: Der Export der Fußball-Genossen
■ Die besten sowjetischen Fußballer wechseln zu westlichen Vereinen, die eigenen Klubs plagen finanzielle Sorgen — und trotzdem befinden sich die UdSSR-Kicker auf dem Weg zu alter Spielstärke
Moskau (taz) — Große Differenzen zwischen den sowjetischen Völkern, eine Fluchtbewegung der besten Spieler ins westliche Ausland und wachsende Geldsorgen der Vereine: Vor dem Länderspiel gegen Deutschland am kommenden Mittwoch in Frankfurt präsentiert sich der UdSSR-Fußball in desolater Verfassung. Die 54. Landesmeisterschaft der UdSSR verdeutlicht die aktuellen Schwierigkeiten des Vize- Europameisters von 1988.
Die Meisterschaft wird von den Mannschaften aus Georgien und Litauen boykottiert. Außerdem bereitet die Durchführung von Spielen in Krisengebieten wie Armenien, Aserbaidshan und Ossetien Schwierigkeiten. Finanzielle Probleme komplizieren das Leben des Fußballverbandes weiterhin. Im vergangenen Jahr gab er für alle Wettbewerbe 5,5 Millionen Rubel aus, verdiente dabei jedoch nur 320.000 Rubel. Auslandsgastspiele waren bisher eine willkommene Einnahmequelle, doch für das Länderspiel in Frankfurt/Main erhält der sowjetische Verband keine Kopeke, da er noch eine Verpflichtung abzugelten hat.
Weil die Funktionäre bei der EURO'88 in der BRD den Team- Bus im Wert von 1,1 Millionen Mark mit nach Hause nehmen durften, erklärten sie sich bereit, zwei Spiele unentgeltlich zu bestreiten. Im September 1988 siegte die DFB-Auswahl in Düsseldorf mit 1:0. Die Frankfurter Partie ist nun das zweite „Bus-Spiel“. Die Teilrepubliken sind kaum in der Lage, Mannschaften als Nationalteams aufzustellen. Zwar wünschen die Sportverbände die Rückkehr zu alten Unionszeiten, können aber nichts gegen die Unabhängigkeitsbestrebungen ihrer Regierungen ausrichten. Auch die anfangs euphorisch aufgenommene wirtschaftliche Selbständigkeit ist heute ins Gegenteil umgeschlagen. Die galoppierende Inflation sowie steigende Preise für Sportgerät und Kleidung drohen viele Klubmannschaften zu ruinieren.
Umso erstaunter registrierte man am vergangenen Mittwoch überzeugende Leistungen der UdSSR-Vertreter im Europacup. Der amtierende Meister Spartak Moskau blamierte das „königliche“ Real Madrid mit einer schmähvollen 1:3-Heimniederlage. Auch Dynamo Kiew trotzte dem FC Barcelona in dessen Stadion ein 1:1 ab, konnte damit allerdings den 2:3-Rückstand aus dem Hinspiel nicht mehr aufholen. Und Torpedo Moskau scheiterte im UEFA-Pokal erst im Elfmeterschießen am dänischen Bröndby Kopenhagen.
Durch die guten Leistungen in internationalen Spielen werden immer mehr Stars ins Ausland verkauft. Fast 100 Fußballer verdienen für sich und ihre Vereine Devisen jenseits der Grenzen. Die Nationalspieler Protassow, Litowtschenko und Sawitschew kicken derzeit in Griechenland für Olympiakos Piräus, Rodionow spielt in Frankreich, Gorlukowitsch bei Borussia Dortmund, Dobrowolski in Spanien, Michailitschenko und Alejnikow in Italien. Manche Klubverantwortliche bieten ihre besten Akteure den Spielervermittlern weit unter Marktwert an. Eine derzeit in Moskau verbreitete Anekdote erzählt von dem Vorfall, daß ein Fußballer gegen einige Personalcomputer, Farbfernseher und Videorecorder eingetauscht wurde.
Die Probleme der Klubs schlagen naturgemäß auf die Nationalmannschaft durch. Der neue, demokratisch gewählte Trainer Anatoli Byschowez will alte Wege verlassen und hat bereits junge, unbekannte, aber ehrgeizige Spieler ins Team berufen. Torhüter Uwarow (Dynamo Kiew), Verteidiger Kulkow und Stürmer Mostowoi (beide Spartak Moskau) und Angriffsspieler Juran (Dynamo Kiew) zählen zur neuen Generation, mit der Byschowez nach der Ablösung seines Vorgängers Waleri Lobanowski einen „intellektuellen Kombinationsfußball“ spielen möchte. Daß er damit schon gut vorangekommen ist, bestätigte ihm sein Trainerkollege Berti Vogts nach dem Europameisterschafts-Qualifikationsspiel Italien-UdSSR: „Beim 0:0 war die Sowjetunion die klar bessere Mannschaft. Wir haben in Frankfurt einen spielstarken, ehrgeizigen Gegner.“ bossi
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen