Sondervollmachten für Jelzin — im Prinzip

Moskau (dpa) — Der in Moskau tagende Kongreß der Volksdeputierten Rußlands hat am Donnerstag grundsätzlich zugestimmt, dem russischen Parlamentspräsidenten Boris Jelzin weitere Vollmachten zu übertragen. Mit 588 gegen 292 Stimmen nahmen die Parlamentarier am Nachmittag das von Jelzin zuvor eingebrachte Projekt insgesamt an, verwiesen es aber zur Überarbeitung in den Einzelpunkten an die Schlichtungskommission des Kongresses. Am Abend begannen die Deputierten mit der Debatte über einen neuen Föderationsvertrag, durch den die Beziehungen zwischen den einzelnen Republiken in Rußland geordnet werden sollen. Die Schiedskommission des Volksdeputiertenkongresses einigte sich am Nachmittag zusätzlich darauf, am 12. Juni direkte Präsidentenwahlen in Rußland abzuhalten. Ein weiterer Außerordentlicher Volksdeputiertenkongreß soll noch im Mai die notwendigen Verfassungsänderungen beschließen, deren gesetzlichen Grundlagen zuvor vom Obersten Sowjet Rußlands erarbeitet werden sollen.

Die sofortige Übertragung der erweiterten Vollmachten begründete Jelzin mit der Notwendigkeit, „die Ausführung der Kongreßentscheidungen, die Aufrechterhaltung des Bürgerfriedens und die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung“ sicherzustellen. Nach Jelzins Worten sollen dem russischen Parlament Gesetzesvollmachten übertragen werden, die bislang allein dem Kongreß der Volksdeputierten als höchstem gesetzgebendem Organ der Republik zustanden. Das Recht auf Verabschiedung einer Verfassung und die Wahl der Leiter der höchsten Republiksorgane sollen davon ausgenommen werden. Im Rahmen dieser Maßnahmen soll der Parlamentsvorsitzende bindende Verfügungen für Rußland erlassen dürfen. Außerdem sollen der Oberste Sowjet und sein Präsident den Ausnahmezustand für einzelne Gebiete in der Russischen Föderation bei Bedarf erklären dürfen, wie Jelzin weiter forderte.

Die stellvertretende Parlamentsvorsitzende Swetlana Gorjatschewa kritisierte Jelzin nach 'Tass‘-Angaben „in scharfen Tönen“. Sie habe ihm vorgeworfen, ein „persönliches Machtregime“ schaffen zu wollen, und den Kongreß aufgefordert, der Bitte Jelzins nicht zu entsprechen. Es sei deutlich, daß der Präsidentenposten Jelzins Hauptziel sei. „Dafür schrecken Sie nicht vor Betrug und Fälschungen zurück und sind zu jedem Abenteuer bereit“, warf Frau Gorjatschewa dem russischen Parlamentspräsidenten vor. Sie gehört zu jenen sechs russischen PolitikerInnen, die seit Wochen offen für einen Rücktritt Jelzins eintreten.