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INTERVIEWGeplanter Mordanschlag der Stasi auf einen unliebsamen Querdenker

■ Ralf Hirsch, Aktiver der Ostberliner Friedens- und Menschenrechtsgruppen vor der Wende und 1989/90 Mitarbeiter der Senatskanzlei des Regierenden Bürgermeisters Momper, kennt heute noch nicht alle Kontaktleute der Staatssicherheit in der Oppositionsszene der „Hauptstadt“, in die Kreise seiner politischen Freunde eingeschleust waren

Klaus Wolschner (taz): Wißt ihr, welche eurer früheren Freunde aus oppositionellen Zeiten für die Stasi gearbeitet haben? Habt ihr mit denen gesprochen?

Ralf Hirsch: Mit einigen. In dem Umfeld, das ich kenne, hat sich keiner freiwillig offenbart. Es wurden einige von uns mit der Tatsache konfrontiert, daß es Akten darüber gibt, daß sie IMB sind, also „Inoffizielle Mitarbeiter im besonderen Einsatz“.

Was haben die gesagt?

Es gibt einen guten Freund, dessen Namen ich hier nicht sagen will, weil wir Zeit zur Aufarbeitung brauchen. Ich habe ihm ziemlich deutlich gesagt: Ich weiß, du warst IM, über Jahre auf meine Person angesetzt, und dein Deckname war soundso. Er hat es zuerst abgestritten. Als ich gesagt habe: Dann müssen wir Akteneinsicht vornehmen, gab es die Aussage: Ja, es gab diesen Kontakt, es gab diese Zusammenarbeit.

Hat er erklärt, warum er das gemacht hat?

Es gibt unterschiedliche Formen. Leute haben was freiwillig gemacht, andere wurden erpreßt. In diesem Fall war es so, daß die Frau schwanger war, er hatte schon einmal im Knast gesessen, er hatte Angst.

Hatte er etwas Illegales gemacht?

Er war beteiligt an der Oppositionsszene.

Vorher schon?

Vorher, so sagt er zumindest aus. Und er wurde dann gezielt auf Personen und auf Projekte angesetzt.

In den Gesprächen mit der Bekannten von Bärbel Bohley, die als Buch gedruckt sind, sagt diese Monika H., sie habe in der Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM) von 18 Gründungsmitgliedern neun für Stasi-Kollegen gehalten...

Ja, das bestätigt sich. Das war im engsten Kern der Initiative 1:1.

Habt ihr das geahnt, befürchtet?

Mit Sicherheit nicht. Wir haben gewußt, daß wir abgehört werden, daß wir beobachtet werden, daß IMs vielleicht auch im Umkreis der Gruppe sind. Aber daß IMs unter den engsten Freunden sind, denen man hundertprozentig vertraut hat, für die man die Hand ins Feuer gelegt hätte — das haben wir nicht gedacht.

Gibt es andere Beispiele?

Im Friedenskreis Friedrichsfelde waren über die Hälfte IMs, so daß sich die Stasi in einem Untersuchungsbericht fragte, ob sich dieser Aufwand überhaupt lohnt, wer denn hier wen durchsetzen soll.

Und mit diesen IMs ist nicht gesprochen worden?

In der letzten Zeit kommen immer neue Namen hoch, das Gespräch ist ja auch sehr schwer, auch für die Betroffenen. Es ist nicht einfach, da auf vermeintlich engste Freunde zuzugehen, und das braucht auch Zeit.

Weißt Du in einzelnen Situationen, wo Vorschläge für Aktionen der Opposition wirklich von der Stasi gekommen sind?

Direkte Vorschläge haben sie nicht gemacht, aber sie haben Aktionen direkt beeinflußt. Es ging ihnen immer darum, über alles informiert zu sein, die Aktion zu verhindern oder hinauszuzögern oder abzuschwächen. Das hat sehr oft geklappt. Ich erinnere mich an eine Flugblattverteilaktion 1987 zum Pressetag auf dem Alexanderplatz, wo sechs Leute Flugblätter verteilten, obwohl 30 kommen wollten. Und von den sechs Leuten waren zwei IMs. Im ganzen Vorbereitungkreis waren nur wenige echte Oppositionelle, der Rest war Stasi und kam dann nicht.

Oder die Flugaktion 1986 nach Prag. Da haben 15 Oppositionelle einen Flug nach Prag gebucht, um darauf hinzuweisen, daß sie das Land nicht mehr verlassen dürfen. Wir dachten, die Maschine würde dann halb leer abfliegen, wenn wir so viele Plätze buchen, die dann nicht besetzt werden. Aber über die Hälfte derer, die gebucht haben, waren Stasi-IMs, die vorher wußten, daß sie abgeholt werden. Irgendwo war das eine Farce.

Eppelmann war seit Jahren eine Schlüsselfigur der Opposition innerhalb der Kirche. Wie ist der überwacht worden?

Ehemalige Stasi-Offiziere aus der zuständigen Abteilung XX/4, mit einem konnte ich sprechen, sprechen von 45 Personen, die auf Eppelmann angesetzt gewesen seien. Auf mich sollen 25 angesetzt gewesen sein, auf Reinhard Schult 18. Ich habe in meinem Kalender nachgesehen, so viele Leute kannte ich kaum im engsten Kreis. Das waren aber auch Leute im Betrieb oder im weiteren Umkreis, mit denen ich persönlich gar nichts zu tun hatte.

Kennt Eppelmann diese 45 Personen?

Wir kennen sie nicht alle.

Es ist berichtet worden, gegen dich und auch gegen Eppelmann seien von Stasi-Leuten getarnte Mordversuche geplant worden.

Das hat mich sehr betroffen gemacht, nachdem ich das im 'Spiegel‘ gelesen habe. Ich habe versucht, das nachzuprüfen und mit mehreren Leuten gesprochen, auch einem hauptamtlichen Stasi-Mann. Es war so, daß am 22.Dezember 1987 nach einer Weihnachtsfeier auf meiner Arbeitsstelle geplant war, daß mich auf dem Nachhauseweg ein Freund trifft, der unbedingt mit mir ein Bier trinken will. Der sollte mir etwas hineintun ins Bier, die Stasi sollte mich dann vor der Tür abfangen und im Friedrichshainer Park ablegen. Ich sollte „in einer strengen Winternacht“ — so steht es in einer Stasi-Akte — erfrieren, mit Alkohol im Blut. Das war der Plan.

Bei Eppelmann hat man zum Beispiel überlegt, ob man in einer Kurve Spiegel aufstellen sollte, wenn er nachts von Grünheide, also von Katja Havemann, zurückkommt. Diese Idee wurde offenbar verworfen.

Und warum lebst Du noch?

Weil ich meinen üblichen Weg nicht eingehalten habe. Ich bin nicht mit der Straßenbahn gefahren, mit der ich sonst immer fahre.

Wer sollte Dich in der Bahn abfangen?

Ein IMB, ich weiß noch nicht, wer. Ich weiß bisher nur den Decknamen: „IM Hoffmann“.

Was bedeuten die Erkenntnisse über den Umfang der Stasi-Überwachung für die DDR-Opposition?

Das ist eine ganz persönliche Frage. Ich frage mich, was habe ich selbst gemacht, was wurde gesteuert und gelenkt, was beeinflußt. War die Oppositionsszene gelenkt? Meine Vergangenheit ist in Frage gestellt. Was ist Opposition in der DDR gewesen? Wenn ich sehe, Ibrahim Böhme, Lothar de Maizière, Wolfgang Schnur...

De Maizière — bist du dir da ganz sicher?

Ziemlich sicher. Die Fakten, die mir bekannt sind, sind deutlich. Die Stasi-Leute, auf deren Aussage sich der Verdacht gegen de Maizière stützt, haben auch andere Dinge berichtet, alles, was sie gesagt haben, hat sich bisher bestätigt.

Und Schnur war Dein Vertrauensanwalt? Hattest Du nicht einen Verdacht?

Nein. Ich habe ihm vertraut. Wir haben mit ihm im Vorfeld von vielen Aktivitäten abgestimmt, was wir machen, er war informiert. Sollte uns etwas passieren, brauchten wir eigentlich weniger einen Rechtsanwalt — das war uns klar, daß es ein politisches Verfahren geben würde — sondern eine Vertrauensperson, die den Kontakt zu den Freunden draußen hält. Er hat das Vertrauen seiner Mandanten verraten, sie geschädigt. Ohne Schnur wäre unsere Ausreise damals nicht passiert. Deswegen ist für mich wichtig: Wolfgang Schnur darf nie wieder Anwalt werden.

Hast du mit Schnur in den letzten Monaten einmal gesprochen?

Nein. Ich möchte das auch nicht, das wäre zu viel.

Du hast deine Akte einsehen können?

Das Bonner Innenministerium hat offenbar ein großes Interesse daran, Stillschweigen über unsere Vergangenheit zu verhängen. Wenn die in Bonn nicht ganz schnell kapieren, wie brisant dieses Thema in den neuen Bundesländern ist, dann wird es jahrelang knallen. Man kann das ja nicht verdrängen. Wir erfahren von den besten Freunden, daß sie dabeiwaren, aus der Presse, wenn wieder einmal ein Stasi-Mann redet. Ich möchte nicht alle vierzehn Tage ein neues Stückchen präsentiert bekommen.

Aber deine Akte wurde einmal überprüft?!

Diese ganze Akteneinsicht, wie sie derzeit läuft, ist eine Farce. Ich saß vor der Tür. Die sieben Leute, die meine Akte überprüft haben, wissen mehr über mein Leben als ich und sind zum Schweigen verpflichtet. Ich weiß nur, daß es insgesamt 23 Bände sind, die letzte Eintragung war im Februar 1990, in der „Westakte“. Die Überwachung war offenbar auf Westberliner Gebiet fortgesetzt worden.

Ich dachte, am 15. Januar sei die Stasi-Zentrale in der Normannenstraße umzingelt worden und dann wäre Schluß gewesen?

Dachte ich auch früher.

Du willst deine Akte...

Ich will meine Akte lesen, ja. Um zu erfahren, was habe ich gemacht und was wurde mit mir gemacht. Ich habe ein Recht auf meine Vergangenheit. Und dann möchte ich einen Schlußstrich ziehen können.

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