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Beitrittsgebiet VS

■ Laufende Posse mit Zwischenakt

In jener unerfreulichen Geschichte, welche die Schriftsteller in Ost-und Westdeutschland derzeit sich selber schreiben, stellt die hier dokumentierte Austrittserklärung von Detlef Michel, ehemaliges Mitglied des Landesvorstands des VS Berlin, ein Zwischenkapitel dar: ein kurzer Moment der Vergegenwärtigung, was aus dem westdeutschen VS geworden ist. „Mittelmaß, Funktionärsgebaren, Gschaftlhuberei bestimmen die Organisation, die einmal literarisches Renommée hatte.“

Das ist freilich schon etwas her. Aber die Publicity des „Falls“ — der Berliner VS nahm umstandslos 18 DDR-Autoren in seine Reihen auf, deren Vergangenheit, wie Uwe Friesel taktvoll formulierte, im Zusammenhang mit Repressionen gegen Kollegen „in die öffentliche Diskussion geraten“ ist — zehrt noch vom diesem verblassenden Glanze. Der VS hat einmal Politik gemacht — eine vielfach merkwürdige Politik gewiß — und ist damit über seine Satzung hinausgegangen, welche die einer Gewerkschaft ist, dem offiziell ideologiefreien Zusammenschluß Berufstätiger zu einem Interessenverband, der Dachdeckerinnung vergleichbar. Diese Satzung war mithin kleinster gemeinsamer Nenner, aber nicht größtes gemeinsames Vielfaches der Aktivitäten des VS, der, eine aufschlußreich unbeholfene Formulierung gebrauchend, noch auf der letzten Buchmesse seine „Reliterarisierung“ beschwor.

Damit wird es nun wohl eine Ende haben. Der Spagat des VS- Vorsitzenden Friesel zwischen Satzung und Moral, der vielleicht unbeholfene, aber immerhin aufrichtige Versuch, einen Rest von Zweifel, Bedenklichkeit und Selbstkritik in die kommenden Zeiten hinüberzuretten, ist restlos gescheitert. Der Empfehlung, ihren Aufnahmeantrag „bis auf weiteres zurückzustellen“, wollten die 23 Autoren keineswegs nachkommen. Über die geistige Verfassung dieser neuen VS-Mitglieder (sofern sie nicht beleidigt selbst ihre Beitrittserklärung zurückgezogen haben) geben deren Vergleiche von Uwe Friesels nachgerade timiden Wartegesuch Auskunft — mit „der großen Bücherverbrennung 1933“ nämlich (Peter Abraham), mit Jahren, „die lange, ich meine: auch schon sehr lange, zurückliegen“ (Ruth Werner), mit „einer Zeit, als in ähnlichen Organisationen ‘die Juden unerwünscht' waren“ (Elfriede Brüning).

Die paranoide Heftigkeit dieser Vergleiche bildet, neben schamloser Dummheit und verbrecherischer Bedenkenlosigkeit im Umgang mit Geschichte und Sprache, auch die ambivalenten Erwartungen dieser AutorInnen an den VS ab. Einerseits berufen sie sich, formal durchaus zu Recht, auf die Mitteilungen des SV der DDR vom April 1990, in denen ihnen zugesagt wurde: „Sowohl mit dem Vorstand des VS als auch mit dem Geschäftsführenden Hauptvorstand der IG Medien gibt es Übereinstimmung, daß es für die Übertritte unserer Mitglieder keinerlei ‘Aufnahmeverfahren' geben wird. (...) und dabei gibt es keinerlei ‘Gesinnungsgründe', allein das aktive Verfolgen oder Verbreiten faschistischer oder neofaschistischer Ziele ist Grund für Verweigerung der Mitgliedschaft oder für einen Ausschluß.“ (Man kann an den zitierten Formulierungen der selbsternannten Juden des Jahres 1991 beiläufig erkennen, wohin die gebetsmühlenartige Verdammung des Faschismus und Neofaschismus in der DDR geführt hat.) Andererseits gab es die Hoffnung, der neue VS „könnte uns so etwas wie eine Stütze sein, uns eines Tages sogar ein Gefühl von Geborgenheit geben“ (Elfriede Sara Brüning), offenbar auf der Verwechslung einer Gewerkschaft mit einer Gesinnungsgemeinschaft beruhend.

Olaf Münzberg, Landesvorstandschef des VS Berlin, hat in einem Interview mit der ‘Jungen Welt' am 15. März den künftigen gemeinsamen Nenner zum Ausdruck gebracht: „Der VS ist überparteilich, überkonfessionell, steht jenseits von Weltanschauungen und auch jenseits von ästhetisch-literarischen Urteilen.“ Für das letztgenannte Kriterium steht der VS schon seit längerem; der Antifaschismus als Weltanschauung hat sich ebenfalls aufs Gründlichste selbst erledigt. Die Innung der Sanitärinstallateure, unlängst reliterarisierend hervorgetreten durch seine Parole „Halt' dein Rohr sauber!“, grüßt den VS.

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