: Käsekuchen in der Sahara
■ Der Kultursenator Ulrich Roloff-Momin erschien Hellersdorfer Kulturarbeitern
Die Sonne in Hellersdorf schien, als der schwarze Mercedes mit dem Kennzeichen B 11-1 in die Heidenauer Straße einbog und vor einem grauen Betonwürfel parkte. Kaiserwetter, und trotzdem stieg nur ein Senator aus dem Wagen: Ulrich Roloff-Momin bei seinem ersten offiziellen Besuch in einem der 23 Berliner Bezirke — ein Bericht von
André Meier
Im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts entstanden an der Handelsstraße von Berlin nach Frankfurt (Oder) die Dörfer Biesdorf, Kaulsdorf und Mahlsdorf, während zur gleichen Zeit an der Straße nach Landsberg das Dorf Marzahn angelegt wurde. Und weil zwischen Mahlsdorf und Marzahn nicht nur Gras wachsen sollte, gründeten Brandenburger Bauern Hellersdorf.
Eine Frage der Aufzüge
Heute hat dieses Dorf mehr als 120.000 Einwohner und ist Berlins jüngster Bezirk. Mitte der achtziger Jahre, als die Baukolonnen in Marzahn ihr Werk fast vollendet hatten und trotzdem in Berlin die Schlangen vor den Wohnungsämtern nicht kürzer wurden, beschloß die Partei, zwei weitere Neubaubezirke auf die Felder um die Hauptstadt zu setzen: Hohenschönhausen und Hellersdorf. Doch da inzwischen bereits Hinz und Kunz an den großen Neubaublöcken rumzunörgeln begann und die volkseigene Industrie mit der Produktion von Aufzügen in Verzug geriet, entschlossen sich die Hauptstadtplaner für eine neue, eine horizontale Bebauungsvariante. So besteht Hellersdorf im wesentlichen aus einer Vielzahl von sechsgeschossigen Plattenbauten, die sich entweder wie ein Mäander durch die plattgewalzte Landschaft schlängeln oder kreisförmig zu kleineren Wohnburgen zusammenfügen. In den so entstandenen Höfen spielen die Kinder mit dem vergessenen Bauschutt und grillen ihre Eltern Thüringer Rostbratwürste. Und wenn auf allen Balkons eines Hauses Blumen blühen, kann man sicher sein, daß seine Bewohner in vorrevolutionären Zeiten mit der Goldenen Hausnummer ausgezeichnet wurden.
Die meisten Straßen sind nach den Orten benannt, aus denen ihre Erbauer stammten. So gibt es eine Stendaler, eine Riesaer und eine Eberswalder Straße und den Cottbusser Platz. Oder sie tragen die Namen der alten Politbürokämpfer, die sich nicht nur als die Avantgarde der Bauarbeiter verstanden. Da aber ihr jetzt in Moskau lebender Generalsekretär irgendwann den Mund zu voll genommen und bis 1990 die Lösung aller Wohnungsprobleme versprochen hat, blieb die Infrastruktur im Wettlauf mit der Zeit auf der Strecke. Vor allem die kulturelle, und um die hat sich jetzt Ulrich Roloff-Momin zu kümmern.
Alpträume des Senators
Daß Hellersdorf zu Berlins Problembezirken gehört, weiß der Kultursenator, der sich deshalb »mit Bedacht« die Einladung des zuständigen Stadtrates ausgesucht hat, »um — fernab von den zentralen Bezirken mit großem Kulturangebot — auf die Bezirke hinzuweisen, die den Bürgerinnen und Bürgern kaum Kulturangebote machen können.« Was der Senator nicht wußte, war, wie Hellersdorf aussieht und wo überhaupt dieser Klub »Kiste« liegt, in dem er sich »über das kulturelle Leben (....) ein Bild machen und für die kulturellen Einrichtungen und deren Leitungen und Nutzerinnen und Nutzer als Ansprechpartner zur Verfügung stehen« will. So kommt er eine halbe Stunde zu spät und ist heilfroh, daß wenigstens die Presse den Weg gefunden hat.
Roloff-Momin ist das erste Mal in Hellersdorf und tief getroffen. Diese Architektur, so der ehemalige HdK- Präsident, hätte er sich in seinen »schlimmsten Alpträumen nicht vorstellen können«, und gegen die Steinwüste Hellersdorf sei die Sahara »ein Garten Eden«. Aber Momin hat die Hoffnung, daß wenigstens im Jahr 2001 die Bäume groß genug sind, um die Fassaden zu verdecken. Und überhaupt, »nicht lebenslänglich haben diese Architekten verdient, aber wohnen müßten die hier.«
Doch der Mann hat den Bezirk nur aus dem Fenster seines Daimlers gesehen und weiß nichts von den Fröschen im Beerenpfuhl, den Vorgärten im Havelländer Ring und den vielen Maulwürfen und Störchen, die die Hellersdorfer an ihre Haustüren malten. Und so bleibt er dabei, daß auch dieser Bezirk in der »traurigen Tradition der Gropius-Stadt« steht und zwangsläufig apokalyptischen Zeiten entgegen gehen muß, wenn ihm nicht besondere Aufmerksamkeit zuteil werden sollte. Arbeitslosigkeit, Drogen, Jugendkriminalität, alle Plagen des Kapitals sieht der Senator hereinbrechen, und da Hellersdorf keine historisch gewachsene Kulturlandschaft besitzt, die hier abfedernd wirksam werden könnte, habe der Bezirk »eine andere Priorität als Mitte oder Prenzlauer Berg«.
Wunderwaffe für Hellersdorf
Darüber kann sich der Hellersdorfer Kulturstadtrat Werner Riedel nur freuen. Zwar wohnt auch er nicht in dem von ihm verwalteten Bezirk, doch hat der FDP-Mann ehrgeizige Pläne und versteht sie zu verkaufen. Riedel, früher an der Musikhochschule Hans Eisler beschäftigt, ist eine barocke Erscheinung. Wie sein Senator kleidet auch er sich in Seide, doch im Gegensatz zu Momin bevorzugt Riedel die sportliche Variante: personifizierter Aufschwung und Macher in einem, kurz: die dezentralkulturelle Wunderwaffe. Und die braucht man hier. Denn wie allen Bezirken im Osten der Stadt, bewilligte die Innenverwaltung auch Hellersdorf nur einen Bruchteil der für die Kulturarbeit beantragten Gelder. Von den geplanten 861.000 erhielt Riedel nur 15.000 DM und hat so für jeden Einwohner im laufenden Jahr ganze 11,2 Pfennige zur Verfügung.
Doppelt soviel Seiten hat aber allein schon sein Regierungsprogramm, das er dem Senator vorträgt. Riedel träumt von einer Kulturschiene, die sich parallel zur U-Bahnlinie durch den Bezirk ziehen soll, und deren Stationen schon in den sozialistischen Bebauungsplänen festgeschrieben wurden. So soll am U-Bahnhof Albert-Norden-Straße im Herbst eine Kulturpassage eröffnet werden, die Ateliers für ansässige Künstler mit einem Galerie- und Lesecafe, einem Informationsladen, einer Bibliothek, einer Buchhandlung und einem Heimatmuseum vereint. Einen Bahnhof weiter an der Heinz- Hoffmann-Straße werden schon im Juli die Türen des »Kulturforums« aufgehen. Hier will Riedel alles ganz multifunktional einrichten lassen, um den Hellersdorfer Chören genauso eine Proben- und Auftrittsmöglichkeit zu eröffnen wie Theater- und Ballettgruppen. Und bald, so verspricht der Stadtrat, sollen auch diese merkwürdigen Straßennamen verschwinden.
Recht auf Befindlichkeit
Schon bestehende Einrichtungen will Riedel profilieren: So wird aus dem Mittzwanziger-Klub die »Stube« eine Musikkneipe und in das »j.w.d.« soll neben einer Theaterwerkstatt auch eine Tanzschule ziehen. Denn, so der FDP-Politiker, »die Hellersdorfer Bürger haben ein Recht auf Befindlichkeit«. Doch die kostet Geld und verschlingt, schätzt Riedel, im Jahr 1991 350 bis 400.000 DM. Und immer wenn es ums Geld geht, blickt der füllige Mann ganz hoffnungsvoll auf seinen Senator. Roloff-Momin ißt inzwischen den von Kulturarbeiterinnen gebackenen Käsekuchen und verbreitet vorsichtigen Optimismus: Sein im März an den Innensenator gesandter Protestbrief habe Wirkung gezeigt. Dem Kollegen sei klargemacht worden, daß Entscheidungen wie die über Kulturetatkürzungen einer Abstimmung bedürfen. Auch komme mehr Geld, zum einen über den Nachtragshaushalt und zum anderen aus Bonn. 300 Millionen DM hat die Bundesregierung für Investitionen in die kulturelle Infrastruktur des Ostens bereitgestellt. Und er, Momin, habe in Verhandlungen mit dem Innenministerium den ihm zugesprochenen Anteil von 5 auf 10 Prozent erhöhen können. Also 30 Millionen, wovon — einen ausgeglichenen Kulturhaushalt vorausgesetzt — dann auch Hellersdorf profitieren würde.
Auf dieses Geld hofft Fred Schöner vom Filmklub Steinstadt e.V., denn Hellersdorf wird voraussichtlich erst 1995 ein großes Kino bekommen. Solange bleibt die »Kiste«, der Klub für kommunales Kino, der einzige Anlaufpunkt für Hellersdorfer Cineasten. Doch von denen, so erzählt Schöner — während Momin einer Journalistin mit defektem Tonband zum zweitenmal sein Entsetzen über die hiesige Architektur ins Mikro bekundet —, gibt es kaum noch welche. An den Wochenenden kämen kaum mehr als sechs bis acht Leute, und die oft auch noch aus West-Berlin. Und das, obwohl er schon jede Menge Unterhaltung der gröberen Sorte in das Programm genommen hat. Viele Hellersdorfer, so glaubt Schöner, schreckt noch immer das alte Jugendklub-Image ab. Und außerdem schießen auch in Hellersdorf die Videotheken wie Pilze aus dem Boden.
So setzt der Filmklub vor allem auf Medienpädagogik. »Spatzenkino« für Vorschulkinder und »Flimmerkiste« mit Streifen für Leute ab sechs Jahren, so heißen die Veranstaltungsreihen, mit denen sich der Verein sein Publikum heranziehen will. Ein Konzept, das bislang aufgeht und den mit 60 Stühlen bestückten Kinosaal zu füllen vermag. Jetzt soll mit den Geldern aus Bonn eine zweite Ebene, eine »Dose« auf die »Kiste« gesetzt und so das Haus auch in seiner Ausstattung einem Kino angenähert werden.
Inzwischen ist der Kuchen aufgegessen und Roloff-Momin hat sich ein Bild gemacht. Stadtrat Riedel ist zufrieden und über Hellersdorf scheint noch immer die Sonne. Doch bereits in der U-Bahn zwischen Heinz-Hoffmann- und Albert-Norden-Straße ziehen mit einem Handverkäufer bedrohliche Wolken auf. Der 'Berliner Kurier‘ enthüllt: »SED erfand eine Million Wohnungen«.
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