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Italien: Kalter Staatsstreich im Gang?

Der Auftrag von Staatspräsident Cossiga an den erneut designierten Regierungschef Andreotti ist präzise: Verfassungsänderung zur Vorbereitung der „zweiten Republik“  ■ Aus Rom Werner Raith

Eigentlich hätte man in Italien Grund zum Feiern: Soeben muß die 50.Nachkriegsregierung installiert werden — doch trotz der unentwegten Krisen und Wechsel ist das Land nicht untergegangen, behauptet munter einen der vorderen Plätze unter den Industrienationen. Was mitteleuropäische Stabilitätsfanatiker als typisch südliche Chaotik betrachten und mit regelrechten Horrorschaudern wahrnehmen, hat sich im Süden nie sonderlich nachteilig ausgewirkt — man hat Routine in derlei Dingen. Schon im Altertum verschlissen die Römer mitunter innerhalb eines knappen Dreivierteljahrhunderts mehr als sechs Dutzend Kaiser, ohne daß darunter Wirtschaft und Kulturentfaltung zu Tode gekommen wären.

Sechs Dutzend Kaiser in 75 Jahren

Rechnet man überdies die Zahl der Personen nach, die im Nachkriegsitalien Ministerpräsident waren, so kommt man tatsächlich auch nicht auf mehr, als die Bundesrepublik an Kanzlern verbrauchte. Manche, wie De Gasperi oder nun Andreotti, waren siebenmal Regierungschef, Fanfani sechsmal, Moro fünfmal.

Von daher scheint es auf den ersten Blick nicht sonderlich aufregend, daß gerade mal wieder ein Regierungschef — Giulio Andreotti — zurücktritt und, nach altem Brauch, erneut beauftragt wird, eine politische Allianz zusammenzubosseln. Zumal er — heute ist die entscheidende Sitzung — sowieso nur wieder die seit mehr als einem Jahrzehnt eingefahrene Fünfparteienformel (Christ- und Sozialdemokraten, Sozialisten, Liberale, Republikaner) aufwärmt.

Doch diesmal geht es um mehr: Der Auftrag, den Staatspräsident Cossiga Andreotti erteilt hat, bedeutet schlicht die Beerdigung der ersten italienischen Republik und die Installation einer neuen Verfassungsordnung: Nur wenn es Andreotti gelingt, jetzt schon so viel an der Konstitution zu ändern, daß man in der nächsten Legislaturperiode sehr schnell und ohne Rücksicht auf die Opposition eine grundsätzlich andere Staatsordnung durchsetzen kann, will Präsident Cossiga von seiner Drohung absehen, die beiden Kammern (Deputierte und Senatoren) aufzulösen und ein Jahr vor Fälligkeit Neuwahlen auszuschreiben.

Verfassungsrechtler halten Cossigas bindende Vorgabe schlichtweg für einen Bruch der Konstitution, manche gar für eine Art kalten Staatsstreich. Der Präsident ist oberster Notar und Garant der nationalen Einheit, eine Einmischung in die Politik selbst steht ihm nicht zu.

Die Koalitionsparteien kuschen dennoch vor dem Verdikt. Kunststück: Die Sozialisten, zwar nur halb so stark wie der Seniorpartner DC, wollen schon lange eine andere Republik und drohen nun unverblümt mit Aufkündigung der bisherigen Allianz. Das aber könnte die Ausschaltung der DC von der Macht bedeuten — der Alptraum der Christenpartei, die seit 1945 unentwegt regiert. Und so beißt Andreotti, geschworener Gegner einer Präsidialrepublik, eben die Zähne zusammen und tut so, als ob auch er eine neue Republik im Sinne der Sozialisten wolle.

Die würde dann in etwa so aussehen wie die Fünfte Republik in Frankreich, das Modell de Gaulles: ein vom Volk direkt gewählter, dem Parlament entzogener Präsident, der die Regierung ganz nach Gusto ein- und absetzen kann.

Im Wort bei einer zwielichtigen Klientel

Daß gerade die Sozialisten dieses Projekt vorantreiben, hat mehrerlei Gründe: erstens glauben sie, die einzige mehrheitsfähige Persönlichkeit für das Staatspräsidentenamt bieten zu können, ihren Parteichef Bettino Craxi. Zweitens aber sind sie bei einer immer zwielichtigeren Klientel im Wort, die ihren Aufstieg mehr als begünstigt hat — Mafia-Clans in Sizilien zum Beispiel, die dort 1987 eine Verdoppelung der PSI-Stimmen ermöglichten, oder auch ein Teil der Dunkelmänner aus der 1981 aufgeflogenen Geheimloge „Propaganda2“, in der an die tausend Männer aus Politik, Administration, den Geheimdiensten, dem Militär, der Hochfinanz, den Medien neben gegenseitigen Karrierehilfen auch Putschpläne ausdachten.

Ihnen allen liegt zwar wenig an einer wirklichen Stabilität des Staates — gerade im Chaos können sie am besten fischen —, doch gleichzeitig geht ihnen zunehmend auf die Nerven, daß bei den zahlreichen Regierungswechseln immer wieder mal unkorrupte oder nicht leicht beeinflußbare Politiker einrücken, die die dunklen Geschäfte mitunter kräftig stören. Ein straffes Regiment von oben scheint ihnen da eher geeignet, unbotmäßige Minister oder ganze Administrationen zu disziplinieren.

Die Opposition, voran die eben aus den Trümmern der alten KP hervorgegangene Partito democratico della sinistra mit ihren Startschwierigkeiten, sieht in solchen Plänen sicher zu Recht auch einen Versuch, ihre derzeitige Schwäche auszunutzen und die neue Republik einzuführen, ehe sich eine starke Gegenbewegung gesammelt hat. Doch auch die Christdemokraten widersetzen sich: Schließlich ist es der DC in mehr als vier Jahrzehnten ohne Unterlaß gelungen, ihre Ziele vor allem mit Hilfe einer unverbrüchlichen Klientel auf dem Land und den von ihnen ins Amt gehievten Beamten durchzusetzen. Eine Verfassungsänderung, wie immer sie aussehen würde, macht für sie keinen Sinn, bedeutet eher eine weitere Teilung der Macht mit den Sozialisten.

So kommt denn uneingeschränktes Lob für die von Craxi und dem durch zahlreiche Ausrutscher und unverständliche Handlungen schwer angeschlagenen Präsidenten Cossiga favorisierte „zweite“ Republik nur von einer Seite — den wieder fröhlich Pläne schmiedenden P2-Logenmännern. Der Chef der „Propaganda2“, Licio Gelli, derzeit in Mailand wegen des betrügerischen Bankrotts des einstigen P2-Geldinstituts „Banco Ambrosiano“ vor Gericht, lobt Craxis Projekt jetzt lautstark.

Was allerdings nicht unvorhersehbar war — der Plan, der den Sozialisten so am Herzen liegt, stammt fast wörtlich aus einem Dokument von Mitte der siebziger Jahre, das „Plan zur demokratischen Erneuerung“ hieß und das Ziel hatte, „eine starke Führung des Staates“ zu installieren und „Kommunisten, Intellektuelle und Linkskatholiken auszuschalten“. Verfasser des Dokuments: Licio Gelli, Logenmeister der P2.

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