: Der Überfall auf den Gendarmenmarkt
Staatsakt für Detlev Karsten Rohwedder im Schauspielhaus Berlin bot für die Bonner Politprominenz den dritten Anlaß seit dem Mauerfall, mal wieder in der Hauptstadt vorbeizuschauen/ Immer beim Feiern dabei: Beethovens Neunte ■ Aus Berlin CC Malzahn
Ein strenger Geruch lag über dem Gendarmenmarkt, diesem schönsten aller Berliner Plätze, wo der französische Dom vis-à-vis vom Schauspielhaus steht. Das habe, so teilte die Berliner Feuerwehr mit, an der Gülledüngung der brandenburgischen Felder gelegen. Ein kräftiger Westwind verteilte die Landluft auf die Metropole, und so beleidigten die Mistpartikel gestern vormittag die wichtigsten Nasen der größer gewordenen Republik. Zum dritten Mal seit dem Mauerfall eroberte die Bonner Regierungsspitze die Hauptstadt, bevölkerte die Politprominenz aus allen Bundesländern streng abgesicherte Orte, kreisten Privatjets mit Managern an Bord über dem Flughafen Tegel und warteten auf das Okay des Towers zur Landung. Denn der Berliner Luftraum, der an gewöhnlichen Tagen von fünf Privatjets bevölkert wird, war mit 33 Maschinen einfach überfüllt.
Der Anlaß dieser Zusammenkunft im Schauspielhaus, die die Berliner Polizei eine Bannmeile ziehen und Sicherheitsstufe 1 ausrufen ließ, war der Staatsakt für den von der RAF ermordeten Treuhandchef Detlev Karsten Rohwedder. Die Zeremonie dauerte gut eine Stunde. Es spielte die Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim zunächst die Adagio-Sätze aus den Brandenburgischen Konzerten Nummer 1 und 6 von Johann Sebastian Bach. Dann sprach der Präsident, ihm folgte Treuhandvorstandsmitglied Odewald, es beschloß den Reigen der Wortbeiträge Johannes Rau. Der zitierte den „frohen Christenmenschen Matthias Claudius“ mit seinem Gedicht über den Tod. Es lauschte Altkanzler Schmidt neben Birgit Breuel, es brütete Lafontaine neben Vogel. Ganz vorne links saß schweigend das Ehepaar Kohl, ganz vorne rechts die Weizsäckers. Daneben trauerten die Kinder des Toten: Phillip (25) hielt die Hand von Cäcilie (22). Rohwedders Frau liegt noch immer schwerverletzt im Krankenhaus. Der vom Fernsehen übertragene Staatsakt endete mit dem 3. Satz aus Beethovens 9. Symphonie: Das hätte sich die Familie des Ermordeten so gewünscht, hieß es.
So saß im Schauspielhaus alles von deutschem Rang und Namen. Das Gebäude war von der Polizei umstellt und den meisten Gästen schon bekannt. Denn am 2. Oktober wurde in diesem Saal die Einheit gefeiert. Die 9. Symphonie erklang auch damals, genauso wie zur Silvesterfeier 1989 in der Philharminie nahe beim Potsdamer Platz. Damals dirigierten Kurt Masur und Leonard Bernstein. Die Dirigenten kommen und gehen, die Neunte als Hymne der Einheit jedoch bleibt bestehen. Die Zeremonienmeister stellten mit Beethoven klar: Hier wird nicht getrauert. Hier wird Willen bekundet und weitergemacht.
Auf dem Gendarmenmarkt patroullierten indes Dutzende von Zivilpolizisten. Auf den Hausdächern rund um den Platz suchten uniformierte Beamte nach Heckenschützen. Die Zufahrtswege waren weiträumig gesperrt. Vor den Gittern drängelten sich Touristen und beobachteten schwarzgekleidete Menschen, die langsam die breite Treppe des Kuturtempels erklommen. „Es riescht nischt gutt!“, bemerkte eine Französin. „Man kann jar nüscht sehen!“, motzte ein Berliner. „Jenausowenig wie früher!“, pflichtete sein Nachbar bei. Eine Gruppe von sechs jungen und in Zivil gekleideten Sicherheitsbeamten beobachtete eine andere Gruppe junger Leute, die auf Grund ihrer gefärbten Haare und ungewaschener Jeans als systemkritisches Potential auszumachen waren. „Haste die Ranzasseln jesehen?“, fragte ein Beamter seinen Nebenmann. „Sind doch auch Menschen!“, erklärte der, „und außerdem ist vielleicht ein Kollege dabei!“
Hinter den Gittern warteten Dutzende Chauffeure in schwarzen Limousinen auf ihre Fahrgäste. Was gegen 11.15 Uhr begann, war um 12.30 Uhr vorbei. Nur einem der Gäste muß aufgefallen sein, daß Gülle in der Luft lag: Hans Jochen Vogels Limousine wurde vor der Absperrung geparkt, also ging der Sozialdemokrat etwa zehn Minuten zu Fuß. Bis sich der Gendarmenmarkt aber von dem Überfall der übrigen Zeitgenossen erholt hatte, vergingen mehrere Stunden.
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