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Ball Paradox bei Tango und Fox

■ Beim Astro-Ball im Cafe Keese: Die Damen haben die Qual der Wahl und finden doch nicht immer das passende Sternzeichen für die Liebe/ Die Herren müssen warten lernen oder Rosen bestellen

Charlottenburg. Es ist wirklich dringend, Eile ist geboten. Uschi möchte einen Mann kennenlernen, der das Abendessen spendiert und die Blumen zum Frühstück. Das ist nicht einfach. Die Arbeitskollegen sind »untergebracht«, die Männer der Freundinnen tabu, in den Cafés verstecken sich alle hinter den Zeitungen, die Disko kommt nun gar nicht in Frage, und auf den Zufall möchte sie nicht länger warten. Also, auf und sofort ins Café Keese, bevor das Selbstbewußtsein ganz im Keller ist. Denn: »Hier herrscht Ball paradox, ob bei Tango oder Fox«, und das jeden Abend, seit Generationen. Hier braucht keine Frau zu warten, daß sie von Männern auserwählt wird, sie ist die Königin der Nacht und bestimmt die Spielregeln. »Ohne Angstgefühl und Qual, hier ist immer Damenwahl«. Das Keese-Konzept ist erfolgreich, weil Frauen in der Lebensmitte keine gesellschaftlich sanktionierten Alternativen haben, sich einen Mann zu nehmen, wenn ihnen danach ist.

Uschi ist die typische Keese-Besucherin. Gepflegt, Typ Nancy Reagan mit Rüschenbluse und taftgestärkter Frisur, um die 49, drei Tropfen Tosca hinterm Ohr und emanzipiert durch Erfahrung. Im Beruf steht sie ihren »Mann«, aber in der Nacht fehlt er schmerzlich. Keese ist deutschlandweit das Institut für »Partnerwahl« und »Eheanbahnung«, die jugendfreie Umschreibung für »Anmache« und »one night stand«. Das Lokal ist elegant im Stil der 60er Jahre, das Niveau der Gäste hält der Zerberus am Eingang. Der Eintritt ist frei, die Preise erträglich, jeden Abend Live-Musik, am Mittwoch ist Astro-Ball. Uschi ist »Waage«, das Sternzeichen trägt sie als Aufkleber wie eine teure Brosche. Auf jedem Tisch liegt eine Liebesprognose, das erleichtert die Suche und die Schwierigkeit des ersten Satzes. Ein »Löwe« wäre passend, beide soll der »heitere Genuß am Luxus« verbinden. Zwei Tische weiter sitzt ein Weintrinker, die Flaschenpreise beginnen bei 42 Mark. Der Tanzaufforderung darf er sich nur an der Bar entziehen. »Körbe« zu verteilen, ist laut Hausordnung den Herren verboten. Das Quartett spielt den alten Song Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt. Die Lautstärke erlaubt Gesprächsversuche, kein Disko-Lichtgewitter verhindert die Gesichtskontrolle, und der Takt lädt zum Näherkommen ein. Der Tanzpartner ist kein »Löwe«, sondern »Wassermann«. Er weiß »immer, was der Waage gefällt«, steht in der Partnersuchanleitung. Aber Fehlschlag. Uschi tanzt gerne, der Auserwählte schlecht. Ein Gespräch will nicht in Gang kommen. Sie hat die Freiheit, ihn nicht noch einmal aufzufordern. Seine Eigeninitiative ist durch die Hausordnung gebremst. Nur jede Stunde zeigt ein grünes Licht »Herrenwahl« an. Bei Keese müssen Männer warten. Der einzig mögliche Erzwingungsversuch ist eine Rose, vom Kellner der Dame überreicht, »das hat schon manches Frauenherz erweicht«.

Anfänger gibt es kaum im Keese, die Männer bewegen sich sicher unter den Augen der Frauen. Fast alle sind um die 40, der Anzug sitzt. Die Berliner sind meistens Rheinländer, da kennt man Paradox vom Karneval. Die anderen sind Handlungsreisende, alle paar Monate auf Stippvisite in der Stadt. Sie können vergleichen. Auf der Reeperbahn in Hamburg sei Keese oft die billige Alternative zum Strich, im Ruhrgebiet seien zu viele Ausländer. »Berlin ist Spitze«, meinen sie. Die Frauen wüßten, was sie wollen, der Ehering brauche nicht vom Finger gedreht zu werden.

Uschi hat nichts gegen Ausländer, aber im Keese lieber nicht. Die beantworten jede Tanzaufforderung gleich mit einem Heiratsantrag, sagt sie. Vollzug sofort. Andere brachten nach südländischer Sitte die Kinder mit. Mutterlose natürlich. Das erinnerte die deutschen Männer an die daheimgelassenen eigenen. Schlechtes Gewissen ist kein Aphrodisiakum und senkt den Umsatz. Der neue Geschäftsführer Arno Manke erlaubt daher nur noch ausländischen Stammgästen den Eintritt. Seitdem floriert das Geschäft, und der »Laden hat Klasse«, wissen die Berliner Taxifahrer.

Gegen Mitternacht beginnt ihr Geschäft. Bis dahin haben sich an den Wochentagen die Paare gefunden oder eben nicht. Ab 23 Uhr sortieren sich im Keese die Männer und Frauen zu Paaren. Wer zu dieser Zeit noch nicht Wange an Wange tanzt, wird es auch nicht mehr. Fair play heißt die Devise. Der Bogen wird nicht umsonst gespannt. »Gehen wir woanders noch was trinken«, heißt der Code. Uschi hat kein Glück gehabt, obwohl Männer genug da waren. Den »Schützen«, der die Waage »jung und munter« hält, hat eine »Jungfrau« weggeschnappt. Am schönsten fand sie die Kellner, aber die sind tabu und sehr diskret. Obwohl sie gleich kassieren. Sie wird es nächsten Mittwoch erneut probieren. Vielleicht findet sie dann einen Zwilling. Denn »er erlaubt Liebe auf den ersten Blick«. Frau Libido

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