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Man geht den pflegeleichten Weg

■ Wandel in der Bestattungskultur

Umsonst ist nur der Tod“, sagt ein Sprichwort. Wer allerdings einmal die Kosten einer Beerdigung zu tragen hat, wird eines Schlechteren belehrt. Selbst eine schlichte Beisetzung kostet normalerweise zwischen 5.000 und 10.000 Mark. Und wer einen ihm nahestehenden Menschen verloren hat, den bedrückt oft anderes als die Frage, welches Unternehmen wohl die günstigsten Preise für Särge, Grabmäler und Blumenschmuck berechnet.

Von der Scheu und Trauer der Hinterbliebenen lebten Bestatter, Steinmetze und Gärtner bisher nicht schlecht. Doch neuerdings ist der Markt eng geworden für diese Branchen. Im Umgang mit den Toten vollzieht sich ein tiefgreifender Wandel, der nicht nur den „schwarzen Zünften“ zu schaffen macht, sonden in einigen Regionen Deutschlands bereits gravierende Auswirkungen auf die Friedhofskultur hat.

„Seit gut einem Jahr kommen immer häufiger die Angehörigen mit ein paar tausend Mark zu mir und sagen: ,Mehr darf die Beerdigung nicht kosten!‘“ Berichtet Werner Peter, Vorsitzender des Bundesverbandes des Deutschen Besattungsgewerbes und Inhaber eines Berliner Beerdigungsinstitutes. Für die Sparsamkeit der Hinterbliebenen gibt es zunächst mal einen ganz handfesten Grund: Bis Ende 1988 steuerten die gesetzlichen Krankenkassen zu den Begräbniskosten ein Sterbegeld bei, das — je nach Bundesland — bis zu 4.000 Mark betragen konnte. Damit machte die Bonner Gesundheitsreform Schluß: Seit dem 1.Januar 1989 zahlen die Kassen einheitlich 2.100 Mark, für Mitversicherte die Hälfte. Die Hinterbliebenen von Neuversicherten gehen im Sterbefall ganz leer aus. Jüngere Menschen helfen sich mit Zusatzversicherungen, die seitdem angeboten werden — ein gutes Geschäft für die großen Versicherungsunternehmen.

Seit dem Wegfall des Sterbegeldes verblaßt die Aura der Pietät, durch die das Bestattungsgewerbe vor Preisvergleichen geschützt war. Schon 1983 hatten die herkömmlichen Beerdigungsinstitute äußerst unliebsame Konkurrenz erhalten: Zwei publizitätsbewußte Berliner hatten ein Unternehmen gegründet, das sie flott „Sarg-Discount“ nannten. Mit aggressiver Werbung und Billigangeboten rührten sie an ein Tabu und erschreckten — bald auch in Westdeutschland — eine traditionsbewußte Branche. Glaubt man dem Bundesverband der Bestatter, gerieten die Neulinge allerdings durch eine Vielzahl von Pannen recht bald in Verruf: Mal war ein Sarg schlecht verleimt gewesen, mal habe der bestellte Redner gefehlt oder die Trauergäste hätten den Sarg sogar selbst zum Grab tragen müssen. So gibt Bestatter Peter die Klagen empörter Discount-Kunden wieder. In der Folge mußten einige Discounter verkaufen oder schließen.

Mittlerweile scheinen die Billigbestatter jedoch wieder auf dem Vormarsch zu sein. Hartmut Woite, der den Berolina Sarg Discount von seinen glücklosen Vorgängern übernahm, ist optimistisch. Er weiß von steigendem Umsatz zu berichten und rechnet mit wachsendem Preisbewußtsein bei den Hinterbliebenen. Um zu zeigen, daß sich ein Preisvergleich durchaus lohnt, bringt er ein Beispiel: „Ein Spandauer Bestatter berechnet für die billigste Form der Einäscherung 1.400 Mark; wir liegen dagegen bei knapp über 400 Mark.“

Nachfragen in anderen Bundesländern bestätigen diesen Trend. Das Bestattungsunternehmen Novis begann 1986 mit dem Hinweis „Extrem preiswert“ zu werben — einem Slogan, der erst vor Gericht gegen die Bestatter-Innung erkämpft werden mußte. Seitdem hat sich der Betrieb, der über Franchising-Verträge auch fachfremden Kapitalgebern den Einstieg ins Gewerbe ermöglicht, zu einer Bestatter-Kette mit Filialen in vielen westdeutschen Städten ausgedehnt. Richard Rieprich, Inhaber des Novis-Ablegers im schleswig-holsteinischen Wedel, fühlt sich von der Umsatzentwicklung gar „positiv erschlagen“.

„Es wird kein Abschied mehr genommen“

Auch manch traditioneller Bestatter hat sich mittlerweile auf das Discount-Geschäft eingelassen. Dennoch herrscht nicht immer eitel Freude. Holger Hämmerer, Inhaber mehrerer Hamburger Beerdigungsinstitute sowie des Hamburger Sarg-Depots, findet böse Worte für die Entwicklung in seiner Branche: „Die Leute wollen nur noch eines, billig soll es sein!“ Seiner Einschätzung nach tobt zwischen den Bestattern bereits ein „gefährlicher Preiskrieg“. Ursache für den Trend sei vor allem ein moralischer Wandel bei den Hinterbliebenen. „Oft genug erwartet man von uns nicht mehr Bestattung, sondern Leichenentsorgung!“ Auch sein Kollege, der Landesinnungsmeister der kleinen und mittleren Hamburger Bestatter, Werner Knüppel, sieht grundlegende Veränderungen im Umgang mit den Toten: „Die Zeit der Ruhe und Würde ist vorbei. Es wird kein Abschied mehr genommen. Wir sollen den Toten am besten nur noch abholen und einäschern — erledigt!“ Die zunehmende Mobilität treibe die Familien weiter auseinander, und mit einer Grabpflege im weitentfernten Heimatort wolle sich dann niemand mehr belasten. Bei den Frieshofsverwaltungen höre man immer öfter Klagen über verwilderte Gräber, um die sich spätestens fünf Jahre nach der Beerdigung niemand mehr kümmert. „Man geht den pflegeleichten Weg“, meint Werner Knüppel bitter. Obwohl auch er eher moralische Ursachen für das veränderte Verhalten unterstellt, verstärken seiner Meinung nach finanzielle Probleme diesen Trend: Die Bestatter- Innung schätzt, daß allein in Hamburg die Zahl der Beerdigungen, für die das Sozialamt die Kosten tragen muß, in letzter Zeit um ein Drittel zugenommen hat.

Ein weiterer, wichtiger Hinweis auf den Wandel der Bestattungskultur tritt erst langsam ins öffentliche Bewußtsien: Immer mehr Tote werden anonym beigesetzt. Von 1978 bis 1988 hat sich auf den landeseigenen Hamburger Friedhöfen die Zahl der anonymen Urnengräber mehr als vervierfacht; mittlerweile findet dort jeder Vierte auf sogenannten Gemeinschaftsgrabfeldern seine letzte Ruhe. Für Berlin gilt das gleiche. In Hannover, wo Anonymbeisetzungen seit 1979 möglich sind, hat sich der Anteil seit 1985 verdoppelt.

Bei der Anonymbestattung wird die Urne mit der Asche des Toten meist von Friedhofsarbeitern im Morgengrauen ohne Zeugen auf einer 30 mal 30 Zentimeter großen Fläche vergraben. Nur der Friedhofsverwaltung ist die genaue Lage bekannt. Kein Grabstein und keine Bepflanzung erinnern an den Verstorbenen. Geringfügige Kosten für die Pflege des Rasens werden mit einer Pauschalsumme ein für allemal abgegolten.

Auch im vergangenen Jahr nahm die Zahl der Anonymbestattungen noch einmal kräftig zu: Im Berliner Bezirk Reinickendorf sind es jetzt knapp 37 Prozent aller Beerdigungen. Damit sind die Stadtfriedhöfe im Norden Berlins nicht mehr weit entfernt von Flensburger Verhältnissen: Dort, an der dänischen Grenze — in der Stadt mit dem höchsten Anteil an Alleinlebenden — wurde 1988 jede(r) zweite Verstorbene namenlos eingeäschert. Diese Entwicklung begann im gesamten Norden Mitte der siebziger Jahre mit einer rapiden Zunahme des Anteils an Feuerbestattungen. Zugleich wählten vor allem in protestantischen Regionen immer mehr Hinterbliebene für ihre Verstorbenen die Anonymität. Aber auch im katholischen Süden Deutschlands werden mittlerweile zunehmend Flächen für Gemeinschaftsgräber zur Verfügung gestellt.

Einen Grund für diese Entwicklung weiß Pfarrer Fisch aus Lankwitz zu benennen: „Ich habe des öfteren Beerdigungen erlebt, bei denen alles perfekt eingerichtet war, die Musiker und Sänger erscheinen, der Redner kommt — aber kein einziger Hinterliebener! Es sind keine Ausnahmefälle, in denen ich der Einzige bin, der hinter dem Sarg hergeht.“

Nur der Steinmetz trägt noch Trauer

So sind es also oft nur die Bestatter, Steinmetze und Friedhofsgärtner, die noch Trauer tragen — über das entgangene Geschäft. Alle drei Branchen beklagen denn auch schon seit einiger Zeit einen Verfall der Friedhofskultur. Die Steinmetze sind am härtesten betroffen. „Die Lage wird immer schlimmer“, klagt Dieter Runschke, Inhaber eines Steinmetzbetriebs am Weddinger Golgatha-Friedhof. Von Jahr zu Jahr werden seine Einbußen größer. 1989 verbuchte er ein Minus von 20 Prozent.

„An der ganzen Entwicklung sind vor allem die hohen Friedshofsgebühren schuld“, meint der Weddinger Steinmetzmeister. Tatsächlich sind in fast allen Städten die anteiligen Kosten für den Friedhofs-Stellplatz in den letzten Jahren enorm gestiegen. Nirgendwo allerings liegen sie höher als in Berlin. „Für eine Wahlgrab-Doppelstelle zahlen Sie heute auf dem städtischen Friedhof 8.800 Mark nur an Gebühren! Für zwei anonyme Urnengräber dagegen nur 520 Mark. Da wundert es doch nicht, wenn die Leute aufs Geld achten!“ Dabei ist freie Friedhofsfläche eher im übermaß vorhanden: Die Zahl der Beisetzungen auf den städtischen Friedhöfen ging in den letzten Jahren um 15 Prozent zurück. Aber da die Friedhofsverwaltungen sowohl kostendeckend arbeiten als auch eine in etwa gleichbleibende Infrastruktur bereitstellen müssen, greift man bei zurückgehenden Einnahmen zu Gebürenerhöhungen. Je mehr Hinterbliebene nun auf billige Gemeischaftsfelder ausweichen, desto geringer wiederum die Einnahmen — ein Teufelskreis, der auch die Friedhofsverwaltungen zunehmend in Schwierigkeiten bringt.

So sieht Eugen Eidner, Obermeister der Berliner Steinmetzinnung, die Zukunft der Berliner Friedhöfe denn auch nicht gerade rosig. Schuld sei eine verfehlte Politik. „Für die Instandhaltung der historischen Friedshofsanlagen gibt man — zu Recht — viel Geld aus. Die Stadtfriedhöfe verkümmern unterdessen. All unsere Apelle an die Stadt, doch die Gebühren zu senken, wurden abgewiesen mit der Antwort, Berlin sei von Bundesmitteln abhängig und müsse jede Einnahmequelle ausschöpfen.“

Doch solch ein Denken führe nicht weiter, meint Eidner. Schließlich habe die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz schon vor Jahren festgestellt, daß durch frühere Fehlplanungen in West-Berlin nur noch zwei Drittel der Friedshofsfläche benötigt werden. Heute nun, da auch die Friedhöfe des Berliner Umlands wieder zur Verfügung stehen, sei die Stadt in einer schwierigen Lage: „Es muß überlegt werden, ob man sich die vielen Friedhöfe noch wird leisten können.“

Auf dem Lande ist der Anteil an anonymen Erdbestattungen wesentlich geringer als in der Stadt. Durch den stärkeren Zusammenhalt, den Familie oder Gemeinschaft auf dem Dorf bieten, ist auch die Grabpflege gesichert. Allerdings hat auch dieses Stadt-Land-Gefälle wiederum einen ganz handfesten Grund. Auf dem Land betragen die Friedhofsgebühren oft nur ein Zwanzigstel dessen, was in der Stadt bezahlt werden muß.

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Mit der Entscheidung für ein Anonymgrab sind im übrigen nicht alle Hinterbliebenen auch später noch glücklich. Immer wieder räumen die Friedhofsangestellten Blumensträuße vom Rasen der Gemeinschaftsgrabfelder. Trauernde versuchen manchmal Monate nach der Beisetzung den genauen Liegeplatz des Toten doch noch zu erfahren. „Viele merken nach einiger Zeit, daß ihre Trauer doch einen Ort braucht“, faßt der Flensburger Pastor Klaus Baier seine Erfahrungen zusammen. Ein häufig gesuchter Ausweg ist dann die nachträgliche Umsetzung in ein nicht anonymes Urnengrab — nicht jede Friedhofssatzung läßt dies zu. Die evangelische Kirche in Kiel — auch dort werden extrem viele Verstorbene namenslos eingeäschert — hat zu diesem Zweck ihre Vorschriften geändert. Derartig viele Hinterbliebene hatten sich gemeldet, daß man beschloß, das ruhige Gewissen der Lebenden sei höher zu bewerten als die letzte Ruhe der Toten — man erlaubte postume Umsetzungen und gab den Bestatteten ihre Namen zurück.

„Im ,Buch des Lebens‘ eingetragen — das genügt“

Wo die Kirche jedoch nicht durch äußere Umstände dazu gezwungen wird, Stellung zu beziehen, steht sie der Entwicklung erstaunlich gleichgültig gegenüber. Heinz Leschonski vom Konsistorium der evangelischen Kirche in Berlin bestätigt, daß weder in Gemeinden noch auf Synoden über den Trend zum anonymen Begräbnis gesprochen wird. „Persönlich, als Privatmann“, äußert er allerdings Beorgnis. „Kirchhöfe sind schließlich kulturelle Erinnerungsstätten. Unsere Vorfahren dürfen nicht dem Vergessen überlassen werden!“ Pfarrer Stephan Frielinghaus von der Mariendorfer Gemeinde (auf dem Mariendorfer Heidefriedhof werden mittlerweile fünfzig Prozent aller Toten anonym beigesetzt) ist da ganz anderer Meinung. Er hält die Anonymbestattung schlicht für eine „angenehme und billige Alternative“ und steht damit in Kirchenkreisen nicht allein. Ja, er wolle sich vielleicht selbst einmal namenlos einäschern lassen. Theologische Bedenken sieht Frielinghaus nicht: „In der Bibel steht, daß unsere Namen bei Gott im Buch des Lebens eingetragen sind. Das sollte genügen!“ Außerdem verwilderten die Friedhöfe zusehends, es wolle sich eh niemand mehr um die Gräber kümmern. Da sei die Anonymbestatung doch die beste Lösung. Sein Amtsbruder, Pfarrer Hans-Martin Brehm, sieht das ähnlich. Aus Gesprächen mit Gemeindemitgliedern weiß er um die Motive, die Menschen diese Form der Beisetzung wählen lassen: „Die älteren Leute wollen niemandem mehr zur Last fallen. Alles ist unsicher geworden. Resignation, aber auch Trotz spielen eine große Rolle.“

In Flensburg hofft man mittlerweile, den Trend zum Anonymgrab erst einmal gestoppt zu haben. Anfang 1989, als die 50-Prozent- Grenze erreicht war, beschloß das zuständige Umweltamt, ein neues Angebot in die Verwaltungsvorschriften aufzunehmen: Möglich sind jetzt auch nicht-anonyme Urnenbeisetzungen auf einem Rasenfeld. Dabei entfällt die Grabpflege, ohne daß auf eine Grabplatte mit Namensinschrift verzichtet werden muß. Das neue Angebot zeigte einigen Erfolg. Der Anteil an Anonymbeisetzungen ging im vergangenen Jahr auf 43 Prozent zurück.

Steinmetz Eidner glaubt dennoch nicht an eine derartige Lösung des Problems: „In Italien beispielsweise gilt es auch in ärmsten Familien als anstößig, einen Verstorbenen auf Kosten des Sozialamtes bestatten zu lassen. Lieber versetzt man dort sein letztes Hemd, aber von der verpflichtenden Dankbarkeit gegenüber seinen Geschwistern oder Brüdern läßt man nicht! Ich denke, es liegt bei uns an der Bequemlichkeit. Wir leben doch in einer Wegwerfgesellschaft. Man hat sich daran gewöhnt, einen Karton zu zerkleinern und wegzutun, warum sollte man das dann nicht auch mit dem entseelten Körper tun?“

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