Und daß, wo die Strumpfmode allerorts boomt wie nie. Doch beim Sport machen sich weder Pünktchen noch Schlangenlinien gut am Bein. Lang und gestreckt soll es wirken, und eben das leistet ein einfarbiges Beinkleid. Ein Argument, dem man sich nicht völlig verschließen kann.

Aber die Schuhe! Stulpenhaft verkürzen die weißen Treter die Beine. Die Lösung ist auch hier gefunden: Hautfarbene Überzieher verlängern optisch. Bei Shows gehören die Stiefeletten-Schoner längst zum Standard- Equipement. Und damit wären wir beim eigentlichen Problem angelangt. Denn Eiskunstlauf ist Sport und Show zusammen. Die strikte Trennung der beiden Bereiche — die in Wahrheit eine konstruierte ist — schlägt sich besonders in formalen Reglementierungen für die AthletInnen nieder. Sportlicher Art, aber auch modischer. So werden aus purem Puritanismus Überzieher für die Schuhe nicht gestattet. Lange Hosen bei Frauen sind genauso Dornen in den Augen der Richter. Ein Rock sollte schon unbedingt dran sein am holden Weibchen.

Doch auch die eislaufende Männlichkeit muß leiden: Als der Deutsche Meister Daniel Weiss bei der WM 1990 in Halifax zur Untermalung seiner Vorstellung Handschuhe tragen wollte, wurde ihm dieser Griff bei Strafandrohung untersagt. 0,2 Punkte Abzug kann einem Modesünder für solches Faux pas de couture aufgebrummt werden. Merke deshalb: Alles, was nach Show riecht, ist verboten. Die Internationale Skating Union (ISU) hat den Blick geschärft und den Daumen drauf. Denn aus Kreisen des Internationalen Olympischen Komitees verlautete bereits Unmut über die Showfixierung. Das wäre bald kein Sport mehr und hätte von daher nichts mehr bei Olympia zu suchen, grummeln die olympischen Greise.

Formal hat man sich auf die zutiefst subjektive Formel „sportgerechte Kleidung“ geeinigt. Und die ließe eindeutig mehr Möglichkeiten offen, als bei diesen Titelkämpfen in München genutzt wurden. Doch die hinreißenden, hautengen Bodysuits, die beim täglichen Training für Bewunderung sorgen, blieben unbeachtet im Spind hängen. Hervorgezogen wurden wie immer und wie gewohnt die mit Pailletten überladenen Glitzerfummel, gerne in zartrosa, hellblau oder pink, und möglichst gerüscht und gerafft. Dorthinein werden drahtige Athletinnenkörper gesteckt, die fortan ungemein weiblich und chinesischen Teepuppen gleich sich drehen und wenden. Kitsch in Vollendung. Die Männer präsentieren analog dazu anzugartige Glimmergebilde.

Und das, obgleich den jugendlichen Sportlern oftmals die notwendige Ausstrahlung sowie die passende Figur fehlt, die zu solchem Outfit gehört. Doch die Schneiderschere setzt bereits im Kopf an. Die Verkleidung muß eben sein, weil die über Wohl und Wehe entscheidenden Wertungsrichter das mögen. Und die sind etwa zwei Generationen älter. So wie die Eiskunstlaufmode.

Eine natürlichere Begrenzung der Kostümgestaltung liegt in der Funktionalität. Im langen Rock verheddert man sich spätestens beim doppelt gedrehten Rittberger, ganz zu schweigen von einer ewig drehenden Bielmann-Pirouette. Und ist der Ausschnitt zu gewaltig, entweichen in der Todesspirale nur allzu leicht die Milchdrüsen, einst geschehen bei Katarina Witt. Auch das Material hängt natürlich von der Funktion ab. Während in fast allen Sportarten Baumwolle dominiert, steht der Eiskunstlauf auf Plastik: Lycra, Polyethylen, Acryl, Elastan. Denn extrem dehnen muß es sich, möglichst ohne zu reißen. Und gleichzeitig muß es luftdurchlässig und waschbar sein.

Allein der immer mehr zum Publikumsmagnet werdende Eistanz ist ein wenig freizügiger in der Kleiderwahl geworden. Da weder Sprünge noch Hebefiguren über Schulterhöhe zugelassen sind, vervielfachen sich die anzüglichen Möglichkleiten um ein Mehrfaches. Die Verwandlung vom bodenständigen Volkstänzchen zum expressionistischen Tanztheater brachte zusätzliche Unordnung in die traditionelle Kleiderordnung der EiskunstläuferInnen. Eine Revolution tanzt man nun einmal nicht in Pailletten, ein Autorennen nicht in Puffärmeln. Die Kostüme, so die Prämisse der Preisrichter, sollen auf die inhaltliche und musikalische Gestaltung der Vorträge abgestimmt sein. Je ausgefallener und extravaganter also die Themen, desto aufregender und variantenreicher die Klamotten.

Das wiederum rief die Modehauptstadt Paris auf den Plan. Die Haute Couture hat in vielen Ländern den Eiskunstlaufsport entdeckt. Davon blieb auch das Münchner Championat nicht verschont. Für die Franzosen entwarf die bekannte Modeschöpferin Nina Ricci die Hüllen. Das US-Team wurde von einem Star-Designer der Revue „Ice Capades“ gestylt, und sogar die Sowjets hatten den Moskauer Modezaren Slawa Saizew für die Gestaltung ihrer Fummel verpflichtet. Schnell kostet so ein Stückchen Stoff zwischen 2.000 und 5.000 Mark, wenn ein Modegott Hand anlegte. Selbst von der Stange muß man mit 250 bis 600 Mark rechnen.

Ob Karl Lagerfeld, Gil Sander oder Wolfgang Joop bereits mit dem deutschen Team verhandeln, blieb bisher unbestätigt. Vielleicht ist ja das die Lösung der Eislaufmisere, glaubt man den Worten der Kati Witt: „In schönen Kleidern läuft es sich einfach besser.“ Bis es soweit ist, verlassen wir uns halt weiter auf Frau Kielmann. Die Eislunstlaufmutter und Trainerin nämlich entwirft und näht Marinas Kleider nach wie vor selbst. Seufz. Michaela Schießl

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