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Neon-Bodies auf High-Tech-Bikes

■ In praktischer Alltagskleidung aufs simple Fahrrad steigen und Losradeln ist hoffnungslos altmodisch. Hochtechnisiertes Zubehör und Specialkleidung gehören zum sportiven Pedaltreten

In praktischer Alltagskleidung aufs simple Fahrrad steigen und Losradeln ist hoffnungslos altmodisch. Hochtechnisiertes Zubehör und Spezialkleidung gehören zum sportiven Pedaltreten.

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ur Zeit unserer Großeltern hatten die Fahrräder noch so klangvolle Namen wie „Consul“, „Original Maxim“ oder „Vaterland“. Und genauso gediegen wie ihre Namen waren auch ihre Rahmen: einheitlich schwarz, schwer gußeisern und grundsolide. Die Menschen, die darauf saßen und sich fortbewegten, waren allesamt Damen- und Herrenfahrer. Die Herren mit Anzug und Hut, und für die Röcke der Damen gab es einen Speichenschutz aus hundert Gummibändern. Gebremst wurde hauptsächlich durch Eigengewicht. Der sagenhafte Rollwiderstand machte jede ernst zu nehmende Bremse überflüssig. Wollte man dennoch mal schneller zum Stillstand kommen, wurde über ein bezaubernd fragiles Gestänge ein Gummiklotz von oben auf den vorderen Ballonreifen gedrückt.

Für die Beleuchtung sorgte eine am Lenker befestigte Lampe von der Größe einer mittleren Stallaterne, Gangschaltung war unbekannt. Ging es bergauf, hielt man sich am Anhänger eines Lasters fest und ließ sich, ein lustiges Lied auf den Lippen, ziehen. Doch unwiederbringlich vorbei sind jene Tage der heiter-beschwingten Radfahrkultur. Das Radfahren heute ist schweißtreibende Body- Motion auf einem superleichten High-Tech-Gerät, das mehr und mehr zum Mittel sportiv-dynamischer Selbstdarstellung mutiert. Ein Blick auf die frühlingswarmen Straßen und Berghänge zeigt das erschütternde Ausmaß der Design- und Image-Orgie, die uns heute in Gestalt des City-Bikers, des Mountain- Bike-Freaks und des Rennradlers unaufhaltsam zu überrollen droht.

Egal ob durchtrainierter Muskelmann oder bierwampiger Familienvater — knallbunte, wurstpellenartige Trikots und Radhosen umspannen shrink-pink den Body der zu jeder Steigung entschlossenen Giganten der Bundesstraßen, die beim ersten Sonnenstrahl rudelartig ausschwärmen und bei ihrer Leistungsschau jedes Gefühl für vornehme Zurückhaltung, die den Radfahrer früherer Zeiten auszeichnete, vermissen lassen.

Die Modenschau auf Rädern hat längst das weite Feld der Accessoires erfaßt: Sturzhelmbewehrt wie Bomberpiloten mit „Air-Attack“- und „Air-Force-II“-Helmen, die Augen von der „Speedshield“-Fahrradbrille abgedunkelt, die Hände in kevlarverstärkten Radhandschuhen mit stark abfedernden Schlagschutzpolstern, sitzen sie in ihren neonfarbenen „Windbreakern“ auf dem supersoften Gel-Sattel und stieren dämlich- verbissen auf den Asphalt, anstatt wie unsere Altvorderen und jeder heutige Vernunftradler in aufrechter Sitzposition frische Luft und Landschaft zu genießen. Ihre High- Tech-Maschinen von „Specialized Checker Pig“ oder „Koga Myata“ weisen einige Spezifikationen auf, die mittlerweile zum unverzichtbaren Glaubensbekenntnis der Roadrunner gehören: Ohne den Rahmen aus doppelt konfizierten Chrom- „Moly“-Rohren und die Gabel mit handgeschmiedeten Ausfallenden geht auf dem Radweg gar nichts mehr. 3fach-Bio-Pace-Kettenblatt und 21-Gang-Hyperglied-Schaltung sind ebenso obligatorisch wie die hart zupackenden „Cantilever“- Bremsen, eine offenbar aus der Raumfahrt übernommene Bremstechnologie.

Wer derart hochgerüstet in die Pedale tritt, kann sich selbstverständlich nicht mit dem Fahren an sich zufrieden geben. Erst das exakte Wissen, wie schnell er wie weit gestrampelt ist, verschafft ihm nachkontrollierbaren Befriedigungsstandard. Umfassenden Datenfluß bietet hier der Road-Monitor-Fahrradcomputer, der neben Tages- und Jahreskilometern die Momentan-, Durchschnitts- und Maximalgeschwindigkeit, Fahrzeit und selbstverständlich die Trittfrequenz anzeigt. Durch die Kontrollalarmfunktion ist es dem Allestreter möglich, eingestellte Leistungsvorgaben jederzeit zu überprüfen: Sobald die eingegebene Durchschnittsgeschwindigkeit oder Trittfrequenz unterschritten wird, ertönt der akustische Alarm, der den keuchenden Pedalritter zur sofortigen Erhöhung der Kurbelumdrehungen ermahnt.

Doch irgendwann ist auch das entfernteste selbstgesteckte Ziel erreicht und Apres Tour angesagt. Wohin aber mit dem wertvollen Gerät? Einfach an den Zaun lehnen wie anno dunnemals und sich einen schönen Lenz machen ist heute nicht mehr drin. Am besten natürlich — mitnehmen. Für die Fälle, in denen dies nicht möglich sein sollte — nicht jedes Bistro verfügt über eine geeignete Radgarderobe — gibt es jetzt endlich den Bike-Guard, die elektronische Fahrradalarmanlage, die auf jede Bewegung mit Alarmwiederholung reagiert. Peinlich wird's erst, wenn die Sirene auf die Fahrtbewegungen des rechtmäßigen Besitzers anspringt und bei jeder Kurbelumdrehung ein sirenenartiger Hupton ertönt...

Der wahre Liebhaber gehobener Tretkultur wendet sich mit Grausen von diesen sinnwidrigen Deformationen einer ursprünglich schönen Fortbewegungsidee ab und sucht auf seiner Original Miele-Mühle mit leicht erhöhter Trittfrequenz das Weite. Rüdiger Kind

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