: Nachholbedarf an Austausch
■ Mit drei Millionen Mark will Bonn ein neu gegründetes Austauschwerk für deutsche und polnische Jugendliche finanzieren / Freie Träger befürchten ein Kohlsches Renommierprojekt
Chance zur Verständigung oder Kohlsches Renommierprojekt? Mehr als drei Millionen Mark will die Bundesregierung allein dieses Jahr für den Jugendaustausch zwischen Polen und Deutschland bereitstellen. Bundeskanzler Helmut Kohl preist das deutsch-polnische Jugendwerk als Chance zur Verständigung und zur Entwicklung gutnachbarlicher Beziehungen. Doch inzwischen wird Kritik an der mangelnden Transparenz beim Aufbau der Institution und Zweifel an den Intentionen des Jugendwerks laut.
Zum Beispiel der Berliner Arbeitskreis Politische Bildung (BAPOB), immerhin der größte freie Träger von deutsch-polnischen Jugendbegegnungen, zeigt sich skeptisch angesichts des Kanzlers Plänen. Zuviel staatlicher Einfluß, argwöhnt Thomas Hendrich von BAPOB. Denn die Fäden für das Jugendwerk würden vor allem von den zuständigen Ministerien, in diesem Fall das Bundesaußenministerium und das Bundesministerium für Jugend, Frauen und Familie, gezogen — und die haben bereits einen Vertragsentwurf ausgearbeitet.
Auf polnischer Seite ist man indes noch beschäftigt, überhaupt Strukturen für den Austausch zu schaffen. »In Polen fehlt es an Organisationen und freien Trägern für den Jugendaustausch«, sagt Michal Czaplinski von der Außenstelle der polnischen Botschaft in Berlin. »Die alten sind zerfallen, die neuen müssen sich erst etablieren.« Und die neuen Vereine, so Czaplinskis Erfahrung, »sind gegenüber staatlicher Einflußnahme sehr empfindlich.«
So viel Mißtrauen gegenüber Vater Staat wünschen sich auch die freien Träger, wie z.B. das neugegründete Deutsch-Polnische Bildungswerk. Favorisiert wird von den freien Trägern eine paritätisch von Polen und Deutschen besetzte gemeinnützige Stiftung. Die soll zwar mit staatlichen Geldern gespeist werden, aber unabhängig von der Tagespolitik und von Ministerien arbeiten.
Freie Träger wie der BAPOB monieren nicht nur die Strukturen des neuen Projektes, sondern vor allem auch die Inhalte. Daß die deutsch- polnische Geschichte aufgrund des deutschen Überfalls auf Polen mit all seinen grausamen Konsequenzen eine problematische ist, spielt zum Beispiel bei den Begegnungsfahrten des BAPOB oder Aktion Sühnezeichen immer eine Rolle. Beim Kohlschen Jugendprojekt, so Handrich, »hat es den Anschein, als ob von bundesdeutscher Seite von einer ‘Stunde Null‚ ausgegangen wird. Und dann muß man befürchten, daß das Jugendwerk zu einem Renommierprojekt wird, bei dem die großen Verbände die Gelder unter sich aufteilen, ohne über Inhalte zu reden.«
Wie sehr ein Jugendaustausch auch in den neuen Bundesländern not tut, hat nicht zuletzt der Auftritt rechtsradikaler Jugendlicher gezeigt, die die ersten polnischen Touristen anläßlich der Visumsfreiheit letzten Montag mit Heil-Hitler-Rufen an der Grenze empfingen. Wobei die von Bundeskanzler Kohl avisierten »gut nachbarschaftlichen Beziehungen« vielleicht noch mehr darunter gelitten haben, daß sich in dieser Nacht kein deutscher Politiker zur Begrüßung der polnischen Reisenden eingefunden hatte.
Nachholbedarf an deutsch-polnischer Kommunikation gibt es also genug, aber nur, sagt Thomas Handrich, »unter Einbeziehung der gemeinsamen Geschichte und der aktuellen Themen, wie Wohlstandsgefälle und wirtschaftliche Abhängigkeiten«. H.P.Meister
Wer an Begegnungsfahrten nach Polen interessiert und nicht älter als 26 Jahre ist, kann sich beim BAPOB, Jagdschloß Glienicke, Königstraße, Berlin 39, (8050148) melden.
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