: Daß ein Chinese keinen Anstoß nimmt
■ Interview mit Dieter Heintze und Andreas Lüderwaldt, Völkerkundler im Übersee-Museum / taz-Reihe Übersee-Museum (1)
Das Übersee-Museum. 1896 entstanden aus der großen „Nordwestdeutschen Gewerbe- und Industrieausstellung“. Heute, 95 Jahre später, ruft die Organisation „medico international“ die Museen — unser Übersee-Museum eingeschlossen — in einer pathetischen Kampagne zur „Rückgabe der geraubten Kulturgüter“ in aller Welt auf. Und nun kommt auch noch nach dem Kreml-Gold großklotzig und raumgreifend „Peter der Große“ daher. Das Kolonial-Museum als Räuber und Kulisse: War's das? Und überhaupt: Darf so ein Museum prinzipiell in Dornröschenschlaf fallen, bloß weil es auf neue Direktoren wie auf Küsse warten muß? Die taz sprach mit den Völkerkundlern Dieter Heintze, Südsee, und Andreas Lüderwaldt, Asien.
taz: Ist Ihr Museum eher recht- oder eher unrechtmäßig bestückt worden?
Dieter Heintze: Ein großer Zuwachs ist in der deutschen Kolonialzeit gekommen, bis 1914. In dieser Zeit waren viele Deutsche in den Kolonien tätig und haben da auch gesammelt — vom reinen Souveniraufsammeln bis hin zum Reibach machen wollen. Das Übersee-Museum hat selbst nur kleinere Expeditionen gemacht, finanziert vom Norddeutschen Lloyd, z.B. nach Bougainville und zu den Admiralitätsinseln. Das war im Vergleich mit anderen sehr wenig. Die meisten Sachen sind von Leuten gebracht worden, die keine Spezialisten waren, sondern Kolonialbeamte, Missionare, Kaufmänner, Seeleute.
Andreas Lüderwaldt: Der erste Direktor, Hugo Schauinsland, hat 'ne ganze Reihe von Sammelreisen unternommen und vieles erworben, wirklich bezahlt, das ist nachzuweisen. Besonders in Japan hat er, muß man sagen, die Geschäfte leergekauft. Unsere gesamte Ostasienabteilung hat er begründet.
Sie brauchen also kein schlechtes Gewissen zu haben!?
Lüderwaldt: Och, 'n schlechtes Gewissen muß man eh haben, aber wir können zum größten Teil ja nicht mehr nachvollziehen, wie was hierhier gekommen ist, weil die Unterlagen fehlen. Trotzdem sollte man vorsichtig sein mit Pauschalierungen, das sei alles gestohlen oder für'n Ei und'n Appel hierhergekommen.
Es gab in den 70er Jahren die Bewegung, aus den Kolonialmuseen Dritte-Welt-Museen zu machen. Ihr ehemaliger Direktor Ganslmayr hat damals zusammen mit Gert Paczensky das vielzitierte Buch „Nofretete will nach Hause“ geschrieben.
Lüderwaldt: Wir waren der Meinung in den 70ern, daß wir den Menschen aus den Ländern der Dritten Welt nicht zumuten können, mit ihresgleichen in einer Form konfrontiert zu werden, wie man sich die Afrikaner oder Südseeinsulaner vor dem Ersten Weltkrieg vorstellte: mit grimmigem Gesicht, die Männer in die Ferne blickend, beschützend, die Frau am Feuer sitzend, aufpassend. Das war schon ziemlich eurozentristisch-familiär. Inzwischen hat sich durch die Hintertür die Darstellung mit Figuren doch wieder eingeschlichen, aber wir haben festgestellt, wenn ein Chinese vor dem chinesischen Beamten steht oder vor dem Bauern, daß der da keinen Anstoß nimmt.
Ist Dritte-Welt-Aktualität, wenn jetzt die Plastikschüssel in der Bambus-Hütte steht?
Lüderwaldt: Ja gut, das war ja ein wesentlicher Punkt, daß wir versuchten, den Faden bis heute weiterzuspinnen, den Kulturwandel darzustellen. Und das hat schon zur Plastikschüssel geführt. Ist natürlich zu wenig, das ist klar.
Wie stellt man denn ein Wertsystem dar?
Lüderwaldt: Da hat's ja verschiedene Wege gegeben. Siehe das Tropenmuseum in Amsterdam und den naturalistischen Trend Mitte der 70er: die Dritte Welt so darzustellen, wie's da ist. Indem man eben 'nen Slum aufbaute. Davon ist man auch wieder weggekommen, weil: 'n Slum aufzubauen, das hat eine gefährliche Seite — da spielen dann die Kinder Kriegen drin.
Heintze: Jeder Slum, der dargestellt wird, wird durch die Darstellung zwangsläufig zum ästhetischen Objekt. Aber was ja auch wieder passiert in holländischen Museen, das sind Inszenierungen: wo man dann also in ein Südseedorf reingeführt wird oder in einen Basar, mit allem, was dazugehört.
Mit lebenden Menschen?
Lüderwaldt: Das wird unter Umständen gemacht, indem man da jemand weben läßt oder töpfern. Das ist hart an der Grenze zur Völkerschau.
Heintze: Fast wie früher bei Hagenbeck.
Nun gibt es seit letztem Jahr eine Kampagne von „medico international“, die fordert: „Rückgabe der geraubten Kulturgüter“. Da heißt es u.a., Afrika sei leergefegt bzw. — geklaut worden. Stimmt das?
Heintze: Ja und nein. Es gibt sicherlich Länder, bei denen die kulturellen Dokumente ihrer eigenen Vergangenheit in den großen Museen in Nordamerika, Europa, Japan verschwunden sind. Aber es gibt auch Länder, da sind Museen und eine gute Gesetzgebung noch rechtzeitig eingerichtet worden. Natürlich gibt es immer genügend Leute, die Wege finden, wie's rausgeht.
Würden Sie sowas noch kaufen?
Heintze: Wir kaufen das prinzipiell nicht. Wenn mir jemand für meinen Bereich, also etwa Neuguinea, Sachen vorlegt, dann will ich die Ausfuhrdokumente sehen. Ohne kann er bei uns nicht landen. Alte Sammlungen kaufen wir gar nicht mehr. Weil man davon ausgehen muß, daß es auf irgendwelchen krummen Wegen in den Handel gekommen ist.
Soll man denn nun prinzipiell zurückgeben?
Heintze: Wir haben die Politik: wenn wir feststellen, etwas ist hier klipp und klar illegal hergekommen, gehört das zurück.
Das Jahr '92 wird von „medico“ als Jahr der Rückgabe ausgerufen. Fühlen Sie sich von solchen medico-Formulierungen angesprochen wie: „Wir rufen alle möglichen Leute, auch Museumsleute auf, die den Status der
Dieter Heintze und Andreas Lüderwaldtfo/fr
Hehlerei leid sind...“
Heintze: Mich stört daran diese pathetische Pauschalierung. Ein begründetes Anliegen wird verpackt in eine Wolke von Pathos und schiefen Sachen, das nimmt der ganzen Sache die Wirksamkeit.
Lüderwaldt: Mit dem Hehlen, das ist natürlich pointiert. Wir müssen im einzelnen überprüfen, was da wirklich illegal hergekommen ist und das dann zurückgeben. Ein Beispiel wäre übrigens unsere kleine Lapplandsammlung. Ich weiß, daß in Lappland sehr wenig vorhanden ist. Das wäre kein Problem, unsere Sammlung zurückzugeben.
Heintze: Es ist doch so: Ich kenn' mich sehr gut im Nationalmu
hier bitte
das Foto mit zwei
Männern vor Hütte
seum in Neuguinea aus. Ich kenn' die Magazine dort und weiß, wo die Defizite haben. Die könnten auch ohne Profilierungsabsichten von uns was haben, auch das, was legal erworben wurde.
Apropos Profilierungabsicht: Mit wieviel weinenden Augen sehen Sie eigentlich Bremens neuem Superstar „Peter dem Großen“ entgegen? Mit einem oder zwei?
Lüderwaldt: Mit zwei weinenden Augen ist wahrscheinlich richtig gesagt.
Heintze: Es tränt alles, selbst die Hühneraugen. Da sind die Millionen da. Aber wenn man mal 50 Mark für irgendwas im Magazin braucht, dann isses nich.
Interview: Claudia Kohlhase
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen