: »Aber in Schtuttgart isch's au scheee«
■ Schwaben auf Stadtrundfahrt in Berlin/ Frust über das Verschwinden der Mauer/ »Die Oschtler, die leischtet doch nix«
Berlin. Die Berliner und die Schwaben sind schon seit langem, statistisch gesehen, die reisefreudigsten deutschen Völkchen. Kaum nähern sich irgendwelche Feiertage, nimmt die halbe Schwabenpopulation aus ihrem Ländle reißaus — was bei mir als Exilschwäbin vollstes Verständnis findet — und bewegt sich in langen Kolonnen unter anderem Richtung Berlin. Das wiederum treibt die Berliner zur Flucht vor dem schwäbisch-polnisch-babylonischen Sprachgewirr auf dem Ku'damm. So erleben wir also alle Festtage aufs neue die wunderbaren Szenen, wenn eine Gruppe von Schwaben staunend in einer Kreuzberger Kneipe steht und umgeben von Wirten aus Esslingen und Stammgästen aus Besigheim und Bempflingen ausruft: »Ha no, jetz könne mer dohoim erzähle, daß mer in ganz original Berliner Kaschemme waret!«
Und was machen die Schwaben tagsüber? Stadtrundfahrten beispielsweise, die scheinen sie mächtig anzuziehen. Nun gut, wenn an einem beliebigen Tag in einem beliebigen Sightseeing-Bus den hochdeutschen und englischen Ausführungen der Tourleiterin nur das Bruddeln dieser Ursuppensprache entgegenschlägt, so ist das noch kein Beweis meiner Behauptung. Aber bemerkenswert ist es doch, oder?
Unaufhaltsam nähern sie sich Kreuzberg
Während uns die Reiseleiterin zu Beginn der Tour erklärt, daß das vereinigte Berlin 3,4 Millionen Einwohner auf einer Fläche beherbergt, in die München, Frankfurt am Main und Stuttgart zusammen hineinpassen, geht die Diskussion in der Sitzreihe hinter mir schon los. Da haben sich gerade zwei Schwaben kennengelernt, ein älterer Mann und eine ältere Frau, was die bekannte schwäbische Maulfaulheit in diesem Fall zu beseitigen hilft. »Aber die Ekonomie, die isch doch immer no net wiedervereinigt. Des sind doch älles saumäßige Probleme, sag i' Ihne«, wirft der Mann sachkundig ein. »Ha jo, i denk scho, die werdet des in Griff kriege«, glaubt dagegen die Frau. »A'wa! Die leischtet doch nix, die Oschtler! Krieget an Haufe Geld und leischtet nix!«
Langsam tuckert der Bus vom Ku'damm aus gen Osten. Wir erfahren, daß die Ruine der Gedächtniskirche »Hohler Zahn« heißt und ihre neuen Gebäude »Puderdose« und »Lippenstift«, daß es im KaDeWe 1.800 Käsesorten zu kaufen gibt und im Türkischen Basar in der alten Hochbahnstation Bülowstraße »jeden Abend Bauchtänzerinnen zu bewundern sind«. Unaufhaltsam nähern wir uns Kreuzberg. »Hallo, Sie da«, verkündet ein Werbeplakat der Telekom unter den Yorkbrücken, »Sie fahren im falschen Auftrag spazieren und sind nicht erreichbar.«
Die Schwaben lieben die Hausbesetzer
Meine Spannung steigt: Wie wohl die Umtriebe der schwäbischen Landjugend, die weiland Kreuzbergs Häuser besetzte, gewürdigt werden? »Hier«, verkündet die Stadtführerin an der Kreuzberger Grenze, »leben Studenten, alternative Künstler, Rentner und Arbeiter Seite an Seite.« Als wir zwischen den alten Häusern in der Fidicinstraße und dem Chamissoplatz mit ihren Stuckfassaden herumkurven, weiß sie ihr Lob gar noch zu steigern: »Die Hausbesetzerszene der Achtziger hat viel dazu beigetragen, dieses Berlin der zwanziger Jahre zu retten.« — »Schee isch's hier«, nicken anerkennend auch die beiden Schwaben. Aber sollte man deshalb die Heimat verschmähen? Nicht doch: »In Schtuddgard isch's au scheee!« Das mußte aber mal gesagt werden!
Extra nach Berlin und dann kein Stück Mauer
Dafür werden die Gesichter am Checkpoint Charlie umso länger: »Alles weg, die Mauer, ha no!« Da fährt man nun extra nach Berlin, und kein Fitzelchen Mauer mehr zu sehen! Betrug! Beschiß! Sind denn dann wenigstens die Häuser richtig verkommen, so wie es sich für den Osten gehört? »Des geht hier ja no mit den Gebäuden«, bemerkt der Mann ganz enttäuscht. »Aber die Hochhäuser«, die Frau zeigt Richtung Leipziger Straße, »die muß man alle sprengen! I hab a Freundin, die wohnt au im 11.Stock, also des kann i net verschtehe«, schüttelt sie den Kopf. Schon meine schwäbische Großtante hatte genau das gleiche Problem mit einer Bekannten, es klingt mir noch im Ohr: »Stellt euch vor, die isch in ein Hochhaus gezogen! Sie isch sonst a nette Frau!«
Unter den Linden, Karl-Marx-Allee, East Side Gallery, nichts wird ausgelassen. Schließlich halten wir am Marx-Engels-Forum, um das »wunderbare« Nicolaiviertel zu Fuß zu besichtigen. »Die schtehet ja immer no, da der Marx und der Engels!« — »Ja, so ebbes.« — »Und dabei waret die des doch, die älles vermurkst hent! Marx isch Murks, des han' i neulich g'lese.« Beifälliges Nicken. Pause. Und neue Erregung über eine für unsere ökonomisch denkenden Schwaben noch viel schlimmere Sache: »Der Marx, der hat sich immer nur sei Zeugs ausdacht, und sein Freind, der Engels, der mußt' ihm des älles finanziere. Des isch doch koi Froindschaftsart!« Ute Scheub
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