Stasi-Spitzenverdiener enttarnt

'die andere‘ nennt die Namen der 2.000 bestbezahlten ehemaligen Stasi-Offiziere/ Weitere Namen sollen folgen/ Veröffentlichung als Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte  ■ Aus Berlin Wolfgang Gast

Die ehemaligen Hauptamtlichen des Stasi sind nicht länger geheim: Die der Bürgerbewegung aus der DDR nahestehende Wochenzeitung 'die andere‘ veröffentlichte gestern in ihrer neuesten Ausgabe die Liste der 2.000 bestverdienenden Stasi-Offiziere. Weitere Namen sollen in den folgenden Ausgaben erscheinen. Mehrere hundert Exemplare, denen die Stasi-Liste auf 12 Sonderseiten beigelegt ist, fanden gestern auf dem Alexanderplatz reißenden Absatz.

Die jetzt veröffentlichte Liste stützt sich auf einen Stasi-internen elektronischen Datenträger, das sogenannte „Finanzprojekt“, auf dessen Grundlage während des Auflösungsprozesses die Rentenansprüche der ehemaligen Stasi-Leute berechnet wurden. Diese Liste war im Frühjahr letzten Jahres von Mitarbeitern der Bürgerkomitees in einem Rechenzentrum der Nationalen Volksarmee sichergestellt und der Volkskammer übergeben worden. Eine Fassung der Liste liegt dem zuständigen Stasi-Sonderbeauftragten der Bundesregierung, Jochen Gauck, vor — eine andere Fassung halten mittlerweile die Verfassungsschützer in Bund und Ländern in Händen. Die einzelnen Datensätze bestehen aus der Personenkennzahl (PKZ) mit dem Geburtsdatum, einer Dienststellennummer und dem Jahreseinkommen für 1989. Bei ihrer Veröffentlichung verzichtete 'die andere‘ auf die Nennung der PKZ.

Alte Bekannte befinden sich unter den oberen Zehntausend der Stasi- Krake — ganz oben rangiert Stasi- Chef Erich Mielke (Jahreseinkommen: 79.062,50 Mark), gefolgt von seinem Stellvertreter Rudi Mittig (71.250 DM) und dem letzten Leiter des Auslandspionagedienstes HVA, Werner Groszmann (69.000 DM). Auf Platz 14 findet sich der MfS- Oberst Alexander Schalck-Golodkowsky, dessen Jahreseinkommen von über 54.000 Mark sicherlich noch durch weitere Zuwendungen aus seinem zwielichtigen „Bereich Kommerzielle Koordination“ aufgebessert worden sein dürfte. Weiter veröffentlichte das Magazin den sogenannten Diensteinheitsschlüssel (der wenigstens in Berlin den Verfassungsschützern noch nicht vollständig bekannt ist), mit dem die Zuordnung der einzelnen Dienststellennummer zu den jeweiligen Abteilungen der Stasi möglich ist.

Der Herausgeber Klaus Wolfram erklärte zusammen mit Mitgliedern der Bürgerbewegung, der Veröffentlichung sei eine lange und gründliche Diskussion vorangegangen: Es sei „einfach unsere Geschichte in diesem Land, deren Aufarbeitung wir zum Leben brauchen wie die Luft zum Atmen“. Hinsichtlich der Verwendung der Liste durch den Verfassungsschutz sagte er weiter, die „blinden und im Grunde genommen verantwortungslosen Entscheidungen“ der Bonner Regierung liefen auf eine „Vergiftung des demokratischen und rechtsstaatlichen Geistes in den neuen Bundesländern hinaus“. Er zeigte sich überzeugt, daß es nach der Veröffentlichung nicht zu einer Hetzjagd auf die ehemaligen Angehörigen des Ministeriums kommen werde. Reinhard Schult vom Neuen Forum verwies auf die Erfahrungen, die nach der Veröffentlichung der „Stasi-Objektliste“ durch die taz gemacht wurden. Gegen alle Befürchtungen war es nur in sehr wenigen Fällen zu Beschwerden oder Beschimpfungen gekommen. Die Aufdeckung der Stasi-Mitarbeiter werde nun in vielen Einzelfällen sicherlich zu „schmerzhaften Prozessen“ führen, sagte Klaus Wolfram, dies sei aber allemal besser, als abzuwarten, „bis uns unverdaute Brocken aus der Boulevardpresse entgegenschlagen“. Einen Seitenhieb erteilten die BürgerrechtlerInnen auch dem Nachrichtenmagazin 'Der Spiegel‘, der sich die Liste erst kürzlich für eine sechsstellige Summe beschafft hat, sie aber nur zu „blatteigenen Recherchen“ nutze. Ein ziemlich frustrierter 'Spiegel‘-Redakteur konterte mit der Frage, welche Aufklärung sich denn die Redakteure der 'anderen‘ von dem vorgelegten „Datenmüll“ erhofften.

An eine vollständige Nennung der über 97.000 Stasi-Mitarbeiter ist seitens der 'anderen‘ nicht gedacht, da in der Liste auch die Datensätze der von der Stasi beschäftigten Friseure, Gärtner und Hausmeister aufgeführt sind. Wie weit die Redaktion die Liste — die anhand des Einkommens von oben nach unten sortiert ist— abtragen will, ist nicht endgültig entschieden. Die untere Grenze soll aber auf jeden Fall dort sein, wo die ehemaligen Stasis weniger als 20.000 Mark im Jahr verdient haben.